Analyse zu Elektroautos in der SchweizE-Mobilität-Boom stockt – was es jetzt braucht
Die Verkaufszahlen für Elektroautos erleiden derzeit einen Dämpfer. Das hat auch politische Gründe. Auf Energieminister Albert Rösti wartet ein Balanceakt.
Noch redet niemand von einer Krise. 2022 wurden weltweit mehr als 10 Millionen Elektroautos abgesetzt – ein Rekordjahr, wie schon 2021. Auch dieses Jahr hat mit guten Verkaufszahlen begonnen, wie Daten der Internationalen Energieagentur zeigen.
Mittlerweile gibt es aber Anzeichen, dass die Nachfrage schwächelt, zumindest in Teilen Europas. In der Schweiz ist im ersten Halbjahr der Anteil verkaufter Elektroautos im Gesamtmarkt kaum noch gewachsen. In Deutschland beklagen Hersteller rückläufige Auftragseingänge.
Die Abkühlung dürfte mit der aktuellen Konjunkturlage zusammenhängen. Die Inflation macht vielen Menschen zu schaffen, sie warten mit einem Fahrzeugkauf erst einmal zu. Das erklärt den beobachteten Trend aber nur zum Teil. Das Problem geht tiefer.
Es muss gelingen, die Elektromobilität in den Alltag der Menschen zu integrieren.
In der Schweiz gibt es mittlerweile mehr als 130’000 Elektroautos. Das klingt nach viel, doch im Vergleich zu den total mehr als 4,7 Millionen Personenwagen hierzulande ist das nur ein kleiner Kreis. Es sind die Pioniere, jene, die von Elektroautos begeistert sind. Der grosse Rest fährt weiterhin mit Benzin oder Diesel.
Will die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden, wie es das Stimmvolk im Juni beschlossen hat, braucht es also einen Effort, gerade im Verkehr. Bis 2040 muss dessen Ausstoss gegenüber 1990 um 57 Prozent sinken, bis 2050 um 100 Prozent. Geschafft sind aber noch nicht einmal 6 Prozent.
Es muss gelingen, die Elektromobilität in den Alltag der Menschen zu integrieren. Ein Schlüssel dazu sind Ladestationen zu Hause. Heute sind es vor allem Hausbesitzer, die sich ein Elektroauto kaufen. Derzeit erfolgen schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der Ladevorgänge daheim. Doch die rund 70 Prozent der Bevölkerung, die eine Wohnung mieten oder Stockwerkeigentum haben, können nicht selbst darüber entscheiden, ob sie eine Ladestation installieren wollen oder nicht.
Ein Recht auf Laden könnte dies ändern. Doch der Bundesrat bremst. Zwar anerkennt er, dass die Verfügbarkeit einer Ladestation daheim eine «wichtige Voraussetzung» für den Kauf eines E-Autos sei. Doch zweifelt er die Verfassungsmässigkeit eines solchen Rechtsanspruchs an, weil unter anderem die Eigentumsgarantie davon tangiert wäre. Wie eine juristisch saubere Lösung aussehen könnte, dazu schweigt sich der Bundesrat aus.
Sorge oder Kalkül?
Ist das mutlos, wie Förderer der Elektromobilität klagen? Vielleicht leitet den Bundesrat, allen voran Energieminister Albert Rösti, etwas anderes: Vorsicht. Die Schweiz wird wegen der Dekarbonisierung des Verkehrs (und der Gebäude) deutlich mehr Strom als heute verbrauchen und überdies den Wegfall der vier noch laufenden Kernkraftwerke kompensieren müssen – eine schwierige Aufgabe.
Ob in der Schweiz in Zukunft genügend Strom zur Verfügung stehen wird, ist denn auch umstritten.
Der Ukraine-Krieg und die damit verknüpfte Energiekrise haben bei vielen Menschen das Vertrauen in eine sichere Stromversorgung erschüttert. Der innenpolitische Dauerstreit um neue Kernkraftwerke, Solaranlagen und Windräder sowie das jahrelange Warten auf ein Stromabkommen mit der EU tun ein Übriges. Womöglich ist der Bundesrat an einer allzu schnellen Ausbreitung der E-Autos daher gar nicht interessiert.
Die Sorge um die künftige Stromversorgung ist sicher ernst zu nehmen, eine Strommangellage könnte drastische Schäden anrichten, nicht nur ökonomische. Nur: Die Sorge darf nicht zum Vorwand geraten, die Pläne für eine zügige Dekarbonisierung der Schweiz zu hintertreiben. Auf Klima- und Energieminister Rösti wartet ein Balanceakt. Die Absturzgefahr ist – beträchtlich.
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