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Sizilianische Mafia
Nie zuvor hatte sie ihren Vater gesehen – dann besuchte sie ihn im Gefängnis

«Lasst mich in Ruhe!»: Lorenza Alagna, die Tochter des Bosses.
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Als ihr Vater am 16. Januar 2023 verhaftet wird und Journalisten Lorenza Alagna um einen Kommentar bitten, sagt sie: «Ich will nichts wissen, lasst mich in Ruhe.» Schon vor einigen Jahren forderte sie die Medien auf: «Tut so, als gäbe es mich nicht.»

Die 26-jährige Alagna ist die Tochter von Matteo Messina Denaro, dem «capo dei capi» der sizilianischen Cosa Nostra. Da er sie nicht offiziell anerkannt hat, trägt sie den Familiennamen ihrer Mutter. Es heisst, sie habe ihren Vater in all den Jahren, in denen er sich vor den Ermittlern versteckte, kein einziges Mal gesehen. Sie hat nie schlecht über ihn gesprochen, sich aber das Recht herausgenommen, allem fernzubleiben, was Matteo Messina Denaro repräsentierte: die mafiösen Clans, die blutigen Fehden zwischen verfeindeten Familien, Blut und Ehre, geheime Rituale, Verschwiegenheit, Brutalität.

Das härteste Gefängnisregime Italiens

Wie die italienische Zeitung «La Repubblica» berichtet, hat nun Alagna ihren Vater im Gefängnis von L’Aquila, der Hauptstadt der Abruzzen, besuchen dürfen. Der Mafiaboss sitzt hier nach den Bestimmungen des Gesetzesartikels «41 bis» ein, den die Justiz gegenüber Mafiosi und Terroristen anwenden kann: das härteste Gefängnisregime Italiens, wenn nicht Europas.

«41 bis» bedeutet: strikte Einzelhaft, um den Kontakt Inhaftierter mit kriminellen Organisationen ausserhalb oder mit anderen Mafiosi innerhalb des Gefängnisses zu verhindern. Bei Besuchen ist der Gefangene durch eine Glaswand von seinen Angehörigen getrennt, die Gespräche werden überwacht und aufgezeichnet. Umarmen konnte Lorenza Alagna den Boss der Cosa Nostra also nicht. 

Matteo Messina Denaro nach seiner Verhaftung in Sizilen. Festgenommen wurde er in einer Klinik, in der er unter falschem Namen seine Krebserkrankung behandeln liess. 

«U Siccu» (der Dürre) wird Messina Denaro auch genannt, oder «Diabolik». Aufgewachsen ist er in einer Mafiafamilie der sizilianischen Stadt Castelvetrano. Er liebte teure Autos, Kleider, Uhren und Sonnenbrillen, er war bekannt für seine unersättliche sexuelle Gier – und für seine Grausamkeit. Messina Denaro, nach dem die Ermittler 30 Jahre lang vergeblich fahndeten, soll viele seiner Gegner eigenhändig umgebracht haben. Er soll daran beteiligt gewesen sein, als die Mafia 1993 den zwölfjährigen Giuseppe Di Matteo entführte, um dessen Vater zu erpressen. Nach mehr als 700 Tagen Gefangenschaft wurde der Junge erdrosselt und in Säure aufgelöst.

Sie wurde ständig überwacht

Lorenza ist mit ihrer Mutter Francesca Alagna im Hause ihrer Grossmutter väterlicherseits aufgewachsen. Da die Ermittler wussten, wer ihr Vater ist, überwachten sie das Haus in der Hoffnung, der Mafiaboss würde sich aus der Deckung wagen, um sein Kind zu sehen. Lorenza hat ein naturwissenschaftliches Gymnasium und, in einer anderen Stadt als Castelvetrano, ein Universitätsstudium absolviert.

Heute lebt sie wieder in ihrem Geburtsort. Einmal schrieb sie auf Facebook: «Wie sehr wünsche ich mir die Zuneigung eines Menschen! Leider ist dieser Mensch nicht an meiner Seite und wird es aufgrund des Schicksals auch nie sein.» Ob sie damit ihren Vater gemeint hat?

«Lorenza ist im Tiefsten degeneriert.»

Matteo Messina Denaro über seine Tochter

Als die Ermittler nach Messina Denaros Verhaftung seinen Unterschlupf durchsuchten, stiessen sie auf Briefe und Nachrichten, die der Boss an seine Tochter geschrieben, aber nie abgeschickt hatte. Oder auf Tagebucheinträge und Nachrichten an Vertraute, in denen er über sie spricht. «Es ist gegen die Natur, seine eigene Tochter nicht zu kennen», schreibt er. «Ich hoffe, das Leben nimmt alles von mir, um es ihr zu geben.» Oder, an Lorenza zu ihrem 17. Geburtstag: «Jede Welt hat ihre Dämonen. Bleibe den Welten fern, die du nicht kennst.» Oder: «Warum will Lorenza mich nicht sehen? Warum ist sie wütend auf mich?»

Manchmal überwältigt ihn auch die Wut, weil sich seine Tochter von ihm und der Mafia fernhält. Dann schreibt er, sie sei «im Tiefsten degeneriert».

Schon in jungen Jahren galt Messina Denaro als ausgesprochen brutal. Seinen ersten Mord soll er als 18-Jähriger begangen haben.

Zunächst lehnte es Lorenza Alagna ab, ihren Vater im Gefängnis zu besuchen, dann änderte sie offensichtlich ihre Meinung. Was sie sich durch die Glaswand hindurch gesagt haben, weiss man nicht. Ermittler und Öffentlichkeit verbinden mit dem Besuch aber eine Hoffnung: dass die Tochter ihren schwer krebskranken Vater dazu bewegt, mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Neben vielen anderen Geheimnissen könnte der Mafiaboss Hintergründe, Verantwortliche und Mitwisser jener mafiösen Attentate und Anschläge enthüllen, die den italienischen Staat in den 1990er-Jahren erschüttert haben bis in seine Grundfesten.

Vor zwei Jahren ist Lorenza Alagna Mutter geworden. Der Namen ihres Sohnes ist unbekannt – aber Matteo heisst er laut italienischen Medien nicht.