Italien und der FaschismusMeloni schweigt – und riskiert eine Krise
Anlässlich des Gedenkens an den Bombenanschlag von Bologna diskutiert Italien die Frage: Warum distanziert sich die Ministerpräsidentin nicht ganz klar vom neofaschistischen Terror?
Am Montag tagte das italienische Kabinett in Rom zum letzten Mal vor der politischen Sommerpause, die meisten Ministerinnen und Minister hatten ihre Feriendomizile im Laufe des Tages bereits fest im Blick. Das Parlament verabschiedete sich sogar schon am Freitag in die Ferien, hatte zuvor noch schnell die Eckpfeiler der lange versprochenen Steuerreform verabschiedet, die Bürger und Unternehmen entlasten soll. Die Details müssen noch ausgehandelt werden – im Herbst dann. Wie alles andere auch, das liegen geblieben ist.
Auch Ministerpräsidentin Giorgia Meloni dachte bereits an die freien Tage mit dem Lebensgefährten und der Tochter, die sie in Apulien verbringen will. Vorher allerdings hat sie neben einigen laufenden Skandalen ihrer Gefolgsleute noch ein neues Problem zu gewärtigen, das eigentlich ein altes ist. Es könnte sich jetzt aber zur Grosskrise auswachsen: die Abgrenzung der grössten Regierungspartei Fratelli d’Italia, die ohnehin weit rechts steht, gegenüber ganz rechts.
Es war der folgenreichste Terroranschlag
Angefangen hat es mit einer Wortmeldung des Kommunikationschefs der Hauptstadtregion Latium, Marcello De Angelis. Zum Jahrestag des verheerenden Bombenanschlags im Bahnhof von Bologna 1980 postete er bei Facebook, dass die dafür verurteilten Rechtsradikalen gar nicht die Täter seien, das wisse schliesslich jeder – auch die Richter. Damit stellte er sich frontal gegen die allgemeinen Erkenntnisse zu diesem schlimmsten aller Terroranschläge in Italien. Die Bombe riss am 2. August 1980 im Bahnhof 85 Menschen in den Tod, 200 weitere wurden verletzt.
Das Attentat hat sich ins kollektive Gedächtnis des Landes eingebrannt, es ist von Strafverfolgern, Justiz und Politik umfassend untersucht worden. Es gilt als allgemein erwiesen, dass die verurteilten Neofaschisten verantwortlich waren; diese bestritten das allerdings von Anfang an. Über die Hintermänner der Tat wird bis heute spekuliert. Auch Staatspräsident Sergio Mattarella sprach bei der Gedenkfeier kürzlich von einer «erwiesenen neofaschistischen Matrix».
Angriff auf den Staatspräsidenten
De Angelis’ Wortwahl war damit ein direkter Angriff auf den Staatspräsidenten, die Justiz, das System insgesamt – eigentlich kam nur seine sofortige Entlassung infrage. Auch er selbst erwartete offenbar nichts anderes, er sprach davon, sich notfalls wie der 1600 in Rom als Ketzer verurteilte Mönch Giordano Bruno auf den Scheiterhaufen zu begeben, «weil ich das Dogma verletzt habe».
Stattdessen aber spielte sein Chef, der Regionalpräsident Francesco Rocca, ein Meloni nahestehender parteiloser Politiker, auf Zeit und stellte sich vor seinen Pressechef, den er seit vielen Jahren kennt. Es handele sich um dessen Privatmeinung, und im Übrigen sei er ja mit einem der Verurteilten verwandt, da müsse man Verständnis haben.
Melonis Methode offensichtlich
Seitdem tobt es im Land, die Opposition ist empört, selbst in Melonis Partei fühlen sich viele nicht wohl und fordern Respekt vor den staatlichen Organen. Auch die Ministerpräsidentin sei «unglücklich», sagte Rocca am Montag, sie habe ihn angerufen und soll ihn sinngemäss aufgefordert haben: Klär das, aber lasst die Partei und mich aus dem Spiel.
Lasst mich aus dem Spiel – das ist Melonis Masche auch bei anderen Skandalen in der Regierungsmannschaft. Namentlich, wenn es um das Verhältnis zum Faschismus geht, ist sie auffallend wortkarg. Immer wieder fällt auf, dass sie bei Gedenktagen zwar Ereignisse verurteilt, ohne aber faschistische oder neofaschistische Urheber beim Namen zu nennen.
So hatte sie in Bezug auf die Bologna-Bombe nur von einem «Akt des Terrorismus» gesprochen. Sie habe wohl vergessen zu erwähnen, dass die Attentäter Neofaschisten waren, tadelte mit beissender Ironie in Bologna der Regionalpräsident der Emilia-Romagna, Stefano Bonaccini, ein Sozialdemokrat. Man könne nur hoffen, dass ihr das beim nächsten Mal nicht wieder passieren werde. Aber es ist offensichtlich, dass dahinter bei Meloni Methode steckt.
Sympathie für Mussolini
Natürlich erinnern Melonis Gegner jetzt daran, dass deren Partei Fratelli d’Italia in einer Tradition zum faschistischen Diktator Benito Mussolini steht. Zahlreiche, auch führende Persönlichkeiten (meist Männer) zeigen ihre Sympathie für den engsten Verbündeten Adolf Hitlers mal mehr, mal weniger unverblümt. Auch von Meloni sind aus ihren politischen Anfängen einschlägige Zitate bekannt. Später verlegte sie sich auf das formale Argument: «Ich bin keine Faschistin. Ich bin 30 Jahre später geboren.» Seit sie am 22. Oktober 2022 als erste Frau und eine der Jüngsten Regierungschefin in Italien geworden ist, äussert sie sich zu diesem Thema gar nicht mehr – oder besser: durch Auslassung.
Aber nun steigt der Druck, und die Frage ist, ob das Thema über den Sommer in Vergessenheit gerät. Weniger als ein Jahr nach ihrem Amtsantritt kommentierte am Montag stellvertretend für viele nicht rechte Medien die Hauptstadtzeitung «La Repubblica», Meloni stehe an einem Scheideweg: Sie werde «von einem düsteren Sumpf mit schwarzem Grund in einen gefährlichen Strudel gezogen. Als würden die ganzen heuchlerischen Unterscheidungen, die Haarspaltereien gerade zerbröseln.»
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