Diplomatie im NahostkonfliktDie Schweiz redet zurzeit mit der Hamas
Die Schweiz soll die Hamas als Terrororganisation einstufen, das fordern Sicherheitspolitiker unisono. Doch Schweizer Diplomaten führen derzeit Gespräche mit der Hamas zur Freilassung von Geiseln.
In den vergangenen Tagen war die Frage noch kontrovers diskutiert worden. Nun herrscht in der Politik offenbar Einigkeit, zumindest unter den Sicherheitspolitikern: Die zuständige Kommission des Nationalrats will den Bundesrat beauftragen, die Hamas zu verbieten. Das hat sie einstimmig beschlossen.
«Die Schweiz muss sich jetzt klar positionieren», schreibt die Sicherheitspolitische Kommission. Der Bundesrat habe sich bisher auf den Standpunkt gestellt, im Konflikt solle mit allen Parteien gesprochen werden. Doch die Hamas habe sich mit ihren menschenverachtenden Attacken als Gesprächspartnerin für einen Frieden «vollends diskreditiert». Es sei mehr als überfällig, ein Zeichen zu setzen. «Die Hamas muss auch in der Schweiz als das bezeichnet und behandelt werden, was sie ist: eine Terrororganisation.»
Ein Verbot gefordert hatten in den vergangenen Tagen die SVP, die FDP, die GLP und die EVP. Doch welche Folgen hätte dies konkret? Das soll der Bundesrat in einem Bericht darlegen: Die Kommission nahm auch dazu einen Vorstoss an. Unter anderem soll der Bundesrat Sanktionen gegen die Hamas prüfen.
Kein sofortiger Entscheid möglich
Der Bundesrat wird sich bereits an seiner Sitzung vom Mittwoch mit dem Thema befassen. Laut Gesetz kann er allerdings nur jene Organisationen verbieten, die auch die UNO verbietet oder sanktioniert, was bei der Hamas nicht der Fall ist. Für ein Verbot wäre somit eine Gesetzesänderung nötig. Darüber müsste das Parlament entscheiden.
Verboten sind in der Schweiz bislang der IS und al-Qaida. Gemäss der Regelung für diese Organisationen kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe sanktioniert werden, wer terroristische oder gewalttätig-extremistische Aktivitäten propagiert und damit die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz bedroht. Auf dieser Basis kam es schon zu Verurteilungen.
Vergibt die Schweiz ihre Vermittlerrolle?
Kritiker wenden nun ein, mit einem Verbot vergebe sich die Schweiz die Möglichkeit, eine vermittelnde Rolle zu spielen. Sie geben zu bedenken, dass die Schweiz auch in anderen Konflikten mit extremistischen oder terroristischen Gruppierungen Kontakt pflegte und so Erfolge erzielen konnte, beispielsweise im Fall der Farc in Kolumbien. Befürworter eines Verbots machen geltend, in der EU und in den USA sei die Hamas längst verboten.
Das ist allerdings nicht zwingend ein Argument für ein Verbot: Dass die Schweiz den Gesprächskanal offen halte, um Botschaften direkt an die Hamas weiterleiten zu können, werde von Israel und anderen Staaten geschätzt, sagt die Diplomatin Maya Tissafi im Gespräch mit dieser Redaktion. Sie leitet die Taskforce des Aussendepartements zur aktuellen Krise. Auf internationaler Ebene seien alle Akteure aufgerufen, ihre Kontakte spielen zu lassen, um eine Regionalisierung der Gewalt zu verhindern.
«Die Schweiz hat am Wochenende nach den Terroranschlägen sofort Hamas-Vertreter kontaktiert und sie dazu aufgefordert, die Gewalt zu stoppen und die Geiseln sofort freizulassen», sagt Tissafi. Die Schweiz bemühe sich – gemeinsam mit anderen Ländern – darum, eine Lösung für die Geiseln zu finden.
Ob die Schweiz diese Rolle weiterhin spielen könnte, wenn sie die Hamas verbieten würde, ist fraglich.
Doch führten Schweizer Vermittlungen mit der Hamas in der Vergangenheit überhaupt je zu Erfolgen? Diese Frage lässt sich laut Tissafi schwer beantworten: Oft seien mehrere Akteure involviert, sagt sie. Im vergangenen Mai beispielsweise habe sich die Lage vorübergehend beruhigt. Damals hätten Kontakte mit der Hamas stattgefunden.
«In der Schweiz bringt das Verbot kaum etwas, aber vor Ort könnte es schaden.»
Involviert war die Schweiz auch in Verhandlungen zu einem Gefangenenaustausch von 2011, bei dem viele Palästinenser freikamen. Ergebnislos blieben dagegen vor einigen Jahren Bemühungen zur Überführung der Leichname zweier getöteter israelischer Soldaten.
Kontakte für humanitäre Hilfe nützlich
Offen ist auch, was ein Hamas-Verbot für die humanitäre Hilfe bedeuten würde. «In der Schweiz bringt das Verbot kaum etwas, aber vor Ort könnte es schaden», sagt Mario Carera. Er war von 2004 bis 2009 Leiter des Schweizer Kooperationsbüros für Palästina in Jerusalem und damit für humanitäre Hilfe in Gaza zuständig.
«Wir hatten Kontakt mit der Hamas», sagt Carera. «Anders ging es nicht.» Die Hamas agiere in Gaza als Behörde und habe deshalb manchmal die Hilfslieferungen kontrolliert, wie andere autoritäre Regimes. «Sie wollten wissen, was wir verteilen», sagt Carera. «Konfisziert haben sie aber nie etwas.» Solche Kontakte könnten aus Careras Sicht schwieriger werden, wenn die Schweiz die Hamas als Terrororganisation einstufen würde.
Drohende humanitäre Katastrophe
Besonders wichtig war die humanitäre Hilfe Anfang 2009, nachdem durch israelische Bombardierungen in Gaza mehr als 1300 Menschen ums Leben gekommen waren. «Die Situation der Zivilbevölkerung war furchtbar damals», sagt Carera. Derzeit drohe wieder eine humanitäre Krise. Die Menschen seien eingesperrt in Gaza, sie könnten sich nicht in Sicherheit bringen. Und nun habe Israel angekündigt, die Wasserversorgung und die Lebensmitteltransporte zu stoppen.
«Ich habe den Eindruck, dass im Westen unterschätzt wird, wie gross die Frustration der palästinensischen Bevölkerung ist.»
Die Entbehrungen und Einschränkungen der Menschen in Gaza seien ohnehin schon gross, sagt Carera. «Ich habe den Eindruck, dass im Westen unterschätzt wird, wie gross die Frustration der palästinensischen Bevölkerung ist.» Seit der Abriegelung Gazas 2007 habe sich die Situation stark verschlechtert.
«Natürlich rechtfertigt nichts terroristische Anschläge und Attacken gegen Zivilisten», betont Carera. «Die Hamas nur als Terrororganisation zu sehen, ist aber zu einfach.» Die Organisation habe sich auch immer karitativ engagiert, was ihr bei der Bevölkerung Rückhalt verschafft habe. Es müsse nun endlich etwas passieren in Richtung einer Zweistaatenlösung.
Entwicklungshilfe bereits überprüft
Neben humanitärer Hilfe leistet die Schweiz in den Palästinensergebieten auch Entwicklungshilfe, unter anderem in der Bildung und der Berufsbildung. Die EU hat am Montag angekündigt, ihre Zahlungen zu überprüfen. Hier ist die Schweiz einen Schritt weiter: Sie hat dies bereits 2018 getan, auf Anweisung von Aussenminister Ignazio Cassis. Daraufhin wurde die Zahl der NGOs, mit welchen die Schweiz vor Ort zusammenarbeitet, stark reduziert.
Laut Maya Tissafi ging es darum, die Hilfe stärker zu fokussieren und transparenter zu gestalten. Vorher seien zahlreiche sehr kleine Organisationen unterstützt worden. Hinweise darauf, dass Gelder aus der Schweiz für falsche Zwecke verwendet worden seien, habe man bei der Überprüfung nicht gefunden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.