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Parteitag in Erfurt
Die Linke kämpft um ihre letzte Chance

Teil des Problems oder Teil der Lösung? Sahra Wagenknecht ist zugleich die populärste wie die verhassteste Politikerin der deutschen Linkspartei.
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Manchmal steht man früher auf dem Gipfel, als man denkt. 2009, zwei Jahre nach ihrer Gründung, feierte die Linkspartei bereits ihre grössten Erfolge: 12 Prozent bei der Bundestagswahl, fast 30 Prozent bei Wahlen im Osten. Danach ging es mehr oder weniger kontinuierlich bergab, erst schleichend, zuletzt rasend schnell.

Zwischendurch gab es noch vereinzelt Erfolge. 2014 etwa, als Bodo Ramelow in Thüringen zum bisher einzigen linken Ministerpräsidenten gewählt wurde. Auch in den Stadtstaaten Berlin und Bremen regiert die Linke derzeit wenigstens mit, ebenso in Mecklenburg-Vorpommern.

Und dann trat noch die falsche Chefin zurück

Doch zuletzt beschleunigte sich der Niedergang so dramatisch, dass dahinter alles andere verblasste. 2019 war die Linke im Westen teilweise auf 5, im Osten auf 10 Prozent Stimmenanteil abgesackt – die rechtsradikale AfD hatte sie als führende Partei des ostdeutschen Ressentiments ersetzt.

Bei der Bundestagswahl im letzten Herbst stürzte die Linke unter die 5-Prozent-Hürde und blieb nur im Bundestag, weil es ihr gelang, drei Direktmandate zu erobern. Im April erschütterten sie dann noch Vorwürfe wegen Machtmissbrauchs und sexualisierter Gewalt. Co-Chefin Susanne Hennig-Wellsow trat zurück – nicht zuletzt aus Ärger über die zweite Co-Chefin Janine Wissler, an die sich einige Vorwürfe richteten.

Desaströse Bilanz: Dennoch möchte sich Janine Wissler am Parteitag als Chefin der Linken wiederwählen lassen.

Die Linke entstand 2007, als sich die Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED aus dem Osten mit einer SPD-Abspaltung sowie linksradikalen Splittergruppen aus dem Westen zusammenschloss. Bis heute ist es ihr nicht gelungen, diese Teile zu einer Partei mit gemeinsamen Botschaften und Zielen zusammenzufügen. Statt eine breit wählbare sozialistische Alternative zu bieten, stritt die Partei seit je lieber mit sich selbst.

Grob gesagt, stehen sich zwei Projekte unversöhnlich und teilweise unvereinbar gegenüber: eines, das vor allem junge, akademisch gebildete, kosmopolitische und woke Linke in den Grossstädten im Westen anzieht, ein anderes, dessen Blick vor allem älteren, ärmeren, ehemals kommunistischen Wählern im Osten gilt. Dazu kommt noch das EU-, USA- und einwanderungsfeindliche Ego-Projekt der zugleich populärsten und verhasstesten Politikerin der Linken: Sahra Wagenknecht.

Der Linken fehlt vor allem ein Markenkern

Kurz, die Linke steht bei ihrem dreitägigen Parteitag, der ab Freitag im thüringischen Erfurt stattfindet, vor einer fast unmöglichen Aufgabe. Einerseits soll sie eine neue Führung wählen, die nicht nur Lager repräsentiert, sondern das Gemeinsame in den Vordergrund stellt. Die bisher genannten Kandidatinnen und Kandidaten, unter ihnen Wissler, stehen dafür eher nicht.

Andererseits fehlt – abgesehen vom Ausbau des Sozialstaats – ein Markenkern, hinter dem die Partei sich versammeln könnte. Bei den wichtigsten Themen – Pandemie, Klima, Ukraine-Krieg – herrschte bei der Linken zuletzt eine Kakofonie der Meinungen, die es so ähnlich nur noch bei der AfD gibt. Vor allem, was Russland und die Nato angeht, widersprechen sich wichtige Stimmen der Partei diametral. «Wenn wir jetzt in der Regierung wären», seufzte der alte Kämpe Gregor Gysi nach Kriegsbeginn hellsichtig, «das wäre eine absolute Katastrophe.»

Ist Wagenknecht bald weg?

Wagenknecht hatte bereits 2018 eine neue Sammlungsbewegung namens «Aufstehen» gegründet, um Wege ausserhalb der Partei zu erproben. Als ihr Versuch scheiterte, zog sie sich erst als Fraktionschefin, danach auch sonst immer weiter zurück. Den Parteitag bezeichnet die 52-Jährige nun als «letzte Chance» für die Partei. Gefällt ihr nicht, was herauskommt, ist es durchaus möglich, dass der grösste Star die Partei verlässt – so wie es im Frühling ihr 78-jähriger Ehemann Oskar Lafontaine vorgemacht hat, einer der Gründer der Linken im Westen.

Auch weitere Abspaltungen sind denkbar, selbst eine Neugründung wird nicht ausgeschlossen. Ob ein Austritt von Wagenknecht und ihren Fans die Partei eher stärken oder dieser vielmehr den Todesstoss versetzen würde – auch darüber wird bei der Linken bereits gestritten, heftig und unüberbrückbar.