Serie «Ein Tag im Leben»«Wir setzen uns oft mit dem Essen vor den Laptop und schauen SRF»
Die Zürcher Schriftstellerin Mina Hava (25) liest vormittags Bücher in der Bibliothek und nachmittags Zeitungshoroskope.
In der Regel stehe ich früh auf, so um sieben Uhr. Ich trinke Kaffee, lese ein bisschen und schaue, dass ich um neun Uhr in der Bibliothek bin. Dort lese und schreibe ich.
Gerade beschäftigt mich das Thema Landschaft und ihre Transformation. Ich habe mich letztes Jahr ein wenig eingelesen, wie der Schweizer Bauernverband in den Sechziger- und Siebzigerjahren Menschen aus Spanien, Italien und Jugoslawien rekrutierte, für die harte Arbeit auf dem Feld. An der Uni hatten wir mal einen Kurs, in dem es viel um das Migrationsregime und die Schwarzenbach-Initiative ging, aber ich fragte mich die ganze Zeit, ob es nicht auch möglich wäre, die gewaltvolle Geschichte der Saisonarbeit mit der ökologischen Geschichte der Schweiz zusammenzudenken.
Daher sitze ich im Moment viel über Texten, in denen es darum geht, wie sich die Landschaft zwischen 1960 und 1980, also in der Hochphase der Gastarbeit, verändert hat. Am Beispiel der Schweiz ist das beachtlich, denn in dieser Zeit wurden zahlreiche Staudämme errichtet und ganze Landstriche umgebuddelt, Strassen gebaut und Tunnel in Berge gesprengt. Es geht mir um die Frage, wo die Verbindungen liegen zwischen «fremder» saisonaler Arbeit und dem Phänomen der Transformation ganzer Landschaften.
Um ehrlich zu sein: Ich weiss noch nicht genau, was ich mit diesem Material machen und ob ich es literarisch verwenden werde. Klar ist für mich nur, dass mich das Thema umtreibt. Auch weil es mich dazu anregt, über Fragen nachzudenken wie zum Beispiel, ob man das Konzept der historischen Quelle breiter fassen müsste. Denn egal in welche Richtung ich gehe, immer wieder komme ich auf den Punkt zurück, dass auch Äcker und Felder, die von den Gastarbeitenden bepflanzt und gepflügt wurden, eine Geschichte zu erzählen hätten. Nur welche? Und wie argumentiert man schlüssig, dass der Boden selbst so was wie eine historische Quelle ist?
Wie gesagt, bisher habe ich nur Thesen. Und vermutlich werde ich auch noch eine Weile an dieser Recherche sitzen. Denn ernsthaft konzentrieren kann ich mich vielleicht drei oder vier Stunden am Tag. Danach beantworte ich E-Mails und fahre mit dem Publibike von der Bibliothek wieder nach Hause.
Später am Nachmittag habe ich je nach Wetter unterschiedliche Pläne. Hin und wieder gibt es ein Tischtennis im Bullingerhof, oder ich ziehe Längen im Schwimmbad. Ich mag es auch, in der «Coopzeitung» die Horoskope zu studieren. Oder Musik zu hören. Besonders gefallen mir in diesem Jahr die Alben «Starmaker» von Honey Harper und «Galore» von Oklou. Zudem verbringe ich viel Zeit mit Büchern. Derzeit lese ich «Ein russischer Roman» von Emmanuel Carrère. Mein Mitbewohner, mit dem ich eng befreundet bin, hat es mir empfohlen. In unserer WG sind Bücher Tauschware. Ich lese seine Bücher, er meine.
Und dann am Abend setzen wir uns in der WG oft mit dem Essen vor den Laptop und schauen SRF-Reportagen. Vor einigen Wochen sahen wir uns etwa eine Sendung darüber an, wie in der Schweiz Ramadan gehalten wird. Die Moderatorin besuchte in einem Selbsterfahrungsmodus eine Koranschule, und ich dachte: Es ist selten, dass man seine eigene Erfahrung in einem Leitmedium abgebildet sieht. Manchmal schauen wir aber auch diese neokolonialen Auswandererformate an, etwa «Auf und davon». Und bleiben etwas ratlos zurück.
Mina Hava lebt in Zürich. Ihr Debütroman «Für Seka» ist 2023 bei Suhrkamp erschienen.
Protokoll: Nina Kunz
Fehler gefunden?Jetzt melden.