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Die berühmte Stimme, die niemand kennt
Später Triumph: Sie sang DJ Bobos grösste Hits

Lori Glori als eine Art Racheengel in «Last Night a DJ Took My Life».

Wie ein ermüdetes Auge Gottes hängt eine haushohe, angeknackste Vinylplatte vom Bühnenhimmel herab und schaut uns fragend an: Habt auch ihr euch schuldig gemacht?

Der bayrische Bühnenbildner Carlo Siegfried hat diese kongeniale Kulisse geschaffen für die Story über missbrauchte Urheberrechte und strukturellen Rassismus wie Sexismus im Musikbusiness. Doch die nun in der Schiffbau-Box uraufgeführte Arbeit mit dem anklagenden Titel «Last Night a DJ Took My Life» hat viel zu viel Rizz für einen Gang in Sack und Asche!

Wenn die Sängerin Lori Glori sich hier durch ihre – etwas fiktionalisierte und gekürzte – Lebensgeschichte gospelt und jazzt, euro-danced und erzählt, tanzt das Publikum geradezu mit. Da wummern die Beats, und die Zuschauer johlen.

Das Ding ist eine musikalische Dokufiction, anders gesagt: ein Dok-Musical mit Schuss. Mit einem Soundtrack, der uns mit Wucht und Schmackes durch die zwei Stunden treibt (und manchen Zuschauer hastig nach den angebotenen Ohrstöpseln greifen lässt); und mit einem siebenköpfigen Ensemble, das Stereotype so richtig lebendig macht und wendige Körper zu windigen Gestalten.

Mit Quallenhut, Flossensäumen an den Schlaghosen und transparenten Schleiern: Das Ensemble von «Last Night a DJ Took My Life».

Lukas Vöglers Musikproduzent etwa ist an den im Januar verstorbenen Frank Farian angelehnt, den Gründer von Boney M. und Milli Vanilli, der kein Problem damit hatte, seine «Sänger» mit fremden Stimmen aus dem Off auszustatten. Auch Lori Glori unterschrieb einen Vertrag bei ihm, bevor sie Mitte der Neunziger eine für sie fatale Vereinbarung mit dem Schweizer DJ Bobo signierte (ein starker Vincent Basse als namenloser «The DJ»): Ohne es zu realisieren, trat Lori Glori, wie sie sagt, für einen Pappenstiel sämtliche Rechte an den in DJ Bobos Studio eingespielten Songs ab. Die späteren Hits wurden an DJ Bobos Konzerten von seiner Frau Nancy gelipsynct (Sophie Yukiko); Loris Name blieb dabei unerwähnt, auch gabs keine zusätzliche Bezahlung für die Dauernutzung ihrer Stimme. Ein Gerichtsprozess änderte daran nichts.

Rund um diesen Copyright-Streit dreht sich die Performance. Der weitere schwierige Lebenslauf der verarmten dreifachen Mutter – die für längere Zeit ins Gefängnis musste, wo sie zum Glauben zurückfand – wird ausgeblendet, es geht hier weniger ums individuelle Schicksal, wie es in dem Band «Lori Glori – Die bewegende Geschichte einer Sängerin» geschildert wird, als um künstlerischen Kolonialismus.

Dafür bezieht sich die Regisseurin und Choreografin Joana Tischkau immer mal wieder auf Hans C. Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau, die sich ihre Stimme abluchsen lässt. Entsprechend glitzern zwischendurch die Schlaghosen der Ensemblemitglieder fischschuppig oder sind mit flossenartigen, schimmernden Säumen versehen (spektakuläre Kostüme: Nadine Bakota). Das Quallenoutfit der zu Beginn gesichtslosen Dancy Nancy ist gleichfalls ein Eyecatcher.

Der Berliner Musiker, Tänzer und Choreograf Emeka*Ene wiederum, ganz in Weiss, verkörpert «The Dream», den unkaputtbaren amerikanischen Traum vom Aufstieg, den Lori als Tochter eines Kochs und baptistischen Diakons von Kindheit an gehegt hatte. Emeka*Ene gibt die Verführung in Form von Männern mit grossen Versprechen – denen die junge Frau nur allzu gern erliegt.

Emeka*Ene, mal an Bill Summer angelehnt, mal einfach «The Dream» – der unkaputtbare Traum von Ruhm und Reichtum.

Früh hatte die 1962 in Kalifornien geborene Lori mit ihren zwei Schwestern im Kirchenchor gesungen. Mit Gospelsongs machten sie sich einen Namen, als Ham Sisters weiteten sie ihr Repertoire aus, und bald wurde Lori Teil von Bill Summers Band. Auf der Zürcher Bühne erinnert sie sich an diese Zeit im Meerjungfrauensong «Let’s Get Wet» – für Songwriting und Script zeichnet die Spoken-Word-Poetin Fatima Moumouni.

Wer ist schuld an der späteren Misere? Vielleicht ja auch die Fans, die einfach blindlings und möglichst billig Musik konsumieren, legt das Stück nahe – oder eben die «mittelmässigen» DJs. Und das Programmheft von «Last Night a DJ Took My Life» liefert das juristische Rüstzeug, um das Phänomen kulturelle Aneignung einzukreisen. Auf den Brettern dann ist es Sasha Melroch, die als «The Moral» ungerührt Fragen dazu stellt. Mal besucht sie Raves als rasende Reporterin, mal konfrontiert sie die verschiedenen Perspektiven à la Arabella Kiesbauer miteinander.

Versöhnung allerdings ermöglicht erst Lori Glori selbst – in einem wunderbaren Finale; nach ihrem allerletzten, vergeblichen Ausruf als futuristischer Racheengel: «Pay!» («Bezahl!») Alles in allem könnte die Chose durchaus zwischen pädagogischem Anspruch und priesterlicher Attitüde versacken.

Dass sie es nicht tut, liegt an den teilweise grandios durchgespielten Stationen dieses Dramas und auch am elektronisch-synthetischen Drive, der sogar Techno- und House-Hasser mitreisst. Vor allem aber an der Wahnsinnspräsenz von Lori Glori.