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Gianni Ehrensperger vom EHC Kloten
«Es hilft, wenn ein kleiner Hockeystock unter dem Christbaum liegt»

2023_12_04_Kloten_EHC Kloten - Gianni Ehrensperger und die Eishockeyschule am Schluefweg.
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Ein Pfiff genügt. Von allen Seiten flitzen sie zum Bullypunkt, gelbe, grüne, rote und blaue Punkte. Vierzig Kinder auf Kufen zeichnen an diesem Montagnachmittag in der Stimo-Arena in Kloten ein Wimmelbild auf blankes Eis. Sekunden später knien die Eishockey-Junioren in ihren bunten Überziehern um den Mann mit der Trillerpfeife. Er geht in die Hocke und erklärt eine Übung, deren Kern den Kindern sichtlich gefällt: «Vollgas übersetzen wie ein Formel-1-Auto.»

Gianni Ehrensperger arbeitet seit vier Jahren im Nachwuchsbereich des EHC Kloten und ist für die jüngsten Flieger bis zur Alterskategorie U-11 zuständig. Seine Funktion ist «Stufenleiter Erfassung». Es ist eine sperrige Bezeichnung für eine Aufgabe, die er selbst mit Kreativität, Neugierde und spielerischem Lernen verbindet.

Der 38-jährige ehemalige Eishockey-Profi tüftelt gern und sucht nach kreativen Herangehensweisen, um seinen Juniorinnen und Junioren das Eishockey zu vermitteln. Gerade schaut Ehrensperger ihnen zu, wie sie versuchen, möglichst viel PS aufs Eis zu bringen, und sagt: «So haben wir das noch nie gemacht. Es könnte heute leicht chaotisch werden.»

2023_12_04_Kloten_EHC Kloten - Gianni Ehrensperger und die Eishockeyschule am Schluefweg.

Gianni Ehrensperger, was lernen Ihre Juniorinnen und Junioren heute?

Es kommen verschiedene Bewegungsformen mit Puck zum Zug. Vorwärts und rückwärts übersetzen, das Passen im Lauf. Bewegung ist zentral in unserem Sport, auf dem Eis stehst du nie still.

Schlittschuhe vor Stock also?

Unbedingt. Viele unserer Juniorinnen und Junioren nehmen sogar zusätzlich Eiskunstlaufkurse. Wer besser Schlittschuh laufen kann, kommt schneller an den Puck, kann mehr dribbeln und ausprobieren. Mit dem Stock hingegen können die Kinder auch zu Hause üben.

Haben Späteinsteiger im Eishockey überhaupt eine Chance?

Wenn ein 13-Jähriger damit anfangen will und noch nie auf Schlittschuhen gestanden hat, kann er das kaum noch aufholen. Ihm fehlen im Vergleich mit den anderen Junioren mindestens fünf Jahre. Diesen Kindern sagen wir ehrlich, dass es sehr, sehr schwierig wird. Dass ein Kind aus Altersgründen von vornherein abgewiesen wird, kommt aber selten vor.

Was ist ein gutes Einstiegsalter?

Wir haben keine Altersbeschränkungen. Aber einem 2-Jährigen die Windeln wechseln, das machen wir nicht. Ideal ist ein Alter zwischen 4 und 6 Jahren, wenn die Kinder bereits in den Kindergarten gehen und sich die Trennung von zu Hause schon gewohnt sind. Grundsätzlich möchten wir auf den untersten Nachwuchsstufen allen eine Chance geben, doch aktuell stossen wir an unsere Kapazitätsgrenzen.

Gibt es bereits Wartelisten?

Ja, eine solche mussten wir für die Hockeyschule leider einführen. Inzwischen haben wir 193 Juniorinnen und Junioren auf unserer Erfassungsstufe in Kloten. Da wir all diesen Kindern Taschen, Trikot, Schoner und häufig auch den Helm zur Verfügung stellen, sind unsere Möglichkeiten momentan punkto Material erschöpft. Ich finde es enorm wichtig, dass die Einsteiger gut betreut sind.

Dazu gehört, dass heutzutage in Grossclubs nicht mehr engagierte Eltern, sondern Profis die Jüngsten trainieren.

Das ist ein wichtiger Punkt. Schon als Spieler habe ich die Meinung vertreten, dass wir unsere Basis stärken müssen und die bezahlten Profitrainer nicht erst für die fortgeschrittenen Nachwuchsteams anstellen dürfen. Schliesslich ist auf den jüngeren Stufen das goldene Lernalter für koordinative Fähigkeiten, die im Eishockey essenziell sind. Deswegen müssen gerade bei den Einsteigern gut ausgebildete Coachs eingesetzt werden. Zum Glück fürs Schweizer Eishockey wird das inzwischen nicht nur in Kloten so praktiziert.

2023_12_04_Kloten_EHC Kloten - Gianni Ehrensperger und die Eishockeyschule am Schluefweg.

Wie kam es zu Ihrem Engagement am Schluefweg?

Patrik Bärtschi, der damalige Nachwuchschef des EHC Kloten, rief mich im Dezember 2019 an und sagte: «Du wolltest doch immer ganz unten einsteigen, ich habe eine Aufgabe für dich.» Der Entscheid ist mir nicht leichtgefallen. Ich lebte gern in Bern, eine Rückkehr nach Kloten war nicht geplant. Aber ich stand kurz vor dem Abschluss meines Masters in Bewegungswissenschaften an der ETH und habe während meiner Praktika in Zug und Langenthal bemerkt, dass ich gern mit Kindern arbeite. Zudem ging es mir auch gesundheitlich besser. Die Anfrage kam also im richtigen Moment.

Sie erlitten 2016 eine weitere schwere Gehirnerschütterung und beendeten Ihre Karriere. Wie haben Sie diesen Moment in Erinnerung?

Passiert ist es in einem NLB-Spiel mit Langenthal. Ein Puck traf mich mit voller Wucht im Gesicht, und die Wunde musste mit sieben Stichen genäht werden. Im Eishockey ist es normal, dass man danach wieder zurück aufs Eis geht. Ein Betreuer kam in die Kabine und fragte mich: «Kommst du nochmals?» Meine Antwort war: «Nein, ich komme nicht wieder.» Wie sich dann schnell herausstellte, war dies das letzte Spiel meiner Karriere gewesen. Wie gesagt: Ich hatte zu diesem Zeitpunkt mehrere Gehirnerschütterungen hinter mir.

Mit welchen Folgen?

Ich hatte Mühe mit hellem Licht und brauchte länger, um mein Sehbild scharf zu stellen. Und ich litt unter grosser Müdigkeit. Das machte mich in den letzten Jahren anfälliger, sensibler und in der Folge vorsichtiger. Wenn du im Spiel aber plötzlich überall die Gefahr siehst, kommst du nicht mehr an deine Leistungsgrenze heran.

Gianni Ehrensperger, rechts, von Biel gegen Mathis Olimb von Kloten im Meisterschaftsspiel der National League A zwischen dem EHC Biel und Kloten Flyers am Dienstag, 22. Dezember 2015, in der Tissot Arena in Biel. (KEYSTONE/Thomas Hodel)

Kloten ist Ihr Stammverein, Ihre erfolgreichste Zeit aber erlebten Sie mit dem EHC Biel. Höhepunkt war der Aufstieg in die National League 2008. Kam in Ihrer Karriere etwas an dieses Ereignis heran?

Die Aufstiegsspiele gegen Basel waren für mich definitiv das Highlight. Allerdings verbinde ich auch die zwei Ligaerhalte mit ähnlich grossen Emotionen. Vor allem der zweite 2010, als wir in der Ligaqualifikation gegen Lausanne 2:3 zurücklagen. Ich sass vor Spiel 6 in der Garderobe, und mir war bewusst: Heute spiele ich um meine Existenz. Bei einer weiteren Niederlage wäre ich mit Biel nicht nur abgestiegen, sondern per sofort arbeitslos gewesen. Ich hätte zudem aus der EHC-Wohnung ausziehen müssen. Der Druck war riesengross und genauso die Erleichterung, nachdem wir den Ligaerhalt geschafft hatten. Ich glaube, dieses befreiende Gefühl kann nicht besser sein bei einem Titelgewinn.

Ihr Grossvater und auch Ihr Vater spielten einst für den EHC Kloten. Hatten Sie und Ihr Bruder in dritter Generation überhaupt eine Wahl?

Natürlich. Mein Vater war vierzig Jahre lang Eishockey-Trainer und hat immer zu uns gesagt, dass wir frei entscheiden dürfen. Ein einziges Mal ging ich tatsächlich ins Fussball-Training in Kloten, danach nie wieder. Nichts hat mich so sehr gepackt wie Eishockey.

Der Schweizer Eishockey Schiedsrichter Heinrich Ehrensperger leitet ein Spiel waehrend der A-Weltmeisterschaft im Maerz 1971 in der Schweiz. Nach laengerer Krankheit ist der ehemalige Eishockey- Spitzenschiedsrichter Heinrich "Heiri" Ehrensperger (80) in Kloten gestorben, wie am Freitag, 18. Januar 2008 bekannt wurde. Der fruehere Spieler, Trainer und Praesident des EHC Kloten stand gemaess einer Statistik des Tages-Anzeigers insgesamt 930-mal als Schiedsrichter im Einsatz. Ehrensperger pfiff an sieben WM-Turnieren sowie an den Olympischen Spielen 1968, 1972 und 1976. (KEYSTONE/STR) *** BLACK AND WHITE ONLY ***

Was halten Sie vom Spruch: «Eishockey liegt eben in der Familie»?

Profisport wird keinem Kind einfach so in die Wiege gelegt. Aber es hilft natürlich, wenn die Familie einen Bezug zum Sport hat und zu Weihnachten beispielsweise ein kleiner Eishockeystock unter dem Christbaum liegt. Ein motivierendes Umfeld ist ein entscheidender Faktor auf dem Weg zum Spitzensport. Wenn ich Fotos von mir anschaue, dann sehe ich mich immer im Kloten-Leibchen – ich war vollkommen hockeyverrückt, wollte immer «spile, spile, spile».

Was ist mit den Faktoren Physis und Talent?

Die Genetik spielt ebenfalls mit. Sie beeinflusst die körperliche Konstitution eines Sportlers, seine Kraft, Geschwindigkeit und Ausdauer und kann ganz an der Spitze entscheidend sein. Talent wiederum finde ich ein schwieriges Konzept. Für mich sind Talente «quick learners», Kinder, die schneller aufnehmen, umsetzen und vorwärtskommen als die anderen. Fortschritte wiederum wirken motivierend, was den Effekt verstärkt. Darum sage ich den Eltern auch, dass gar nicht so wichtig ist, was die Junioren bei mir lernen.

Sondern?

Dass sie vom Training mit so viel Begeisterung heimgehen, dass sie dort gleich wieder den Stock in die Hand nehmen. Es ist ein gutes Zeichen, wenn sie ihr Zimmer kaputt schiessen. Ernsthaft: Mein Einfluss beschränkt sich auf zwei Stunden Training pro Woche. Wenn ein Kind in einer Spielsportart richtig gut werden will, ist entscheidend, was es zu Hause übt.

2023_12_04_Kloten_EHC Kloten - Gianni Ehrensperger und die Eishockeyschule am Schluefweg.

Was schätzen Sie: Wie viele Ihrer 193 Junioren schaffen es später in den Profisport?

Da bin ich zurückhaltend. (überlegt) Zwei bis drei – oder vielleicht auch nur einer. Und es wird höchstwahrscheinlich nicht jener Junior sein, dem wir das jetzt am ehesten zutrauen. Wer glaubt, auf den untersten Stufen bereits die erfolgreichsten Spieler «pflücken» zu können, irrt gewaltig.

Sie halten also nichts von Talentförderung bei den Jüngsten.

Studien belegen, dass man mit Frühselektionen fast immer falschliegt. Das Fazit lautet: Wir können so früh nicht selektionieren. Darum versuchen wir in Kloten, den Kindern möglichst lange dieselben Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Wir halten die Trainingsgefässe bis zur U-15 grundsätzlich offen. Die Kinder lernen in ihrem Tempo und brauchen Zeit.

Und die Trainer Geduld. Sie sind ein passionierter Fischer. Hilft Ihnen das im Trainingsalltag?

Fischen verbinde ich nicht primär mit Geduld. Fischen ist für mich lernen zu scheitern. Denn meistens hast du keinen Fisch an der Angel. Was du dann brauchst, ist eine positive Grundeinstellung, die dich motiviert, immer wieder neue Möglichkeiten zu prüfen. So mache ich das auch im Training. Wenn ein Kind etwas noch nicht kann, gehe ich davon aus, dass ich noch nicht den richtigen Weg gefunden habe, es zu vermitteln. Ich suche dann gern neue Zugänge.

Und was machen Sie an Tagen, an denen scheinbar kein Kind richtig zuhört?

Herrscht ein Hühnerhaufen auf dem Eis, hängt das meistens mit mir selbst zusammen. Ich bin es, der unruhig oder angespannt ins Training kommt. Die Kinder sind ein Spiegel. Ich habe mich auch schon bei Ihnen dafür entschuldigt. Zurück kam: «Ist schon okay, Gianni.» Wie meisterlich Kinder im Verzeihen sind, erstaunt mich immer wieder. Ich schätze ihre Grosszügigkeit und Ehrlichkeit. Und diesen Willen, Neues zu lernen.

Sie scheinen Ihre zweite Berufung gefunden zu haben.

Und einen neuen Beruf. (lacht) Ich werde im Januar meine Ausbildung zur Kindergartenlehrperson beginnen. Ich mag den spielerischen Ansatz auf dieser Stufe. Die Junioren und die Eltern sind informiert. Mein Pensum beim EHC Kloten werde ich deswegen bald reduzieren.

Werden Sie Ihren Chindsgi-Kindern dereinst den Eishockey-Sport weiterempfehlen?

Phuu … (überlegt lange) Wenn ein Kind von sich aus will und Freude daran hat, dann ja. Wenn es aber Gitarre spielen und die Leute damit unterhalten kann, dann wäre das meine Empfehlung. Beides ist Showbiz, aber die Gitarre ist eindeutig weniger gefährlich.

2023_12_04_Kloten_EHC Kloten - Gianni Ehrensperger und die Eishockeyschule am Schluefweg.