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Corona in Mexiko
Ein Sonderweg, der Tausende Menschenleben gefährdet

Will die Wirtschaft schnell öffnen: Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador. Hinter ihm der Slogan «Quédate en casa», die spanische Version von «Bleiben Sie zu Hause».
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Ein Licht am Ende des Tunnels will er gesehen haben, der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador. Am Montag werden in den «Gemeinden der Hoffnung» – den am wenigsten betroffenen Gebieten – Schulen, Fabriken und öffentliche Plätze geöffnet. Auch erklärte López Obrador drei Industrien für unerlässlich, die zuvor den Betrieb hatten einstellen müssen: die Fahrzeugindustrie, der Bau und der Bergbau.

López Obradors Plan, genannt «la nueva normalidad» – die neue Normalität – gibt es zusammengefasst auf 10 Powerpoint-Folien. Ein paar farbige Kästchen, Pfeildiagramme und Ampeln, die ein mehrstufiges Vorgehen andeuten. Das sieht eigentlich ganz vernünftig aus.

Die Infektionskurve steigt steil an

Wären da nur nicht die Zahlen. Fast alle Länder haben die Corona-Restriktionen erst gelockert, nachdem die Anzahl der Neuinfektionen und Todesopfer zuvor zurückging. In Mexiko sind die Vorzeichen genau umgekehrt. Das Land befindet sich in der derzeit schlimmsten Phase. Noch am Dienstag wurde mit 347 Todesopfern die bisher höchste Zahl innerhalb von 24 Stunden gezählt. Bislang wurden über 40’000 Infektionen und mehr als 4200 Todesfälle bestätigt.

Beerdigung eines Corona-Opfers auf einem Friedhof in Tijuana.(REUTERS/Ariana Drehsler)

Die offiziellen Zahlen sind schlecht genug – und sie sind zu tief. Viel zu tief. Gemäss einer kürzlich publizierten Studie der OECD werde in Mexiko auf 1000 Personen nicht einmal eine getestet. Es ist der schlechteste Wert aller 37 OECD-Mitglieder. Der Durchschnitt liegt bei knapp 28 Tests pro 1000 Personen. «Die Regierung weiss selber, dass die offiziellen Zahlen bei weitem nicht stimmen. Aber sie gibt keine realistischen Schätzungen an», sagt Xavier Tello, Arzt und Analyst im Bereich Gesundheitswesen. Er spricht von einer halben Million Menschen, die möglicherweise infiziert seien.

«Vieles wirkt improvisiert»

Ohne ausreichende Testkapazität ist aber auch López Obradors Plan, die «neue Normalität», bestenfalls ein Stochern im Nebel. Denn ohne ausreichende Datengrundlage ist es unmöglich zu wissen, ob es in den «Gemeinden der Hoffnung», die ab Montag geöffnet werden, tatsächlich kaum Ansteckungen gibt. Kommt dazu, dass es zwar einen groben Plan gebe, aber keine detaillierten Hygienekonzepte und Verhaltensanweisungen für die einzelnen Branchen, sagt Tello. «Vieles wirkt improvisiert.»

Wie auch andernorts setzt die desaströse Wirtschaftslage die Politik unter Zugzwang. Die Lage in Mexiko ist besonders schlecht. Der Ölpreis ist zusammengefallen, der Tourismus eingebrochen. Auch die Geldüberweisungen der 11 Millionen Mexikaner in den USA bleiben angesichts der Krise grösstenteils aus.

Trump setzt Mexiko unter Druck

Auch der grosse Nachbar im Norden setzt Druck auf. Die Trump-Regierung hat Mexiko in den vergangenen Wochen dazu gedrängt, die Wirtschaft schnell zu öffnen. Viele amerikanische Firmen, insbesondere Auto- und Maschinenhersteller, beziehen einzelne Komponenten ihres Endprodukts aus Mexiko.

Für das laufende Jahr rechnen Ökonomen mit einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts von 7 Prozent. Allein im April haben mehr als 555’000 Menschen ihre Arbeit verloren. Nicht eingerechnet ist da der informelle Sektor, der über die Hälfte der Arbeit in Mexikos Wirtschaft ausmacht.

Die Menschen werden sich selber überlassen

Nicht hilfreich ist da López Obradors Wirtschaftspolitik, die erstaunlich ist für einen Linkspopulisten. Der 66-Jährige verzichtet konsequent auf milliardenschwere Rettungspakete, um den Schaden für die einheimische Wirtschaft abzufedern. 40 Prozent der 126 Millionen Einwohner leben gemäss der Weltbank in Armut. Sie werden weitgehend sich selber überlassen.

López Obrador befürchtet, die Aufnahme weiterer Schulden würde Mexiko zu stark von ausländischen Gläubigern oder dem Internationalen Währungsfonds IWF abhängig machen. Allerdings gehört es zum ökonomischen Mainstream, die Wirtschaft in Krisensituationen mit öffentlichen Investitionen kurzfristig anzukurbeln. Entsprechend haben fast alle Länder der westlichen Hemisphäre gigantische Beträge in die Wirtschaft gepumpt.

Mühe mit Social Distancing

Auch das persönliche Verhalten des Linkspopulisten ist der Krise nicht angemessen. Noch Mitte März benahm er sich so, als ob Covid-19 in Mexiko nicht existieren würde. Auf einer Reise im Südwesten des Landes umarmte er Rentner, küsste Kinder und reichte seinen Anhängern die Hand. Ohnehin sei eine Nation «mit einer so ehrwürdigen Kultur wie Mexiko» bestens gewappnet für die Gefahr des neuen Coronavirus, so der Präsident.

Das könnte sich jetzt ganz schnell ändern. «Machen wir uns nichts vor», sagt der Analyst Xavier Tello. «Wir steuern in den nächsten Wochen auf eine Katastrophe zu.»