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Einer kommt immer zu kurz

Wie soll man sich bloss um zwei Kinder gleich gut kümmern?

Als ich meinem Vater Anfang Jahr erzählte, dass ich mit unserem zweiten Kind schwanger sei, reagierte er wenig euphorisch. «Nun wollt ihr es aber genau wissen», sagte er. «Ihr habt doch so einen glücklichen Sohn. Man weiss ja nie, wer da als Nächstes kommt.» Diese Reaktion machte mich damals unglaublich wütend. Nur muss ich ihm heute leider ein wenig recht geben. Was sich jedoch nicht negativ auf meine eigene Euphorie für unseren kerngesunden Zweitgeborenen auswirkt. Nur bin ich seit seiner Geburt mit einem Gefühl konfrontiert, mit dem ich in dieser Intensität nicht gerechnet habe – mit meinem inneren Konflikt, beiden Kindern und ihren individuellen Bedürfnissen nicht gerecht werden zu können.

Mein älterer Sohn ist zweieinhalb Jahre alt. Sein Naturell ist sehr aufgeweckt, offen, kommunikativ, unterhaltend, einnehmend, sensibel … Die Liste ist lang. Und natürlich ist er gerade in der berüchtigten Trotzphase. Nein zum Rausgehen, Nein zum Reingehen, wenn wir draussen sind, und so weiter. Auch diese Liste ist lang.

Wir zwei haben unsere festen Rituale. Vor allem wenn es ums Schlafengehen geht. Da singe ich ihm Gutenachtlieder und er hält mein Ohr. Eine angeborene Vorliebe die ihn beruhigt und ihm ein Gefühl der Geborgenheit gibt. In den zwei Monaten, seit unser zweiter Sohn da ist, konnte ich den Grossen erst dreimal ins Bett bringen. Ich verbringe den ganzen Tag mit ihm und vermisse ihn trotzdem. Vor allem die körperliche Nähe zwischen uns.

Kleine Übermüdungsdepressionen

Unser Kleiner weint öfter, als es der Grosse als Baby damals getan hat. Meistens abends und in der Nacht. Am wohlsten war ihm bisher immer ganz nah bei mir. Im Tragetuch oder auf meinem Bauch liegend. Stimmt also, mein Vater hatte recht, ich wusste nicht, wer da kommt. Aber dieser kleine Mensch, der so anders ist, hat mit seinen Bedürfnissen genau die gleiche Berechtigung nach Aufmerksamkeit, Fürsorge und Liebe wie ein «einfacheres» Baby. Und ich liebe es, ihm diese Nähe zu geben.

Aber dann gibt es jetzt manchmal diese schwierigen Momente: Wir kommen gerade vom Spielplatz nach Hause, im Treppenhaus fordern beide Kinder schreiend meine Nähe, während mir die Einkaufstasche beim Herausnehmen aus dem Kinderwagen reisst, mit dem Abendessen-Kochen bin ich schon lange in Verzug – und dann kommt uns noch die Nachbarin, die Kinder hasst, entgegen.

In diesen Momenten würde ich auch am liebsten weinen. Und manchmal tue ich das dann auch. Abends, wenn ich im Bett liege. Vor Erschöpfung, Übermüdung und dem Gefühl, den beiden kleinen Seelen nicht gleich gerecht werden zu können – von der To-do-Liste im Hinterkopf, die sich wohl bis Weihnachten nicht erledigen lässt, ganz zu schweigen.

Von 100 Prozent Aufmerksamkeit auf ein Drittel

Meine Mutter, selbst eine Zweitgeborene, sagt, die Zweitgeborenen seien stets die Leidenden, Vernachlässigten, im Schatten der Erstgeborenen Stehenden. Doch ich finde, Vernachlässigung trifft, wenn überhaupt, eher die Erstgeborenen. Die müssen schliesslich von 100 Prozent Aufmerksamkeit auf vielleicht ein Drittel runterschrauben, selbst wenn man das als Eltern nicht will.

Wichtig für mich selbst war, zu definieren, dass meine Söhne in einem Alltag voller Liebe gross werden. Auch wenn nicht immer alles perfekt und mit maximaler Aufmerksamkeit für den Einzelnen abläuft. Das Erlernen eines gesunden Masses an Kompromissbereitschaft und Flexibilität hat all den Geschwistern auf diesem Planeten bestimmt nicht geschadet.

Und urplötzlich, dann, wenn alle ein wenig im neuen Alltag angekommen sind, klappt es, dass ich den Kleinen problemlos in sein Bettchen schlafen legen, anschliessend den Grossen ins Bett bringen kann, und am Schluss sogar noch etwas Zeit und Energie übrig bleibt, um diesen Artikel zu schreiben.

Dieser Artikel wurde erstmals am 6. November 2018 publiziert und am 31. Juli 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.