ElectriCityEffizient, zukunftsgerichtet – und bald auch CO₂-neutral
Im Norden Frankreichs vereint Renault drei traditionsreiche Werke zur ElectriCity – hier sollen bis 2025 rund 400’000 Elektroautos pro Jahr gebaut werden.
In der riesigen Werkshalle herrscht emsiges Treiben. Man versteht sein eigenes Wort nicht, eine laute Kakofonie aus Arbeitsgeräuschen beherrscht die Szenerie. Doch Menschen sind zunächst keine zu sehen. 1250 Roboter schweissen, kleben und schrauben hier die Karosserie des neuen Renault Mégane E-Tech Electric zusammen, alles vollautomatisiert und hochpräzis. Auch durch die Gänge bewegen sich keine Menschen, sondern vollautomatisierte Maschinen – kleine, selbstfahrende Transportplattformen, die die benötigten Teile autonom und zeitgerecht an die richtige Stelle liefern. Erst später am Montageband, wo die fertigen Komponenten des Innenraums sowie die Anbauteile aussen am Mégane angebracht werden, kommen immerhin 130 Arbeiterinnen und Arbeiter aus Fleisch und Blut zum Einsatz. Auf dem gesamten Areal der ElectriCity sollen bald 5000 Angestellte arbeiten.
ElectriCity, das ist ein neu geschaffener Industriepol für Elektromobilität, der die traditionsreichen Renault-Werke in Douai und Maubeuge sowie die Getriebeproduktion in Ruitz ganz im Norden Frankreichs, in Hauts-de-France, umfasst. Hinzu kommt eine Batteriefabrik, die der chinesische Batteriehersteller Envision AESC derzeit auf dem Gelände errichtet und die eine jährliche Kapazität von 30 GWh pro Jahr erreichen soll (vgl. Box). Renault will diesen neugegründeten Industriepol in den kommenden Jahren zum «wettbewerbsfähigsten und effizientesten Produktionsverbund für Elektrofahrzeuge in Europa» machen, mit einer Jahresproduktion von 400’000 Elektroautos bis 2025.
Ehrgeizige Zielsetzung
Die Ziele, mit denen ElectriCity-Direktor Luciano Biondo bei Jobantritt konfrontiert wurde, seien denn auch sehr ehrgeizig gewesen. «Wir sollten erschwingliche Elektrofahrzeuge in bester Qualität herstellen und gleichzeitig einen Weg finden, um die Kosten zu senken und die Werke CO₂-neutral zu machen.» Biondo ist die Leidenschaft für dieses Mammutprojekt anzusehen. Er ist stolz auf die 700 neuen Arbeitsstellen, die hier bis 2025 geschaffen werden – rechnet man die Zuliefererbetriebe inklusive Batteriefabrik mit ein, sind es sogar 3200 Stellen. Und er ist stolz darauf, dass ihm das Kunststück gelungen ist, sich dafür mit gleich fünf Arbeitnehmervertretungen zu einigen. «An den mächtigen Gewerkschaften in Frankreich haben sich schon viele die Zähne ausgebissen», meint Biondo augenzwinkernd.
Von der grossen Transformation ist auf dem Werksgelände in Douai bei unserem Besuch Mitte April aber noch wenig zu sehen. Im Gegenteil: Drinnen in der Montagehalle bereitet die Belegschaft gerade das Herunterfahren der Produktion vor, weil das Werk über Ostern zu einem fünftägigen Betriebsstopp gezwungen wurde – die nach wie vor grossen Lieferprobleme von elektrischen Bauteilen spürt auch Renault. In dieser traditionsträchtigen Produktionsstätte liefen seit 1970 über 10,6 Millionen Fahrzeuge vom Band, darunter legendäre Modelle wie der Fuego oder der Espace. Derzeit werden auf der Montagelinie mehrere Baureihen gefertigt: Neben dem neuen Mégane E-Tech Electric laufen hier auch der herkömmliche Mégane und der Scenic vom Band. Gegenwärtig sind es 30 Fahrzeuge pro Stunde in einer Schicht, das soll aber bald im Zweischichtbetrieb verdoppelt werden, auf 420 Autos pro Tag.
Eigene Batteriemontage
«Um Elektrofahrzeuge in unsere Fertigung einzubinden, haben wir mehr als 550 Millionen Euro in die Umgestaltung des Standorts Douai investiert», erklärt Luciano Biondo. Dazu zählt auch die neu geschaffene Batteriemontage im ersten Stock: Hier verbauen Mitarbeiter die von LG Chem aus Polen gelieferten Batteriezellen in die Fahrzeugplattformen ein, verkabeln und verkleben sie – zurzeit werden 50 Batterien am Tag montiert, später sollen es 210 Einheiten pro Schicht sein. Und natürlich sollen möglichst bald die Batteriezellen direkt aus Douai stammen, aus der Envision-Fabrik auf dem Werksgelände. Das senkt nicht nur die Kosten, sondern verkürzt auch die Transportwege und reduziert dadurch die CO₂-Emissionen.
Womit wir bei einer weiteren Baustelle von Luciano Biondo sind: die CO₂-Neutralität der Produktion bis 2025. ElectriCity wird derzeit zu grossen Teilen mit Atomenergie betrieben, wie es in Frankreich üblich ist. Doch bereits 2024 will der charismatische Werksdirektor die Umstellung auf erneuerbare Energien vollzogen haben. Wie er das detailliert erreichen will, lässt Biondo nicht durchblicken, aber: «Wir haben uns mit den Gewerkschaften einigen können, und das in Frankreich! Da können wir auch den Werksstrom bis 2025 ändern.» Immerhin sind die überdeckten Parkplätze auf dem riesigen Areal bereits mit Solarzellen ausgerüstet, und auch über den restlichen Parkplätzen soll es bald Fotovoltaikanlagen geben. Bei den Unmengen an Energie, die ein solches Riesenwerk verschlingt, ist das aber lediglich ein Tröpfchen auf den heissen Stein.
Der Mégane E-Tech Electric bleibt nicht das einzige Elektromodell, das in der ElectriCity produziert wird. Im Werk Maubeuge läuft der Hochdachkombi Kangoo vom Band, inklusive der rein elektrischen Variante Kangoo EV. Für den Standort Douai wurde bereits die Fertigung des künftigen Renault 5 Electric bestätigt, womit sich der Kreis schliesst: Bereits der legendäre Renault 5 wurde zwischen 1972 und 1996 in den Werkshallen von Douai gebaut.
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