Neue Zahlen zur Energiewende Schneller als erwartet: Schweiz erzielt Solarrekord
Solarstrom boomt wie nie. Bereits 2024 dürfte er 10 Prozent der Schweizer Stromproduktion ausmachen. Derweil versucht die Nuklearbranche, den Boden für neue AKW zu bereiten – mit einem Runden Tisch.
Seit Monaten läuft eine Kontroverse über die geplanten Megasolarparks in den Alpen. Nun zeigt sich: Auch ohne diese Projekte schreitet der Ausbau der Fotovoltaik in der Schweiz rasch voran – in erster Linie auf Hausdächern und an Fassaden. In diesem Jahr sind rund 1500 Megawatt Fotovoltaikleistung neu installiert worden, ein Plus von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Diese Zahl ist noch nicht definitiv, sondern eine Schätzung von Swissolar, die der Branchenverband unter anderem dank Rückmeldungen aus dem Markt vorgenommen hat und am Mittwoch veröffentlichen will. Das Bundesamt für Energie (BFE) hält sie für plausibel. Damit wächst die installierte Leistung in der Schweiz per Ende Jahr auf über 6200 Megawatt Leistung.
Fotovoltaik, so schätzt Swissolar weiter, wird nächstes Jahr rund 6 Terawattstunden (TWh) Strom produzieren, also 10 Prozent des jährlichen Stromverbrauchs in der Schweiz decken. Etwa so viel wie das Kernkraftwerk Beznau. Auch diese Angabe hält das BFE für plausibel. Heuer wird die Produktion etwa 5,1 TWh betragen, 2022 waren es 3,8.
Swissolar hatte sich zum Ziel gesetzt, die 10-Prozent-Schwelle 2025 zu überschreiten. Die Entwicklung geht also schneller voran. «Wir sind mit dem Ausbautempo sehr zufrieden», sagt Geschäftsführer Matthias Egli. Die Entwicklung zeige auch, dass es bisher gelungen sei, die für den Ausbau notwendigen Fachkräfte in der Solarbranche zu rekrutieren.
Stark gewachsen sind gemäss Swissolar sowohl die Märkte für kleinere als auch für grössere Anlagen. Grossanlagen haben speziell von der Einführung der neuen Förderung für Anlagen ohne Eigenverbrauch profitiert. Damit liessen sich Projekte wie etwa die Anlage an der Stützmauer in Teufen AR realisieren, die auf Winterstromertrag optimiert ist.
Als weiteren starken Treiber für den Zubau identifiziert Swissolar den hohen Strompreis. Davon betroffen seien insbesondere Grossbezüger, die ihren Strom auf dem freien Markt einkauften. Zusätzlich fördere der wachsende Einsatz von Elektromobilität und Wärmepumpen den Einsatz von Fotovoltaik.
Swissolar rechnet damit, dass bis 2035 rund 30 TWh Strom aus Fotovoltaik stammen werden. Dafür bräuchte es in den kommenden Jahren einen jährlichen Zubau von 2000 Megawatt Leistung. Das sei realistisch, so Egli. Zur Einordnung: Das Parlament plant bis zu diesem Zeitpunkt mit insgesamt 35 TWh Strom aus neuen erneuerbaren Energien, nebst Solar sind dies Wind, Biomasse und Geothermie.
Entscheidend wird sein, ob der sogenannte Mantelerlass in Kraft tritt. Landschaftsschützer haben das Referendum ergriffen gegen die Vorlage, welche den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter stärken will. Ob es zustande kommt, ist nicht sicher.
Auch die SVP freuts, aber …
Dass die Fotovoltaik so stark zulegt, wird reihum begrüsst, auch in der SVP. «Der Zubau von Fotovoltaik auf Hausdächern ist erfreulich», sagt Nationalrat Christian Imark, der dieses Jahr selber eine Fotovoltaikanlage auf sein Hausdach installieren liess. «Die Entwicklung zeigt, dass es keine entsprechenden Pflichten braucht», sagt Imark in Anspielung auf die von grünen Kreisen geforderte Solarpflicht.
Dennoch, so Imark, dürfe Solarausbau nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Winterstromversorgung so kaum gestärkt werde. Imark verweist auf seine eigene Anlage, die im November 2023 nur 10 Prozent des Ertrags gegenüber Juni 2023 produziert habe.
Swissolar entgegnet, der starke Zuwachs helfe sehr wohl, die Stromproduktion in den potenziell kritischen Wintermonaten zu erhöhen – dann also, wenn die Schweiz auf Importe angewiesen ist. Bereits heute würden 1,6 TWh Strom im Winter durch Fotovoltaik produziert. Zum Vergleich: Mit dem viel diskutierten Solarexpress für alpine Solaranlagen will die Politik bis 2030 2 TWh zusätzlichen Solarstrom erzeugen, davon gut 1 TWh im Winter.
So gut die Solarzahlen derzeit sind: Die Debatte über die Stromversorgung wird weitergehen. Wegen der Elektrifizierung von Verkehr und Gebäuden wird die Schweiz in Zukunft viel mehr Strom als heute brauchen, Fachleute sprechen von rund 80 TWh, das sind 20 mehr als heute. Hinzu kommt der Wegfall der Kernkraftwerke, die Lücke beträgt damit etwa 40 TWh. Bürgerliche Politiker drängen daher darauf, das seit 2017 bestehende AKW-Neubau-Verbot aufzuheben, eine entsprechende Volksinitiative dürfte im Januar eingereicht werden.
Kernkraft: Runder Tisch soll Lösung bringen
Druck macht auch der Verein Nuklearforum Schweiz. In einem neuen Positionspapier, das er am Dienstag veröffentlicht hat, skizziert er einen möglichen Weg für die weitere Nutzung der Kernenergie in der Schweiz. «Es braucht nicht Kernenergie oder erneuerbare Energien», sagt Präsident Hans-Ulrich Bigler. Es brauche schlicht alle möglichen Quellen, um den Herausforderungen der Zukunft begegnen zu können.
Gemäss dem Papier bleibt die Kernenergie eine «wirtschaftlich attraktive Option» – was Atomgegner bestreiten. Zwar bestünden grosse Unterschiede bei den Anfangsinvestitionen, so die Autoren. Die lange Laufzeit und die enormen Mengen an klimafreundlicher Energie, welche über Jahrzehnte aus Kernkraftwerken gewonnen werden könnten, führten aber insgesamt zu wettbewerbsfähigen Gestehungskosten.
Ihre Hoffnungen setzt die Branche auf die kleinen, modularen Reaktoren, sogenannte Small Modular Reactors (SMR). Kanada treibt mit einer Roadmap die Entwicklung von SMR voran. Die Schweiz soll nun diesem Beispiel folgen – mit einem runden Tisch Kernkraft, den das Bundesamt für Energie lancieren soll.
Das Nuklearforum verweist auf die Erfahrungen mit dem runden Tisch Wasserkraft, den die frühere Energieministerin Simonetta Sommaruga 2020 ins Leben gerufen hat. Bereits letztes Jahr, so das Nuklearforum, habe sich die Stromwirtschaft mit den Umweltverbänden auf neue Projekte im Bereich der Wasserkraft geeinigt.
Der Vorschlag ist umstritten. Die atomkritische Schweizerische Energie-Stiftung spricht von einem «PR-Gag der Atomindustrie». Kernkraftwerke dürften nach geltendem Recht nicht gebaut werden, eine Mehrheit der Bevölkerung lehne sie ab.
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