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Beizen-Sperrstunde um 19 Uhr
«Ein Lockdown wäre uns lieber gewesen»

Der Bundesrat erlaubt unter anderem der Waadt längere Gastro-Öffnungszeiten: Das Restaurant La Bavaria in Lausanne am Donnerstag.
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Es gehört zur Betriebslogik der Wirtschaftsverbände, sich hinter den Kulissen diskret, öffentlich dafür lautstark für ihre Mitglieder einzusetzen. Weil sich die Rahmenbedingungen aktuell aber im Wochenrhythmus ändern und jeweils gleich zahlreiche Branchen betroffen sind, hat sich der Kampf um das knappe Gut der Aufmerksamkeit in den letzten Wochen verschärft. Mit der Reaktion auf den Bundesratsentscheid vom Freitagnachmittag hat er eine bedenkliche Intensität erreicht.

«Planlos und unglaubwürdig» nannte Casimir Platzer, Präsident des Verbandes Gastro Suisse, die neusten Beschlüsse. Und er sagte allen Ernstes, der Bundesrat wolle den Schweizerinnen und Schweizern die Feiertage vergraulen. Man erhalte den Eindruck, dass Innenminister Alain Berset den Bundesrat an der Nase herumführe.

Zahlreiche Ausnahmen

Der Bundesrat hatte bekannt gegeben, dass Restaurants und Bars schweizweit ab Samstag jeweils um 19 Uhr schliessen müssen. Damit entgeht ihnen das wichtige Abendgeschäft. Die Regel gilt allerdings nicht in Hotels, die im hauseigenen Restaurant die Gäste bedienen. Die Gastronomie ist nicht von den generellen Schliessungen am Sonntag betroffen. An Weihnachten und Silvester ist erst um 1 Uhr Sperrstunde.

Weiter versprach der Bundesrat zusätzlich zu der bisher gesprochenen Milliarde an Härtefallhilfen 750 Millionen Franken Soforthilfen für Hotellerie und Gastronomie. Und zuletzt wird es zahlreiche Kantone geben, deren Sperrstunde erst auf 23 Uhr fällt, weil ihre epidemiologische Lage besser ist als im Schnitt.

«Die Massnahmen kommen einem Lockdown gleich.»

Casimir Platzer, Präsident Gastro Suisse

Andere betroffene Verbände wie Hotelleriesuisse oder der Gewerbeverband hielten erst noch interne Beratungen ab und verschickten am Abend Medienmitteilungen. Gastro Suisse dagegen richtete gross an: Noch während die Bundesräte sprachen, startete der Verband eine Onlineübertragung seiner Pressekonferenz.

Erwähnt wurden die Ausnahmen, die helfen sollen, nur negativ. Es ist ein leidiger Teil der Aufmerksamkeitsökonomie, mit dem auch die Medienbranche kämpft: Lob oder Differenzierung drohen unterzugehen.

Die Schutzkonzepte können noch so gut sein. Einen absoluten Schutz vor dem Virus gibt es in der Gastronomie nicht.

Platzer weiss das, er spielt seit Monaten damit, lauter und aggressiver als andere. Am Freitag bezeichnete er die Bemühung des Bundesrates, jene Kantone mit laxeren Regeln zu belohnen, die sich in den letzten Wochen für tiefe Infektionszahlen ins Zeug gelegt hatten, als «Wildwuchs» und «Chaos komplett». Er hätte sich auch darüber freuen können. Vielleicht tut er es insgeheim.

Indem er es öffentlich kundtäte, würde er aber Druck vom Bundesrat nehmen, von dem er nun Entschädigungen fordert. 600 bis 800 Millionen Franken pro Monat sollen es sein, und zwar «sofort». Der Staat wird wohl nicht für den vollen Schaden aufkommen.

Das ist ein weiterer Punkt, der Platzer zur Weissglut treibt. «Die Massnahmen kommen einem Lockdown gleich.» Am Mittag sei wegen der Homeoffice-Empfehlung schliesslich ebenfalls kein Geld zu verdienen. «Ein Lockdown wäre uns in dieser Situation lieber gewesen.»

Die Überlegung: Bei einer Totalschliessung hätten die Gastronomen bei der Verhandlung um staatliche Unterstützung bessere Karten als jetzt. Das gilt auch für die Verhandlungen mit Versicherungen und Liegenschaftenbesitzern. Dieser Vorwurf Platzers ist nicht von der Hand zu weisen.

Ansteckungen unmöglich?

Anders verhält es sich bei einer anderen Aussage. «Bei konsequent eingehaltenen Schutzkonzepten in den Restaurants sind Ansteckungen gar nicht möglich», sagte Platzer. Wer in den vergangenen Wochen in einer gut besuchten Wirtschaft war, weiss, dass zwar viele Gastgeber ihr Möglichstes tun, um die Sicherheit der Gäste zu gewährleisten. Eine Garantie gibt es aber bei weitem nicht. Laut internationalen Studien dürfte die Gastronomie vielmehr einen signifikanten Beitrag zum Infektionsgeschehen leisten.

Für die Schweiz dagegen ist die Datenlage auch neun Monate nach Ausbruch der Krise dünn. Man weiss nur, dass man fast nichts weiss. Und so argumentieren die Verbände, dass noch niemand nachgewiesen habe, dass ihre jeweilige Branche die Pandemie antreibe. Deswegen dürfe man nicht «übersteuern», so das Wort der Stunde – also potenziell Unschuldige einschränken.

Dieses Argument hielt der Realität so lange stand, wie der Bundesrat eine Wahl hatte. Jetzt, wo die Infektionszahlen zwingend sinken müssen, um nicht zu Weihnachten überfüllte Intensivstationen zu haben, hat er sie nicht mehr.