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Viele Pestizide verboten
Bauern bangen um ihre Ernten 

Pflanzenschutzmittel: Die Palette der Wirkstoffe schrumpft zunehmend. 
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«Unverhältnismässig streng»: So umschreibt David Brugger, Leiter Bereich Pflanzenbau beim Schweizer Bauernverband, die neuen Regeln zu Pflanzenschutzmitteln, die der Bundesrat kurz vor Weihnachten gutgeheissen hat. «Wir befürchten dramatische Folgen für den Pflanzenschutz.»

Mit den Neuerungen, die am 1. Februar in Kraft treten, konkretisiert der Bundesrat, wann die Behörden die Zulassung eines Pestizids überprüfen müssen. Das Gesetz spricht nur vage von wiederholten und verbreiteten Grenzwertüberschreitungen. Nun hat der Bundesrat mit einer Verordnung Klarheit geschaffen: Die Überschreitungen müssen innerhalb eines Jahres in mindestens drei Kantonen festgestellt werden, in mindestens zwei von fünf aufeinanderfolgenden Jahren auftreten und in mindestens 5 Prozent der Trinkwassermessstellen oder in mindestens 10 Prozent der Messstellen bei Flüssen und Seen nachgewiesen sein. 

Der Bauernverband geht davon aus, dass der Bund die wegen der neuen Regel in die Überprüfung geschickten Wirkstoffe vom Markt nehmen wird. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sagt indes, für eine solche Aussage sei es noch zu früh. Ein Widerruf werde nur angeordnet, sofern eine Verwendung ohne «unannehmbare Risiken» nicht gewährleistet sei.

Von 435 auf 327 Wirkstoffe 

Die Sorge der Bauern gründet in einer Entwicklung, die schon länger anhält: Es gibt immer weniger Wirkstoffe, die in der Schweiz zugelassen sind. 2005 waren es 435. Letztes Jahr waren es noch 327, wie das BLV auf Anfrage bekannt gibt. Ein Viertel weniger also. Die fortschreitende Ausdünnung ist einerseits die Folge verschärfter Umweltauflagen, wie sie der Bundesrat nun beschlossen hat. Andererseits räumt die geltende Gesetzgebung der Schweiz kaum Spielraum ein, wenn in der EU ein Stoff verboten wird; sie muss faktisch nachziehen.

Die Situation verschärft sich weiter, weil mittlerweile mehr als 700 Gesuche hängig sind. Ein kleiner Teil davon betrifft neue Wirkstoffe, das Gros machen Gesuche für neue Produkte mit bereits bekannten Wirkstoffen und insbesondere neue Anwendungen für bereits bewilligte Pflanzenschutzmittel aus. Ein Vergleich mit früheren Jahren ist nicht möglich, da der Bund die Methodik bei der Zahlenerhebung geändert hat. Sicher aber ist der Pendenzenberg beträchtlich. Zwar erhält die Zulassungsstelle beim Bund nun zwei neue Stellen. Ob das die erhoffte Beschleunigung bringen wird, ist aber ungewiss.   

Kritik an der schleppenden Behandlung kommt auch von der Industrie, die Pflanzenschutzmittel herstellt. Der Verband Scienceindustries mahnt schon länger, der Bund müsse sicherstellen, dass risikoärmere Alternativen rasch auf den Markt kämen. Die bisherige Politik zeitigt jedenfalls Folgen: Es entstehen Lücken beim Schutz gewisser Kulturen, wie das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) bestätigt, etwa beim Kohlgemüse, bei Bohnen, Raps oder Obstbäumen.

«Das Bundesamt für Umwelt stellt den Vorsorgegedanken über alles andere.»

David Brugger, Bauernverband

In manchen Kulturen stehen derzeit nur noch ein bis zwei Wirkstoffe zur Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten zur Verfügung. «Das unterläuft die Strategie, Resistenzentwicklungen zu vermeiden, die just auf der Anwendung alternierender Wirkstoffe beruht», sagt Scienceindustries-Direktor Stephan Mumenthaler. Er vermisst eine «ganzheitliche Perspektive», der Bundesrat setze die Beschlüsse des Parlaments «sehr restriktiv» um. Der Bauernverband seinerseits warnt vor mehr schlechten Ernten und mehr Importen aus dem Ausland. «Es braucht nun einen Marschhalt», sagt David Brugger. 

Scharfe Kritik am Bafu

Vor zwei Jahren hat das Parlament beschlossen, bis 2027 die Risiken von Pestiziden zu halbieren – eine Reaktion auf die Kontroverse um das Pilzbekämpfungsmittel Chlorothalonil sowie die Pestizidverbots- und die Trinkwasserinitiative, die das Volk später ablehnte. Seither hat das Parlament eine Reihe von Verschärfungen verabschiedet. So etwa dürfen Bauern, die Direktzahlungen erhalten wollen, bestimmte Pestizide nicht mehr verwenden. Hinzu kommt: Das Risiko, dass Pestizide das Wasser verunreinigen, hat gemäss BLW abgenommen. Im Fall des Grundwassers zum Beispiel habe es sich 2021 im Vergleich zum Zeitraum 2012 bis 2015 halbiert.

Für den Bauernverband zeigt dies: Die getroffenen Massnahmen genügen, um das Halbierungsziel bis 2027 zu erreichen. «Trotzdem wird die Pipeline mit neuen Einschränkungen laufend nachgeladen», sagt Brugger. Der Bauernverband kritisiert namentlich das Bundesamt für Umwelt (Bafu), das nach den Wirkstoffen in den Gewässern sucht. «Das Bafu stellt den Vorsorgegedanken über alles andere.» Der Schutz der Kulturen dagegen habe im Bafu keinen Stellenwert. Dabei gewichte der nationale Aktionsplan Pflanzenschutzmittel diesen gleich hoch wie das Ziel, weniger Pestizide zu gebrauchen. 

«Einen zweiten Fall Chlorothalonil darf es nicht geben.»

Tobias Herbst, Aqua Viva 

Das Bafu weist die Kritik zurück. Es geht davon aus, dass der neuen Regelung wegen nur einzelne Wirkstoffe die Genehmigung verlieren werden. Ab 2025 müssten die Zulassungen von schätzungsweise acht Wirkstoffen überprüft werden. Laut Bafu besteht die Möglichkeit, die Anwendungen, etwa mehr Abstand zum Gewässer, anzupassen und so die Grenzwerte einzuhalten. Zudem kann der Bundesrat für eine begrenzte Zeit darauf verzichten, einen Wirkstoff zu verbieten, sofern die Versorgung im Inland durch wichtige landwirtschaftliche Kulturen stark beeinträchtigt wird.  

Tatsache ist auch: Die Verschärfungen sind in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst worden. «Einen zweiten Fall Chlorothalonil darf es nicht geben», sagt Tobias Herbst, Sprecher der Gewässerschutzorganisation Aqua Viva. Noch heute sei das Trinkwasser von circa 1 Million Menschen mit diesem Stoff belastet. «Eine sorgfältige Überprüfung von Schadstoffen, die unser Trinkwasser und damit auch unsere Gesundheit beeinträchtigen könnten, sollte eine Selbstverständlichkeit sein.»