Preise für LebensmittelDiscounter wagt Experiment und verlangt «wahre Kosten»
Einen «Preis für die Umwelt» verrechnet die deutsche Kette Penny. Mit Abgaben fürs Klima, fürs Wasser und die Gesundheit wird es ziemlich teuer.
Der Augenblick für Preiserhöhungen ist in den Augen der Kundinnen und Kunden wohl nie der richtige. Erst recht jetzt nicht: In Deutschland leiden viele Haushalte unter einer wahren Explosion der Lebensmittelkosten. Die Teuerung liegt derzeit bei über sechs Prozent.
Doch just jetzt testet der deutsche Discounter Penny in seinen 2150 Läden das Umweltbewusstsein der Kundschaft: Neun von 3000 Produkten werden diese Woche zu teilweise happigen Aufschlägen angeboten.
Zum Beispiel der Maasdamer Käse, eine niederländische Schnittkäsesorte aus Kuhmilch. Die 300-Gramm-Packung ist auf einen Schlag 94 Prozent teurer. Statt 2,49 Euro kostet der Käse diese Woche 4,84 Euro.
Der Aufschlag von 2,35 Euro verteilt sich so: 84 Cent entfallen auf klimaschädliche Emissionen der Landwirtschaft wie Methan oder CO₂. 76 Cent gehen auf die Bodenbelastungen durch die intensive Landwirtschaft zur Futterproduktion zurück. Dazu kommen weitere 63 Cent für die Auswirkungen von Pestizideinsatz auf die Gesundheit der Bauern und 12 Cent für die Belastung des Grundwassers durch Düngemittel.
Wiener Würstchen kosten 6,01 Euro statt 3,19 Euro. Der Preis für Mozzarella erhöht sich von 89 Cent auf 1,55 Euro, und für Fruchtjoghurt muss 1,56 Euro statt 1,19 Euro bezahlt werden. Geradezu günstig ist das vegane Schnitzel diese Woche zu haben. Die Preissteigerung beträgt nur 5 Prozent.
«Wir müssen uns der unbequemen Botschaft stellen, dass die Preise unserer Lebensmittel die Umweltfolgekosten nicht widerspiegeln.»
Der Discounter, der zur Rewe-Gruppe gehört (Jahresumsatz: 85 Milliarden Euro), begründet das Experiment damit, dass «jede Form von Produktion und Konsum Auswirkungen auf die Umwelt» hat. Stefan Görgens, Leiter des operativen Geschäfts bei Penny, räumt ein, dass viele Menschen unter hohen Lebensmittelpreisen leiden. «Dennoch müssen wir uns der unbequemen Botschaft stellen, dass die Preise unserer Lebensmittel, die entlang der Lieferkette anfallen, die Umweltfolgekosten nicht widerspiegeln.» Dafür wolle sein Unternehmen Bewusstsein schaffen.
Für das Experiment arbeitet der Discounter mit der Wissenschaftlerin Amelie Michalke von der Universität Greifswald und mit Tobias Gaugler von der Technischen Hochschule Nürnberg zusammen. Bei den Lebensmitteln – ob industriell gefertigt, ökologisch hergestellt oder frisch vom Acker – würden laut den beiden Wissenschaftlern heute nur die Produktionskosten und die jeweiligen Aufpreise in der Lieferkette veranschlagt. Welche gesellschaftlichen Kosten bei der Produktion in den Bereichen Gesundheit, Boden, Wasser oder Klima entstehen, werde weitgehend nicht berücksichtigt.
«Dass wir das nicht tun, ist zwar auf den ersten Blick billig, aber es ist nicht recht und billig», kritisiert Tobias Gaugler, «weil es auf lange Sicht sehr, sehr hohe Schadenskosten sind, die wir als Gesellschaft ja doch wieder bezahlen müssen.»
Nach den Berechnungen von Michalke und Gaugler kostet ein Bio-Joghurt, bei dem die Umweltfolgekosten miteinberechnet sind, bei Penny mit 1,56 Euro nur acht Cent weniger als ein vergleichbares, konventionell produziertes Joghurt. «Das liegt daran, dass der Biolandbau jetzt schon viel dafür tut, solche Kosten zu vermeiden. Es werden zum Beispiel synthetische Düngemittel vermieden, es werden Pestizideinsätze vermieden. Und so trägt der Biolandbau jetzt schon dazu bei, dass wahre Kosten vermieden werden», begründet Amelie Michalke die vergleichsweise geringen Preisaufschläge für Bioprodukte. Deshalb, so die beiden Forscher, sei der notwendige Aufschlag deutlich höher bei Milchprodukten und am höchsten beim Fleisch.
Ob die Kundinnen und Kunden von Penny bereit sind, die höheren Preise zu zahlen, wird sich zeigen. Marketingexperten, die in deutschen Medien zitiert werden, rechnen nur mit geringen Verkäufen bei den neun betroffenen Produkten.
Das zeigt auch eine Umfrage des deutschen Meinungsforschungsinstituts YouGov vom letzten Montag. Nur 16 Prozent der Deutschen planen, Produkte zu den «wahren Preisen» zu kaufen.
Für das Image des Discounters ist die Übung dennoch förderlich. Die Mehreinnahmen fliessen laut Penny in ein Gemeinschaftsprojekt mit einer Grossmolkerei in Bayern. Aus einem von beiden Parteien alljährlich gespeisten Fördertopf können die Milchlieferanten der Molkerei Gelder beziehen, wenn sie ihre Bauernhöfe energetisch optimieren wollen.
Auch ein Thema in der Schweiz?
Das Experiment in Deutschland stösst hierzulande auf wenig Interesse. Die Migros erklärt, dass sie bezüglich Nachhaltigkeit mit dem M-Check auf mittlerweile 5000 Produkten Transparenz geschaffen habe. Auf einer Skala von 1 bis 5, analog einer Hotelbewertung, stufe der M-Check die Migros-Eigenmarken hinsichtlich Klimaverträglichkeit, Tierwohl, umweltfreundliche Verpackung, Fisch aus verantwortungsvollen Quellen und Kreislauffähigkeit ein, sagt ein Sprecher.
So erhielten alle Kundinnen und Kunden einen Überblick, wie das Produkt in diesem Bereich im Vergleich zum Gesamtsortiment abschneidet. «Je mehr Sterne, desto nachhaltiger», betont der Sprecher – und damit oft auch teurer. «Bioprodukte beispielsweise erhalten mehr Sterne und sind in der Regel auch teurer als konventionell hergestellte Artikel. Mehrwert-Artikel sind in der Regel kostspieliger in der Herstellung.»
Coop setzt bei den Eigenmarken seit November auf den sogenannten Eco-Score. Dieser gebe «transparent Auskunft über die Umweltauswirkungen eines Produktes» und diene der Kundschaft als Hilfestellung beim Einkauf, sagt ein Sprecher. Die Bewertungen hätten jedoch keinen Einfluss auf die Preise. Und bei Coop gebe es keine Absichten, ein ähnliches Experiment wie bei Penny durchzuführen.
Bei deutschen Landwirten kommt die Penny-Aktion nicht überall gut an. Zum Beispiel bei Willi Kremer-Schillings, einem promovierten Agronomen, Hofbesitzer und Buchautor. In den sozialen Medien tritt er unter dem Namen «Bauer Willi» auf. Die «wahren Kosten» von Penny seien «Greenwashing vom Feinsten», kritisiert er. In den «wahren Kosten» nicht enthalten sei beispielsweise die «Versiegelung von landwirtschaftlichen Flächen durch 2100 Penny-Märkte mit ihren Parkplätzen».
Auch die Kosten für Weiterverarbeitung, Logistik und Energie seitens des Unternehmens würden nicht aufgeführt. «Ich finde diese Aktion einen Schlag ins Gesicht aller, die Lebensmittel erzeugen», ärgert sich Willi Kremer-Schillings.
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