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Empörung um das Buch eines Generals
«Liebe Homosexuelle, normal seid ihr nun mal nicht»

General Roberto Vannacci glaubt, die Welt stehe kopf – und schreibt darüber. 
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Das momentan erfolgreichste italienische Buch auf Amazon hat ein General namens Roberto Vannacci geschrieben. Es heisst «Il mondo al contrario» (etwa: Die Welt steht kopf), ist im Selbstverlag erschienen und bereitet der rechten italienischen Regierungskoalition und der Premierministerin Giorgia Meloni gerade sehr viel Ärger.

In seinem 357-seitigen Werk, einer Mischung aus Autobiografie und politisch-historischen Betrachtungen, schreibt der 55-jährige Vannacci zum Beispiel: «Liebe Homosexuelle, normal seid ihr nun mal nicht, seht es endlich ein!» Genauso, wie der Mensch von Natur aus nicht Kannibale sei, können Homosexuelle laut dem General von Natur aus nicht Eltern werden. Vannacci listet auch scherzhafte, abschätzige und vulgäre Bezeichnungen für Schwule auf, die man nicht mehr verwenden dürfe. Die Liste ist lang im Italienischen. 

In seinen Adern fliesse das Blut von Julius Cäsar.

Vannacci behauptet ferner, die bisexuelle italienische Volleyball-Nationalspielerin Paola Egonu, deren Eltern aus Nigeria eingewandert sind, stehe wegen ihrer Gesichtszüge nicht für wahre Italianità, im Gegensatz zu ihm, Vannacci, in dessen Adern Blutstropfen von Aeneas, Julius Cäsar, Giuseppe Garibaldi und anderen Helden flössen.

Für Italianità steht sie laut Vannacci nicht: Die italienische Volleyballspielerin Paola Egonu. 

Ausserdem hantiert der General mit den mittlerweile altbekannten Waffen rechtspopulistischer Kulturkämpfer: Das Klima hat sich schon immer verändert, die politisch Korrekten, die Woken und sonstige Minderheiten haben eine Diktatur errichtet. Der Feminismus ist schuld an Abtreibungen und Scheidungen, Familie, ehrliche Arbeit und Patriotismus gelten nichts mehr. Vannacci reklamiert für sich und seine Gleichgesinnten das Recht, Andersdenkende zu verachten, ja zu hassen.

Die Empörung über das Pamphlet war erwartbar. Hochrangige Militärs beteuerten, für eine staatstragende Institution wie die italienische Armee seien die Schimpfkanonaden ihres Generals schändlich. «Das ist nicht Patriotismus, sondern Landesverrat», urteilte ein linker Abgeordneter. Verteidigungsminister Guido Crosetto sah sich gezwungen, Vannacci als Präsident einer Militärakademie zu entlassen. 

Allerdings ist Crosetto Mitglied der rechtsnationalistischen Regierungspartei Fratelli d’Italia, zu der auch Meloni gehört. Im zweiten Akt des Dramas um Vannacci begannen nun zahlreiche Exponenten der Rechten, selbst enge Vertraute Melonis, die Absetzung des Generals zu kritisieren und dem Verteidigungsminister vorzuwerfen, sich dem Diktat der politisch Korrekten zu beugen. Meinungsfreiheit, «das wird man doch noch sagen dürfen», opportunistische Absetzung eines Mannes, der sich zuvor bei einer Falschschirmtruppe um Italien verdient gemacht habe, unter anderem in Afrika und Afghanistan – so und ähnlich lauteten die Argumente von Vannaccis Verteidigern.

Auch Salvini äusserte Sympathien für den General.

Auch der Lega-Chef und gegenwärtige Minister für Transport und Infrastruktur, Matteo Salvini, äusserte Sympathien für den General. Im verzweifelten Versuch, seinen persönlichen politischen Abstieg und den Niedergang seiner Partei zu stoppen, nutzt der ehemals starke Mann im Lager der Rechten jede Gelegenheit, um sich zu profilieren. Besonders gerne auf Kosten von Fratelli-d’Italia-Ministern. Und noch lieber auf Kosten seiner Koalitionspartnerin – und, mehr noch, Rivalin – Giorgia Meloni. 

Das Ganze ist nicht bloss eine italienische Spätsommerposse. Die Turbulenzen um Vannacci sind vielmehr ein Symptom für die Spannungen innerhalb der Rechten. Ein wachsender Teil jener rund 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler, die beim letzten nationalen Urnengang rechts gestimmt haben, stellen nämlich zunehmend verstört fest: Viele der Sprüche, die Meloni als Oppositionspolitikerin geklopft hat, viele Versprechen, die Meloni und Salvini während des Wahlkampfes gemacht haben, kollidieren schlicht mit der Realität. Das gilt besonders beim Reizthema schlechthin, der Migrationspolitik. Als Oppositionelle Seeblockaden im Mittelmeer und die Ausschaffung Hunderttausender Papierloser anzukündigen, ist das eine. Sich als Regierende damit konfrontiert zu sehen, dass es mit kaum einem afrikanischen Land Rücknahmeabkommen gibt, das andere.

Und dafür wird jemand abserviert? Da solidarisieren sich viele mit Vannacci.

Und nun wird ein General plötzlich abserviert, bloss weil er den intellektuellen Hausrat des Rechtspopulismus poliert? Weil er mehr oder weniger sagt, was früher auch Giorgia Meloni sagte? Da solidarisieren sich viele Anhänger der Fratelli d’Italia und der Lega instinktiv mit Vannacci. 

Und so wartet Italien gespannt auf den dritten Akt des Dramas: Wird sich die Regierungschefin, die dank ihrer Autorität und hoher Beliebtheitswerte den Laden bisher erstaunlich gut zusammenhält, klar und eindeutig positionieren? Und falls ja, für wen? Am politischen Schaden, den Vannaccis Buch angerichtet hat, kann auch Meloni nichts mehr ändern. Bestenfalls gelingt es ihr, ihn einzudämmen.