USA sind nicht wiederzuerkennenDie Trump-Revolution gerät ins Stocken
Nach bald hundert Tagen im Amt verliert Donald Trump an Schwung. Sein Land – und die Welt – hat er trotzdem bereits verändert. Eine Zwischenbilanz.

- Nach rasantem Start im Weissen Haus sinkt Trumps Popularität auf 46 Prozent.
- Hunderte neue Verfügungen sorgen für weitreichende Umwälzungen in der Verwaltung. Die chaotische Einführung neuer Zölle führt zu massiven Börsenturbulenzen.
- Bundesgerichte blockieren bereits vierzig präsidiale Anordnungen landesweit.
Nächsten Mittwoch ist es so weit, Donald Trump ist seit 100 Tagen Präsident der USA – schon wieder. Dazu hat er sich gleich selber sein Zeugnis ausgestellt. Und – wie nicht anders zu erwarten – gibt er sich im Vorfeld des Stichtags nur Bestnoten. «Ich tue genau das, wofür ich kandidiert habe», sagt er im Interview mit dem Magazin «Time». «Ich finde, wir haben in den ersten 100 Tagen eine sehr erfolgreiche Präsidentschaft gehabt.»
Allerdings ist Selbstlob selten ein tauglicher Massstab – besonders nicht bei Donald Trump. Im Fall des Republikaners aus New York fällt die Abwägung von Erfolgen und Pleiten besonders schwer, weil er sich in den vier Jahren Pause seit seiner ersten Amtszeit ein extrem ehrgeiziges und aggressives Regierungsprogramm zurechtgelegt hat. Vieles davon ist noch im Fluss; es könnte gelingen oder scheitern.
«Ich glaube nicht, dass Trump alles vorausgesehen hat, was er anrichtet»
Es gibt gute Gründe, die Ära «Trump 2.0» als Revolution zu begreifen. Der US-Präsident leite eine «revolutionäre Regierung in Gestalt eines imperialen Hofs», sagt der bulgarische Politologe Ivan Krastev in einem Podcast mit dem amerikanischen Publizisten und Politikwissenschaftler Yascha Mounk. Wie für Revolutionen typisch, vollzögen sich die von Trump angestossenen Veränderungen mit hoher Geschwindigkeit und in vielen Bereichen gleichzeitig. Trump führe die Revolution nicht, die Revolution führe ihn, sagt Krastev. «Ich glaube nicht, dass Trump alles vorausgesehen hat, was er anrichtet.»
In den ersten zwei Monaten nach seinem Amtsantritt am 20. Januar wurde der alt-neue Präsident kaum gebremst. Trump fuhr in Washington ein wie eine Streitmacht mit der Angriffsstrategie «Schrecken und Furcht» (Shock and Awe). Schon am ersten Tag unterzeichnete er 26 Verfügungen, inzwischen ist ihre Zahl auf 130 geklettert. Anordnungen, Personalentscheide und Memoranden zu allen möglichen Themen jagten sich in so raschem Rhythmus, dass es Trumps politischen Gegnern den Atem verschlug.
Seit rund einem Monat wächst jedoch der Widerstand. Trumps Verteidigungsminister Pete Hegseth ging schludrig mit Geheiminformationen um, illegal eingereiste Ausländer wurden zu Unrecht ausgeschafft, ein rabiates Zollregime wurde chaotisch eingeführt. Das lieferte Trump-kritischen Medien lang ersehnte Storys, erlaubte Menschenrechtlern, vor Gericht zu klagen, und führte zu Turbulenzen auf den Finanzmärkten, die Trump dazu zwangen, teilweise zurückzurudern.

Vor allem das Auf und Ab an den Börsen kostete den Präsidenten viel Zuspruch. Diese Woche bewiesen drei Umfragen, dass Trumps Popularität stetig sinkt, selbst in den für ihn sonst günstigen Bereichen der Einwanderungs- und Wirtschaftspolitik. Gesamthaft hielten sich die positiven und negativen Werte laut Real Clear Politics Mitte März noch die Waage. Seither geht es abwärts. Im Schnitt befürworten jetzt nur noch 46 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner Trumps Amtsführung; 51,8 Prozent missbilligen sie. Trumps Zahlen sind schlechter als die fast aller anderen Präsidenten zum gleichen Zeitpunkt.
In einer Bilanz der von Trump bewirkten Veränderungen in zehn Bereichen stechen einige hervor.
Aussenpolitik
•In den von Trump angestrengten Verhandlungen zur Beilegung des Kriegs in der Ukraine wird laut «Washington Post» ein Durchbruch denkbar. Trumps Gesandter Steve Witkoff verhandelte mit Wladimir Putin, europäische Diplomaten mit Wolodymyr Selenskyj.
•Trump sagte am Freitag, Präsident Xi Jinping von China habe ihn angerufen. In der Konfrontation zwischen den zwei Staaten über die von Trump verhängten Einfuhrzölle von 145 Prozent hat sich bisher jedoch nichts bewegt.
•Zum Befremden von Israels Premierminister Benjamin Netanyahu lehnte Trump Militärschläge gegen die Nuklearanlagen im Iran ab. Stattdessen wird jetzt über einen möglichen Kompromiss verhandelt.
•Europa ist konsterniert von der frostig herablassenden Art, wie Trump und sein Vizepräsident J. D. Vance die einst engsten Partner der USA behandeln. Vielen wird unvergesslich bleiben, wie Selenskyj Ende Februar aus dem Weissen Haus eskortiert wurde.
Einwanderung
•Die Zahl der illegalen Grenzübertritte aus Mexiko fiel von 47’000 in Joe Bidens letztem Amtsmonat auf 8450 im Februar, so wenige wie seit 2000 nicht mehr.
•Die Zahl der 11’000 Deportationen illegaler Migranten unter Trump im Februar blieb aber hinter den 12’000 zurück, die unter Biden im Februar 2024 ausgeschafft worden waren. Grund: Jetzt wehren sich Bürgerrechtsgruppen gegen die Abschiebungen, besonders die von Mitgliedern der als terroristisch deklarierten Banden MS-13 aus El Salvador und Tren de Aragua aus Venezuela.
•In mehreren Fällen versuchten Bezirksrichter, Ausweisungen nach El Salvador unter einem Kriegsrechtsgesetz aus dem 18. Jahrhundert zu verhindern. Demokratische Politiker machten sich unter anderem stark für Kilmar Abrego Garcia. Über die Abschiebungsbefugnisse des Präsidenten wird das Oberste Gericht entscheiden.
•Diese Woche eskalierte der Streit: Die Bundespolizei FBI verhaftete zwei Richter, weil sie zur Abschiebung bestimmte Migranten vor den Vollzugsbehörden schützten.
Wirtschaft und Zölle
•Die von Trump eigenmächtig verhängten Zölle für Einfuhren aus fast allen Ländern stürzten die Kurse von Aktien sowie des Dollars in die Tiefe und trieben die für US-Staatsanleihen verlangten Zinsen in die Höhe. Weniger als zehn Tage nach dem «Liberation Day» vom 2. April gab Trump nach und setzte das Zollregime für 90 Tage aus.
•Unter Trumps Druck kündigten zahlreiche international tätige Unternehmen, darunter auch die zwei Basler Pharmakonzerne Novartis und Roche, Milliardeninvestitionen in den USA an. Zum Beispiel will der Chipgigant Nvidia für 500 Milliarden Dollar Fabriken bauen.
•Die Inflation und der Arbeitsmarkt verschlechterten sich vorerst nicht, aber manche Experten sehen wegen der Zölle eine höhere Inflation und eine Rezession voraus.
Rache an den Gegnern
•Alle verurteilten oder von Bestrafung bedrohten Teilnehmer des Kapitolsturms vom 6. Januar 2021 wurden von Trump begnadigt oder erhielten eine Strafminderung.
• Trump ersetzte alle Bundesanwälte und entliess in allen Ämtern die Generalinspektoren. Er strengte Säuberungen von Bundesangestellten an, die an der «Lawfare» gegen ihn beteiligt waren. Mächtige Anwaltskanzleien setzte er unter Druck, indem er mit dem Entzug von Mandaten drohte.
•In vielen Amtstellen setzte er deren frühere Kritiker an die Spitze, so etwa im FBI und in Ämtern der Bereiche Gesundheit und Forschung.
Kahlschlag bei ungeliebten Ministerien

•Das von Tesla-Chef Elon Musk geführte «Department of Government Efficiency» (Doge) sucht in der gesamten Bundesverwaltung nach Betrug und Vergeudung. Tausende von Beamten wurden entlassen oder freigestellt. Ein breiter Protest gegen den Kahlschlag bescherte Tesla einen dramatischen Gewinneinbruch und bewog Musk, sich von seinem Job beim Staat teilweise zurückzuziehen. Die bisherigen Einsparungen durch Doge von 160 Milliarden Dollar bleiben weit hinter den Erwartungen von einer Billion zurück.
•Als unnötig und ideologisch verfehlt betrachtete Amtsstellen liess Trump aushöhlen, so etwa die Auslandhilfebehörde USAID und das Büro für finanziellen Konsumentenschutz (CFPB).
«Woke» und Gleichberechtigung
•Trump verbot die Anwendung der Prinzipien von Vielfalt, Gleichheit und Inklusion («Diversity, Equity and Inclusion», DEI) in Bundesämtern und Institutionen, die Bundesgeld erhalten.
•Wer Transgender-Männer im Frauensport zulässt, wird nicht mehr unterstützt.
•Unter Biden geschaffene Einrichtungen zum «Kampf gegen Desinformation» – laut Trump Zensur-Behörden – wurden geschlossen oder der Förderung der Meinungsvielfalt verpflichtet.
•Der gelbe Schriftzug «Black Lives Matter» auf dem Asphalt beim Weissen Haus wurde entfernt.
•Das kulturelle Kennedy Center in Washington wurde Trump unterstellt und mit einer ihm genehmen Leitung ausgestattet.
•Trump liess das Oval Office im Weissen Haus mit Goldornamenten dekorieren und will auf 30 Meter hohen Fahnenstangen zwei gigantische US-Flaggen wehen lassen.
•Englisch wurde von Trump zur Landessprache erklärt und der Golf von Mexiko in «Gulf of America» umgetauft.
Gesundheitspolitik
•Unter der Führung von Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. werden erdölbasierte Farbstoffe in Esswaren bald verboten.
•Mit Nahrungsmittelhilfegeld sollen keine Süssgetränke mehr gekauft werden können.
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•RFK Jr. will neue Richtlinien für Covid-Impfungen erlassen und beauftragte Studien zum besseren Verständnis von Autismus.
•Unter dem Druck der Ereignisse musste der impfskeptische Kennedy allerdings bei der Masernimpfung zurückkrebsen. Nachdem zum ersten Mal seit Jahren in Texas ein Kind an Masern gestorben war, rief er zur Impfung auf.
Umweltpolitik
•Projekte für Windräder vor der Küste werden zur Prüfung der Umweltverträglichkeit ausgesetzt.
•Die Förderung von Erdöl, Gas und Kohle wird erleichtert.
•Umweltdirektor Lee Zeldin will die unter Bidens «Green New Deal» eingeführten Klimaschutzmassnahmen nach Möglichkeit rückgängig machen.
Bildung
•Universitäten, die Pro-Hamas-Demonstrationen und die Behinderung jüdischer Studenten zuliessen, werden mit der Drohung von Geldentzug unter Druck gesetzt.
•Per Verordnung will Trump das Bildungsministerium schliessen, obwohl es gesetzlich verankert ist.
•Studiendarlehen müssen nach einer seit 2020 geltenden Pause wieder zurückbezahlt werden.
Gegen die Medien
•Trumps Medienteam hat dem Verband der Korrespondenten im Weissen Haus die Kontrolle des Presseraums entzogen. Neu werden alternative Medien eingeladen. Die grossen Nachrichtenagenturen AP, Reuters und Bloomberg verloren ihr Vorrecht auf automatische Teilnahme an Veranstaltungen des Präsidenten.
•Weil er ihnen linke Propaganda vorwirft, will Trump die staatlich finanzierten Auslandsender Voice of America, Radio Free Europe und Radio Liberty stärker kontrollieren und verkleinern.

Die letzte und viele andere der verfügten Massnahmen hat Trump wegen gängiger Gerichtsklagen noch nicht umsetzen können. Über 200-mal sind Gerichte gegen ihn angerufen worden, und in mindestens 40 Fällen verfügten Richter teils landesweit geltende Stopps. Allein letzten Donnerstag untersagten Gerichte die drei Trump-Vorhaben: Identitätsnachweise bei nationalen Wahlen zu verlangen, Zufluchtsorte für illegale Migranten mit Subventionsentzug zu büssen und DEI aus Lehrplänen von Schulen zu verbannen.
Der Präsident lässt sich von alldem aber nicht beirren. Trump rechnet damit, dass das Oberste Gericht die meisten seiner Vorhaben stützen wird. Auch seine aussenpolitischen Projekte glaubt er verwirklichen zu können.
Trump wird gebremst, aber nach hundert Tagen hat er erst damit begonnen, die USA und die Welt seinem Willen zu unterwerfen. Er fühle sich zuversichtlicher und weniger stark behindert als in seiner ersten Amtszeit, sagte er im «Time»-Interview. «Das letzte Mal kämpfte ich ums Überleben. Dieses Mal kämpfe ich für die Welt.»
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