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#MeToo bei der Linken
«Toxische Machokultur»

Hat sie junge Frauen zu wenig geschützt? Parteichefin Janine Wissler steht im Zentrum der #MeToo-Vorwürfe der deutschen Linkspartei.
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Ein wichtiger hessischer Politiker der Linken, 41 Jahre alt, klettert nachts auf den Balkon einer 17-jährigen Parteinovizin, um sie sexuell heimzusuchen – gegen ihren Willen, wie die junge Frau sagt. Die Betroffene, die mit Adrian G. eine mehrmonatige Affäre unterhält, unterrichtet Janine Wissler von dem Vorfall, die damalige Chefin der hessischen Linken – zu jener Zeit zudem Lebenspartnerin des Mannes. Und was tut Wissler? Sie verlässt ihren Partner, behält den Vorfall aber für sich. Die junge Frau habe auch nicht um Hilfe gebeten, verteidigt sie sich heute.

Der «Spiegel» hat vor kurzem diesen und ein Dutzend weiterer Fälle sexualisierter Gewalt zusammengetragen, die nun die Linke in den Grundfesten erschüttern. Die Vorwürfe reichen von sexistischen Sprüchen, Machtmissbrauch und Belästigungen bis hin zu Vergewaltigung. Von einer «toxischen Machokultur» ist die Rede. Gremien der Partei wussten teilweise seit Jahren von den Vorwürfen, gingen ihnen aber nicht nach oder schützten eher Täter als Betroffene.

Nach Aufruf gingen 60 weitere Fälle ein

Was in Hessen 2018 geschah, bringt vor allem Wissler in Not, die seit 14 Monaten die deutsche Linkspartei leitet. Konsequenzen zog bisher aber nur Susanne Hennig-Wellsow, die diese Woche Knall auf Fall ihr Amt als Co-Chefin an der Seite Wisslers niederlegte und dies auch mit dem Umgang ihrer Partei mit Sexismus begründete.

Der Vorstand beschloss nun, dass Wissler die Partei vorerst allein führen soll, bis im Juni die gesamte Spitze neu gewählt wird. Was die #MeToo-Vorwürfe angeht, verspricht die Linke Aufklärung und bessere Anlaufstellen für Betroffene. Der Hessische Landesverband suspendierte zudem zwei beschuldigte Mitarbeiter. Nach Aufrufen, sich zu melden, falls man selbst sexualisierte Gewalt erlebt habe, gingen landesweit innert Tagen 60 weitere Fälle ein.

Trat die Falsche zurück? Susanne Hennig-Wellsow war offenbar entsetzt über den Umgang ihrer Partei mit sexistischem Verhalten.

Für eine Partei, die sich wie keine andere in Deutschland als radikal feministisch und emanzipatorisch versteht, sind die Vorwürfe eine politische und moralische Katastrophe. Nach schweren Wahlniederlagen und selbstzerstörerischen Streitereien steht die Linke ohnehin schon am Abgrund. Die #MeToo-Debatte in eigener Sache könnte sie nun hinunterstossen.

Die Vorwürfe stammen vor allem von Frauen aus der Jugendorganisation und richten sich gegen die Altherrenclubs, die die Linke an vielen Orten dominieren. Der Partei sei nicht bewusst, erklären Sprecherinnen der Linksjugend, wie gross das Sexismus-Problem tatsächlich sei. «Ich kenne keine Genossin, die noch nie sexistisch angegangen wurde», sagte Sarah Dubiel der «Zeit». «Entweder wir brechen das jetzt, oder die Partei bricht», meinte Jakob Hammes zum «Spiegel».

Ob Wissler sich halten kann, ist fraglich

Was von den Beschuldigungen zutrifft und was nicht, ist von aussen kaum zu beurteilen. Der «Spiegel» verfügt über Dokumente und eidesstattliche Aussagen von Betroffenen, die die Vorwürfe belegen sollen. Wahr ist aber auch, dass bisher alle staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen – auch die im Fall Adrian G. – wegen mangelnden Tatverdachts eingestellt wurden. Manche Beschuldigte haben nun ihrerseits Strafanzeigen wegen Verleumdung eingereicht.

Nicht wenige in der Partei glauben, die Frauen verfolgten das Ziel, die Partei zu vernichten. Sie hätten sich dazu in Chatgruppen organisiert, die Namen wie «Macker Massaker Rhein-Main» tragen, berichtete die «Frankfurter Allgemeine Zeitung».

Ob Wissler sich in diesem Sturm halten kann, ist fraglich. Die 41-jährige Trotzkistin gilt als Perfektionistin, die gern alles unter Kontrolle hält. Entsprechend verhielt sie sich offenbar auch im Fall Adrian G. Es war ihr anscheinend wichtiger, ihr Privatleben zu schützen, als den Fall vor die Parteigremien zu bringen und der Betroffenen zu helfen. Sie sei damit «ihrer Verantwortung als Dienstherrin» nicht nachgekommen, heisst es nun in der Partei.