Provokative Nominierung in ItalienMeloni provoziert mit einer Entscheidung im Kampf gegen die Mafia
Die italienische Regierungschefin drückt eine langjährige Gefolgsfrau als Präsidentin der Anti-Mafia-Kommission durch. Opposition und Opferverbände sind entsetzt.
Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella legt trotz seiner 81 Jahre ein ungeheures Pensum hin. Praktisch täglich hält er eine wegweisende Rede – was sich mit dem politischen Umfeld erklärt, in dem er tätig ist. Mattarella ist das personifizierte Gegengewicht zu einer sehr rechts positionierten Koalitionsregierung mit einer Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an der Spitze.
Diese gibt sich im Amt zwar pragmatisch, ist aber eben auch sehr zielstrebig als Vorsitzende ihrer Partei Fratelli d’Italia. Dort tummeln sich Leute, die man postfaschistisch nennen muss. Und immer wieder, wenn deren Weltsicht durchkommt, etwa bei Gedenktagen oder wenn es um Migration geht, sind Andersdenkende dankbar für ihren Präsidenten Mattarella. Er findet dann klare Worte – und ist verfassungsrechtlich mit mehr Kompetenzen ausgestattet als andere Staatsoberhäupter.
Jahrestag des Falcone-Attentats
Exemplarisch konnte man das gerade wieder beim Thema Mafia sehen. In Palermo fand die grosse Gedenkveranstaltung für den berühmtesten italienischen Mafia-Jäger Giovanni Falcone statt, der am 23. Mai 1992 in Sizilien bei einem Privatbesuch trotz grösster Geheimhaltung mit seinen Leibwächtern durch eine unter der Autobahn verbaute Bombe in die Luft gesprengt worden war – spektakulärer ging es damals kaum.
Einige Monate später erwischte die Mafia auch seinen langjährigen Freund und Mitstreiter Paolo Borsellino. Es war eine grosse Machtdemonstration, aber auch der Anfang vom Ende der Allmacht der Cosa Nostra. Mittlerweile dominieren andere Gruppen, vor allem die ’Ndrangheta aus Kalabrien, die organisierte Kriminalität ist ja nicht besiegt.
Colosimos Nominierung war eine Provokation
Just zu diesem Jahrestag hat Meloni jetzt eine enge Weggefährtin auf den Präsidentenposten der Anti-Mafia-Kommission geboxt. Dieser Ausschuss mit Mitgliedern beider Kammern steht für den – nicht immer selbstverständlichen – Kampf der Politik gegen die Mafia. Die Kommission verfügt über gerichtliche Befugnisse, sie kann die Polizei mit der Durchführung von Ermittlungen beauftragen. Wer vor dem Gremium aussagt, ist gesetzlich verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Eine Kommission also, die wichtig ist und die am besten überparteilich unterwegs ist, sollte man meinen.
In diesem Sinne war die Nominierung der Fratelli-d’Italia-Politikerin Chiara Colosimo eine Provokation: eine 36-jährige Frau aus der Lokalpolitik, deren grösste Qualifikation die Nähe zur Premierministerin ist, die wie sie im römischen Vorortviertel Garbatella aufgewachsen ist. Vor allem aber gibt es Hinweise auf eine frühere Nähe zu rechtsterroristischen Kreisen. Ein Bild zeigt sie mit Luigi Ciavardini, einem verurteilten Polizistenmörder. Er wurde auch des Massakers im Bahnhof von Bologna im Jahr 1980 überführt, bei dem 85 Menschen starben.
Colosimo bestreitet, mit Ciavardini befreundet gewesen zu sein. Der Kontakt sei rein dienstlich und habe sich über sein Engagement für die Resozialisierung von Strafgefangenen ergeben. Aber das Misstrauen ist gesät, und Vertreter der Opposition und zahlreiche Verbände der Mafia-Opfer haben Meloni seit Tagen beschworen, ihre Kandidatin auszutauschen.
«Die Mafia kann besiegt werden und ist zum Untergang verurteilt.»
Die aber blieb unbeirrt, am Dienstag nun wurde Colosimo gewählt, nur mit den Stimmen der rechten Mehrheit, während die Opposition unter Protest den Saal verliess. «Die Spaltung der Institutionen ist gut für die Mafia und schlecht für das Land. Ist es das wert, Präsidentin Meloni?», kommentierte der Oppositionspolitiker Silvio Lai.
Auch Matarellas Bruder ein Opfer der Mafia
Die Unterlegenen zitieren jetzt, wie so oft, den Staatspräsidenten Mattarella, der am Jahrestag der Ermordung Falcones die Mafia «ein Krebsgeschwür der Zivilgesellschaft» genannt hat, «eine Verbrecherorganisation, die jeder Ehre und Würde beraubt ist». Die Massnahmen zur Bekämpfung der Mafia müssten «mit Engagement und immer grösserer Entschlossenheit fortgesetzt werden», sagte der Staatspräsident, dessen Worten der Umstand besonderes Gewicht gibt, dass auch sein Bruder 1980 ermordet worden ist.
Eine Lehre von Falcone sei für alle Zeiten: «Die Mafia kann besiegt werden und ist zum Untergang verurteilt.» So viel Entschiedenheit muss die zerstrittene Kommission erst wieder finden.
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