Verhindertes Trump-AttentatSchüsse auf dem Golfplatz – ein hasserfülltes Amerika erlebt surreale Stunden
Auf die Eilmeldung folgen schnelle Schuldzuweisungen und ein gelöschter Tweet. Nach der Festnahme von Ryan R. fragen sich nicht nur Amerikaner: schon wieder?
Wenn es stimmt, was jetzt über Ryan R. aus Hawaii bekannt wird, dann war dieser Mann schon im Krieg. Er habe «sein Leben zu Hause auf Eis gelegt und ist im April nach Kiew gereist, um die Menschen in der Ukraine zu unterstützen», schrieb 2022 seine Freundin, die auf einer Website Geld für ihn sammelte. «Er plant, mindestens 90 Tage zu bleiben, und wohnt in einer Herberge bei einer Militäreinheit.» Unter anderem die «Washington Post» berichtet jetzt darüber, denn dieser Amerikaner soll einen neuen Plan gehabt haben: Er wollte möglicherweise Donald Trump töten. (Lesen Sie dazu die Analyse über das Paradox der Attentate im US-Wahlkampf).
Sonntag, früher Nachmittag, Trump war gerade beim Golfspielen. Er spielt gern und oft Golf, wenn er nicht gerade als Wahlkämpfer mit seiner Boeing 757 durch die USA fliegt. Bei seinem Hobby kommt ihm die Tatsache entgegen, dass ihm mehrere Golfplätze gehören, unter anderem im Süden Floridas. In West Palm Beach zum Beispiel liegt zwischen hohen Palmen der Trump International Golf Club. 27 Löcher, «einer der angesehensten Privatclubs der Nation», wie auf der Website steht.
Welche Schüsse? Von wem? Von wo?
Dort also drehte der Besitzer eine Runde, direkt unterhalb des Flughafens der Stadt und nur wenige Minuten entfernt von Mar-a-Lago, Trumps Residenz am Strand von Palm Beach. Dann kam am frühen Nachmittag diese Eilmeldung: «Präsident Trump ist nach Schüssen in seiner Nähe in Sicherheit», gab Steven Cheung bekannt, der Sprecher von Trumps Präsidentschaftskampagne. Welche Schüsse? Von wem? Von wo? Erst hatten auch die Nachrichtensender keine Ahnung, ehe nach und nach Einzelheiten eintrafen und sich zu einem weiteren verwirrenden Bild dieses Wahljahres 2024 fügten.
Die Nachricht von einem möglichen Attentatsversuch durch einen mutmasslichen Ukraine-Aktivisten namens Ryan R. zerreisst den längst surrealen Wahlkampf noch mehr. Sieben Wochen vor dem Wahltag, der über die nähere Zukunft Amerikas und vielleicht auch der Welt entscheiden wird. Gut neun Wochen nach einem anderen, tatsächlich ausgeführten Anschlag auf Trump während einer Rede, bei dem sein rechtes Ohrläppchen gestreift wurde. Wenige Tage nach seinem verstörenden Auftritt bei der Fernsehdebatte mit Kamala Harris, als gut 60 Millionen Zuschauer eine angriffslustige Demokratin erlebten und einen zornigen Republikaner.
Während dieses Duells bei ABC behauptete Trump, damals im Juli habe ihm wahrscheinlich jemand eine Kugel in den Kopf jagen wollen, «wegen der Dinge, die über mich gesagt werden». Er meinte damit natürlich vor allem die Demokraten, die in den Umfragen recht gut liegen, seit die Vizepräsidentin Kamala Harris den US-Präsidenten Joe Biden als Kandidatin abgelöst hat. Seine Rivalen weisen immer wieder darauf hin, dass es sich bei Trump um einen verurteilten Straftäter handelt, der eine Gefahr für die amerikanische Demokratie darstellt, der seit Jahren Hass verbreitet und Europa gegen Wladimir Putin alleinlassen könnte.
Musk löscht den Tweet
Jetzt wird da von ganz rechts wieder der Verdacht geschürt, dass Trump mit allen Mitteln aus dem Weg geräumt werden soll, um sein Comeback zu verhindern. Diesmal von einem früheren Dachdecker namens Ryan R., 58, der angeblich mal der ukrainischen Armee zu Hilfe eilen wollte – ausgerechnet während Trump und etliche seiner Anhänger doch der Meinung sind, dass die Milliarden Dollar und die Waffen für dieses ferne Land reine Verschwendung sind. Sie sprechen lieber von der US-Südgrenze und all den Terroristen und Vergewaltigern, die da angeblich in die USA kommen. «Und niemand versucht, Biden/Kamala zu ermorden», schrieb Elon Musk auf seiner Plattform X, bevor er den Tweet später löschte.
Noch dazu geschah dieser zweite, besonders mysteriöse Zwischenfall jetzt zu einer Zeit, die von einem selbst für Trumps Verhältnisse aussergewöhnlich geschmacklosen Fall geprägt war. Trump und sein Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance hatten behauptet, Immigranten aus Haiti würden in Springfield, Ohio, Katzen und Hunde klauen und aufessen. Diese Gruselgeschichte ist frei erfunden, selbst Vance gab das mehr oder weniger direkt zu. Aber sie erfüllt ihren Zweck, weil auf einmal jeder über Einwanderer spricht. Die Stadt Springfield ist seitdem im Ausnahmezustand. Diese eindeutig rassistische Behauptung war bis zuletzt der Aufreger, der die Schlagzeilen beherrschte, ehe in der Nähe von Trumps Golfplatz geschossen wurde.
Trump war gerade zwischen Loch fünf und sechs unterwegs, und zwar gemeinsam mit einem befreundeten Immobilieninvestor aus New York. Trump stammt ja selbst aus dieser Branche, wobei er gerade mehr mit seiner geplanten Rückkehr ins Weisse Haus beschäftigt ist. Auf dem Rasen seiner Anlage feuerte ein Leibwächter plötzlich auf einen Zaun, der den Trump International Golf Club umgibt. Er hatte dort anscheinend einen Gewehrlauf zwischen den Maschen entdeckt, dahinter einen Menschen.
«Sie hörten ‹pop-pop, pop-pop›»
Sean Hannity von Fox News berichtete im Programm des rechtskonservativen Senders, was Trump ihm über diesen Moment erzählt habe. «Sie hörten ‹pop-pop, pop-pop›», sagte Hannity, ein landesweit bekannter Scharfmacher und Freund Trumps. «Innerhalb von Sekunden stürzte sich der Secret Service auf den Präsidenten und deckte ihn. Sie hatten Scharfschützen mit Stativen – sie wussten, in welche Richtung die Schüsse abgefeuert worden waren, und sie hatten den Ort im Blick, an dem die Schüsse abgefeuert worden waren.» Personenschützer hätten Trump dann in einem gepanzerten Fahrzeug weggefahren.
Es sei das Feuer auf einen Bewaffneten eröffnet worden, der sich an Trumps Grundstück befunden habe, sagte ein Polizist später während einer Pressekonferenz. Man sei sich nicht sicher, ob die Person, die sich in Gewahrsam befinde, «in der Lage war, auf unsere Agenten zu schiessen». Es wurde auch ein erstes Bild veröffentlicht. Es zeigt ein Sturmgewehr vom Typ AK-47, das am Zaun lehnt, auf den der Leibwächter geschossen hatte. Ausserdem sind da zwei Taschen sowie eine Videokamera, das alles gehörte offenbar Ryan R.
Er soll nach den Schüssen des Secret Service in einem schwarzen Nissan geflüchtet sein und wurde kurz darauf unversehrt auf der Interstate 95 gestellt, ein Zeuge soll das Auto samt Nummernschild fotografiert haben. Das FBI sprach dann von der «Untersuchung eines scheinbar versuchten Attentats auf den ehemaligen Präsidenten Trump», eine vage Umschreibung für eine seltsame Szene in seltsamen Wochen.
Eine Kugel oder ein Splitter streiften sein rechtes Ohr
Schon wieder? Vor zwei Monaten hielt der Wahlkämpfer Trump eine Rede auf einer Bühne in Pennsylvania, einem politisch umkämpften Bundesstaat. Sein Gegner war damals noch Joe Biden, der kurz zuvor beim Wortgefecht mit Donald Trump bei CNN immer wieder gestammelt hatte. Daraufhin wurde tagelang nur noch über das Alter Bidens geredet, nicht über die vielen nachweisbaren Falschaussagen, die Trump bei dieser Debatte wieder mal erzählt hatte. Dort in der Kleinstadt Butler soll ein Schütze mit einem Schnellfeuergewehr AR-15 vom Dach eines nahe gelegenen Gebäudes auf Trump gezielt haben, eine Kugel oder ein Splitter streiften sein rechtes Ohr.
Ein Zuschauer starb, der mutmassliche Täter wurde vom Secret Service erschossen. Es handelte sich um den zwanzig Jahre alte Thomas Matthew Crooks aus der Nachbarschaft, der sich mit achtzehn als Wähler der Republikaner registriert, aber den Demokraten mal fünfzehn Dollar gespendet haben soll. Schon seine Motive blieben weitgehend im Dunkeln, auch sonst vieles, aber Donald Trump ist seit diesem Moment für seine Fans ein Überlebender. Das Foto mit der erhobenen rechten Faust und dem blutüberströmten Gesicht löste das Bild ab, das Trump als Angeklagten zeigt, den Mugshot.
«Fight!» wurde sein Schlachtruf
Mit weissem Verband am Ohr trat Trump wenige Tage später beim republikanischen Parteitag in Milwaukee auf und wurde offiziell als Kandidat nominiert. «Fight!» wurde sein Schlachtruf. Dann aber kam die Ernennung von Kamala Harris – und Trump sah plötzlich alt aus.
Harris lächelt und lacht oft, Trump wirkt neben ihr verbissen und wütend. Sie hat ihn und sein Team schwer durcheinandergebracht, weil auf einmal nicht mehr der 81-jährige Biden der Greis ist, sondern Trump, der ist 78. Harris vereint so ziemlich alles, was Trumps Verehrer hassen. Sie wäre die erste US-Präsidentin, sie ist die Tochter einer Inderin und eines Jamaikaners, sie kommt aus dem woken Kalifornien. Trump zeigte sich in letzter Zeit öfter mit einer rechtsextremen Influencerin, die postete, das Weisse Haus werde mit Harris «nach Curry riechen».
Was am Sonntag wirklich passiert ist, ist immer noch unklar. Es heisst, der mutmassliche Attentäter habe lang Trump unterstützt, dann sei er enttäuscht zu den Demokraten übergelaufen. 2002 sei Ryan R. wegen des Besitzes einer Massenvernichtungswaffe angeklagt worden, hiess es in den US-Medien. Es gibt in den USA mehr Schusswaffen als Einwohner, im Durchschnitt wird hier alle paar Minuten ein Mensch angeschossen. Nach dem Shooting kürzlich mit zwei toten Schülern und zwei toten Lehrern sagte J. D. Vance, das sei «die Realität, in der wir leben. Wir müssen uns damit abfinden.»
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