Star der deutschen LinkenEine Partei für Sahra Wagenknecht allein
Mit russlandfreundlichen Provokationen treibt Sahra Wagenknecht die Linkspartei an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Will sie die Partei bald verlassen?
Sahra Wagenknecht ist die populärste deutsche Politikerin links von Grünen und SPD. Die 53-Jährige mit der strengen Frisur und den pastellfarbenen Kostümen wird in jede Talkshow eingeladen, ihre Bücher sind Bestseller, ihr Youtube-Kanal zählt 600'000 Abonnenten – 20-mal mehr als derjenige ihrer Partei. Bewundert wird sie dabei nicht nur von Linken, sondern auch von vielen Wählerinnen und Wählern der rechtsradikalen Alternative für Deutschland (AfD).
Ihre letzte Rede im Bundestag sorgt bis heute für Erschütterungen. Wagenknecht warf der deutschen Regierung vor, einen «beispiellosen Wirtschaftskrieg» gegen Russland «vom Zaun gebrochen» zu haben und damit die Energieversorgung des Landes zu gefährden. Es klang, als sei Wladimir Putin das Opfer, nicht der Aggressor. Die AfD applaudierte der Rednerin von links aussen in fünf Minuten sechsmal.
Die Grünen sind die «gefährlichste Partei»
Ein wenig später zündete sie in einem Video ihren nächsten Sprengsatz: Sie halte die Grünen «für die heuchlerischste, abgehobenste, inkompetenteste und gemessen am Schaden, den sie verursacht, auch die gefährlichste Partei im Deutschen Bundestag». Die Ampelregierung müsse gestoppt werden, sonst habe sie «grosse Sorgen, in welchen Verhältnissen wir in ein, zwei Jahren aufwachen werden».
Wagenknechts Provokationen lösen in ihrer Partei schon lange nur noch Entsetzen und Empörung aus. Ihre Rede zu Russland führte dazu, dass einige bekannte Politiker der Linken den Rücken kehrten und viele Wagenknecht ihrerseits dazu aufforderten, die Partei zu verlassen. Was die Grünen angeht, mit denen die Linke in Bremen, Thüringen und in der Stadt Berlin regiert, widersprach ihr Fraktionschef Dietmar Bartsch öffentlich: «Die gefährlichste Partei ist immer noch die AfD.» Zuvor hatte Wagenknecht schon bei anderen Schlüsselthemen das Gegenteil von ihrer Partei behauptet – etwa in der Flüchtlings- oder Klimafrage sowie bei der Bekämpfung von Corona.
Es geht um Millionen
Bei der Linken finden mittlerweile die meisten, dass es mit ihrem grössten Star so nicht weitergeht. Sie sehnen die Trennung herbei, fürchten sich aber zugleich davor, dass danach von ihnen selbst nicht mehr viel übrig bleiben könnte. Die Frage sei nicht mehr, ob Wagenknecht die Partei verlasse, schrieb die «Süddeutsche Zeitung» kürzlich, sondern, wann – und wie viele Getreue sie dabei mitnehme. In der Fraktion zählt man fünf bis elf «Wagenknechte». Folgen nur zwei von ihnen ihrem Idol, verliert die Linkspartei ihren Status als Fraktion im Bundestag – und damit sehr viel Geld.
Im Fernsehen der Boulevardzeitung «Bild» sagte Wagenknecht kürzlich, sie wünsche sich, «dass in Deutschland eine Partei entsteht, die die Politik der Regierung verändern kann». Ihr sei freilich bewusst, dass eine Neugründung nicht einfach sei. Immerhin hatte sie 2018 bereits einen Versuch unternommen. Ihre «Aufstehen»-Bewegung scheiterte aber spektakulär, Wagenknecht war am Ende ausgebrannt und krank.
Oder doch lieber privatisieren?
Die Ego-Shooterin dürfte daraus den Schluss gezogen haben, dass ihre nächste Partei höchstens noch eine «Liste Wagenknecht» sein könnte – eine rigoros auf sie zugeschnittene Formation also. Ein Meinungsforscher will für eine solche Partei ein Potenzial von 10 bis 30 Prozent gemessen haben, insbesondere im Osten Deutschlands könne Wagenknecht die AfD halbieren. Deren Chefin Alice Weidel gab denn auch schon offen zu, dass sie sich mit der Populistin von links um dieselben Wähler streite.
Ob Wagenknecht mit einer neuen Partei nur droht oder kokettiert – oder am Ende tatsächlich springt, weiss sie vermutlich selbst noch nicht. Der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» sagte sie kürzlich: «Theoretisch könnte ich auch privatisieren. Ich möchte weiterhin Bücher schreiben und brauche Freiräume, um zu lesen und zu denken. Anderseits möchte ich aber schon auch noch etwas bewegen.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.