Einblick in die Hard-Techno-Szene158 Beats pro Minute: Wer ihre Musik auf dem Sofa hört, dreht fast durch
Der Techno wird in Zürich immer schneller. Und macht junge DJs erfolgreich. Eine von ihnen ist Lena Bärlocher. Ein Unfall zerstörte ihre Ballettkarriere. Jetzt ist sie Cataluna.
Es ist, wie wenn eine Fagottspielerin plötzlich Gangsterrapperin wird, oder ein Konditor Velomech.
Seit sie vier Jahre alt ist, trägt Lena Bärlocher Ballerinas, tanzt in der Ballettschule fürs Zürcher Opernhaus und will Profi werden. Dann bricht sie sich mit 17 im Training den Fuss.
Die Karriere ist vorbei. Dafür beginnt eine neue. Lena Bärlocher verliebt sich in Hard Techno. Übt sich während Corona als DJ. Und tourt jetzt als Cataluna durch Europa.
«Hard Techno ist schnell wie ein Ferrari», sagt die 23-Jährige, die in Solothurn aufgewachsen ist. Ihr Lieblingstempo: 158 Beats pro Minute. Wer Catalunas Musik zu Hause auf dem Sofa hört, dreht fast durch. Sie sagt: «Ich finds angenehm zum Tanzen. Du wirst nie müde.»
Vor der Pandemie war Hard Techno in der Schweiz noch eine Nische. Jetzt finden in Zürich jedes Wochenende mehrere Partys statt, an denen vor allem junge Menschen zu harten Beats feiern. Und in den Niederlanden füllen 40’000 Raverinnen Fussballstadien.
Hard Techno ist viel mehr als ein Techno-Stil. Es ist ein Tiktok-Trend. Eine Modebewegung. Fast ein Lebensstil.
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Wie in Trance
Beim Interview trägt Lena Bärlocher schwarze Lederschuhe mit Plateausohlen und eine Sonnenbrille. In der Woche zuvor legte sie in Bochum und in Bologna auf. Dazwischen quetscht sie ihren Physiotherapie-Bachelor.
Was sie im Ballett gelernt habe, helfe ihr jetzt als DJ, sagt Bärlocher. Vor Publikum aufzutreten, fällt ihr leicht. Und sie hört ganz genau, in welchem Moment sie den Drop bringen muss, der Moment, in dem die Musik kurz pausiert – und der Beat dann mit maximaler Wucht einschlägt. Wirbelnde Hände. Nickende Köpfe. Geschlossene Augen.
Angefangen hat für Lena Bärlocher alles im Zürcher Club Exil. Mit 18 geht sie an ihren ersten Hard-Techno-Rave. Alles ist dunkel. Sie ist wie in Trance. Die Menschen sind nicht zum Aufreissen, sondern wegen der Musik hier, und das gefällt ihr. Sie will mehr, mehr, mehr. Doch dann kommt Corona.
Eben erst darf sie an Partys gehen, und schon ist es wieder vorbei. Lena Bärlocher vermisst den Ausgang und hat zu viel Zeit. Ein Kollege aus Deutschland, der DJ ist, sagt ihr: «Kauf doch auch einen Controller.» Sie mixt in der WG in Zürich, schaut Tutorials, übt. Sie sei keine Person, die sich gerne helfen lasse, sagt Lena Bärlocher. «Ich will es selbst können.»
Das Label «Kaputt mit Stil» wird auf Instagram auf ihre Sets aufmerksam und will sie aufnehmen. Die DJs sind alle nicht viel älter als 18, heissen Exgüsi oder nx46 und legen Hard Techno auf. Aus Lena Bärlocher wird Cataluna: ein Mix aus Lena und Katze. Im Exil darf sie vor MRD aus Oslo auflegen, der für sie ein Vorbild ist. Als sie den leeren Club sieht, kommt er ihr riesig vor. Sie ist nervös. Doch als sie auflegt, tanzen viele Freunde hinter ihr. Alles ist gut.
Kritik der älteren Raver
Cataluna fürs Exil gebucht hat Veranstalter Andy Varlemann. Der 38-Jährige war einer der Ersten, die Hard-Techno-Partys in Zürich organisierten. Er lernte die Musik beim Feiern im Berliner Club Griessmühle kennen. «Jung, energetisch, innovativ», sagt er und klingt dabei, als wolle er eine Start-up-Idee vorstellen. Was es damals – um 2018 – in Zürich irgendwie auch war.
Choke, Herrensauna und Mad Katz heissen die Partyreihen. Die ersten Events im Exil und im Hive laufen mittelmässig. «Einige Raverinnen und Clubmitarbeiter haben sich beklagt, weil es ihnen zu hart war», sagt Varlemann.
Doch dann kam der Hype. Ausverkaufte Partys. Die Gagen für Hardtechno-DJs seien explodiert, sagt Andy Varlemann. Gewisse Acts, die früher im Exil spielten, kann er heute nicht mehr buchen, weil sie zu teuer sind. Wer erfolgreich ist, macht nicht nur gute Musik. Die Inszenierung in den sozialen Medien ist mindestens so wichtig. #ravetok – die Clubkultur wird zum Internet-Trend. Tiktokerinnen und Tiktoker präsentieren ihre Outfits, bevor sie ausgehen: viel schwarz. Viel Leder. Viel Haut. Silberketten. Aerodynamische Sonnenbrillen. Latex und Leder.
Hard Techno passt zum Post-Pandemie-Gefühl von jungen Menschen. Exzess nach dem Stillstand. Bum, bum, bum. Nicht überall kommt das gut an. Ältere Raver kritisieren, dass der Techno, der immer Underground war, plötzlich in den sozialen Medien inszeniert wird. Fotos aus dem Berliner Berghain tauchen auf Tiktok auf. Ein No-go, denn dort wollen die Menschen frei und sicher feiern. Und nicht alle in der LGBTQ-Community finden gut, dass die jungen Raver ihren Kleidungsstil annektieren.
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Sich für nichts schämen müssen
Einen ähnlichen Weg wie Cataluna ist ein Churer Hard-Techno-DJ gegangen, der in Dietikon wohnt: Dasstudach. Er arbeitete im Marketing, brachte sich während der Pandemie das Mixen bei und spielt jetzt in Berlin, Paris, Madrid.
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Seine Generation habe das Nachtleben wegen Corona nicht langsam kennen lernen können, sagt der 22-Jährige. «Wir schmissen uns von 0 auf 100 in den Ausgang rein.» Mit Freunden legte er zuerst an einer illegalen Party beim Bahnhof Glanzenberg auf. «Du kannst im Trainer kommen, im BH, oben ohne, sogar in der Baustellenhose.» In der Hard-Techno- Szene müsse man sich für nichts schämen. Die Leute seien nicht so «judgy» wie sonst im Ausgang.
Er selbst legt Schranz auf, ein Subgenre von Hard Techno, das sehr repetitiv und dreckig ist. Sein Lieblingstempo: 154 Beats pro Minuten. Etwas langsamer als Cataluna, aber immer noch irr. Schneller heisse nicht besser, sagt Dasstudach. Wenn ein DJ zum Beispiel um 24 Uhr schon mehr als 160 BPM spiele, liesse sich das nicht mehr steigern. Es sei wichtig, sich anzupassen.
Seit diesem Sommer lebt Dasstudach von der Musik. Es wird sich zeigen, wie lange der Hard-Techno-Hype anhält.
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Vor dem Set ins Bett
Lena Bärlocher möchte in der Zukunft am liebsten 50 Prozent als Physiotherapeutin arbeiten und daneben auflegen. Am liebsten spielt sie das letzte Set des Abends, «mit den Härtesten im Publikum, die die ganze Nacht durchziehen». Sie selbst geht vor den Sets schlafen, wenn sie nicht vorher noch in einer anderen Stadt auftritt. Oft würde sie als Frau unterschätzt. «Manche denken, ich könne nicht hart spielen», sagt Cataluna. «Und dann grätscht es eben doch!»
Von der Inszenierung der Hard-Techno-Szene auf Social Media grenzt sie sich zudem ab. Sie habe diese Art von Musik schon vor dem Hype gemocht. Einen Tiktok-Account hat sie nun trotzdem.
Ihren Stil beschreibt Cataluna als Hard Techno mit Psy-Elementen. Das komme aus der Goa-Richtung und klinge so wie ein Galopp. Viele Songs legt sie auf, doch einige produziert sie auch: zum Beispiel «Resilience». Harter Bass. Ein Stöhnen, das immer wieder einsetzt. Und eine Audiospur, die sie selbst geschrieben hat und von einer KI-Stimme einsprechen liess.
An der letzten Street Parade haben die Eltern von Lena Bärlocher ihre Tochter zum ersten Mal live gesehen: nicht mit Ballerinas, sondern als Cataluna. «Mein Vater ist rumgehüpft und war stolz.» Das habe sie sehr gefreut.
Dieser Artikel ist erstmals am 9. November 2023 erschienen. Anlässlich der Street Parade 2024 publizieren wir ihn hier in aktualisierter Form.
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