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Spitzenruderer Joel Schürch
Er hat keinen Appetit – und schlägt sich doch mit 10'000 Kalorien voll

Steht an diesem Wochenende bei seinem Heim-Weltcup auf dem Rotsee im Einsatz: Ruderer Joel Schürch.
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Sollte er wirklich schon aufhören? Knapp 22 war Joel Schürch da, als sich diese Sinnfrage stellte. Dabei hatte er gerade erst am grösstmöglichen Erfolg geschnuppert, damals, im Sommer 2016. Der Zentralschweizer war fixer Bestandteil des leichten Vierer-ohne gewesen und erlebte die Goldmedaille von Mario Gyr, Simon Niepmann, Lucas Tramer und seinem Bruder Simon Schürch bei den Olympischen Spielen hautnah mit – als Ersatzmann allerdings.

«Klar wäre es noch schöner gewesen, auch bei Olympia im Boot zu sein, wie vorher oft, aber für mich hat es so gepasst», blickt Joel Schürch zurück. Kurz nach der Rückkehr nach Europa wurde er immerhin U-23-Weltmeister im Zweier-ohne.

Rosige Perspektiven also? Nein. Das Internationale Olympische Komitee hatte vorher schon klargemacht, dass der leichte Vierer-ohne aus dem Programm gestrichen würde. Damit gab es nur drei Optionen für Schürch: weiter bei den Leichtgewichten rudern, aber ohne die fünf Ringe als alles überstrahlende Motivationsquelle. Oder ein Wechsel in die Kategorie der Schwergewichte. Oder eben: aufhören. «Das war keine Option, und ich habe mir gesagt, ich probiere es in der offenen Kategorie», erzählt er.

Nicht viele versuchen diesen Wechsel, und ein Freilos ist er für niemanden. Sofia Meakin, die 2022 den gleichen Weg ging und in diesen Monaten ebenfalls Anlauf Richtung Olympia nimmt, sagte letztes Jahr: «Es kam mir vor wie eine neue Disziplin.» Joel Schürch kann die Genferin verstehen: «Am Anfang war es für mich wirklich fast so. Lange war da die Ungewissheit, ob ich es schaffe oder nicht. Und dann änderte das Essverhalten.»

Von 70 auf 90 Kilogramm

Bei den Leichtgewichten werden häufig die Kalorien gezählt, immer wieder geht es ums kurzfristige Abnehmen, oft müssen die Pfunde noch kurz vor dem Rennen purzeln. Für Joel Schürch folgte nun eine Kehrtwende. Von 70 Kilos musste er auf etwa 90 kommen, um überhaupt wettkampffähig zu bleiben. «Ich habe einfach begonnen, Kilos zuzulegen. Ich habe viel gegessen, versucht, das Richtige zu essen, und viele Gewichte gestemmt.» Kartoffeln standen auf dem Menüplan, viel Reis, generell viele Kohlenhydrate, Eiweiss, bis 10’000 Kalorien kamen so pro Tag zusammen.

Kein einfacher Prozess, sagt er heute: «Es war schwierig, so viel zu essen und gleichzeitig Leistung zu bringen, und sogar noch mehr als vorher, denn die Schweren sind schneller als die Leichten.»

Erschwerend kam hinzu, dass Joel Schürch unter Appetitlosigkeit leidet. Er musste sich also noch mehr zwingen, zu essen. Gelungen sei ihm dies auch dank der Umstellung auf kleinere Portionen, vor allem aber dank Willenskraft: «Ich wollte es unbedingt und auch zeigen, dass diese Umstellung möglich ist.» In der Schweiz hat dies noch kein Ruderer wirklich bewiesen.

«Meine Freundin musste sehr viel mitleiden. Zum Beispiel, wenn ich zwei Stunden beim Nachtessen brauchte.»

Joel Schürch

In diesem Prozess hat er manche schwierige Momente durchgemacht. Oder wie er es formuliert: «Manchmal dachte ich, ich bin eine Stopfgans, weil ich so viel essen muss.» Auch für sein Umfeld war es nicht einfach, gerade seine Freundin sei sehr gefordert gewesen: «Sie musste sehr viel mitleiden. Zum Beispiel, wenn ich um 23 Uhr noch irgendwelche Proteinshakes machte oder zwei Stunden beim Nachtessen brauchte, während sie nach einer halben Stunde fertig war.» Phasenweise plagten ihn Schlafstörungen.

Eineinhalb Jahre und eine Zwangspause wegen pfeifferschen Drüsenfiebers später hatte er 18 Kilogramm zugelegt. Beim 187 Zentimeter langen Athleten kamen nun aber koordinative Herausforderungen hinzu, wie er sagt: «Das Bootsgefühl ist nicht mehr wie vorher, ich muss noch sorgfältiger rudern.»

Die hohen Ambitionen

Sportlich gelang der Wechsel, auch wenn sich die Crew im Vierer-ohne bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio etwas mehr erhofft hatte als den 9. Platz. Schürch war dennoch in der offenen Kategorie angekommen, auch essenstechnisch, und das ist bis heute so geblieben: «Ich esse gut wie die anderen, aber ich muss mich nicht mehr vollstopfen. Und wenn ich jetzt keinen Hunger mehr habe, kann ich sagen, ich höre auf.»

Nun will er zusammen mit Tim Roth, Kai Schätzle und Patrick Brunner nach Paris, und dort wäre das Ziel für den Mann aus Sursee klar: «Wir wollen mindestens in die Top 5.» Hohe Ambitionen, aber durchaus legitim, erreichte das Team doch in dieser Saison mit Ausnahme des Rennens in Varese stets den A-Final. Die Hauptprobe beim Weltcup auf dem Rotsee fällt nun aus, da man Schätzle nach einer Verletzung noch keinen Wettkampfeinsatz zumuten will. Schürch wird nun sein Heimrennen mit Brunner bestreiten, parallel dazu wird das designierte WM-Quartett aber schon wieder trainieren.

Anfang September geht es dann an der WM in Belgrad um die Quotenplätze für Paris. Auf dieses Rennen hat Joel Schürch besonderen Appetit.