Kolumne von Milo RauDieser grandiose Quatsch
Die Salzburger Festspiele finden trotz Corona statt. Und siehe da: Die Magie wirkt – jedenfalls im bekannten Stück «Jedermann».
Als erstes internationales Sommerfestival nach dem Lockdown finden aktuell die Salzburger Festspiele statt. Dass es gerade in Salzburg wieder losgeht, ist ziemlich verrückt. Denn gemäss Wikipedia handelt es sich dabei um das weltgrösste Theater- und Opernfestival. Allein für die Eröffnungsinszenierung, Richard Strauss’ «Elektra», waren am vorletzten Samstag etwa gleich viele Leute auf der Bühne und im Orchestergraben anwesend wie sonst auf einem kompletten mehrwöchigen Festival.
Zu verschieben waren die Salzburger Festspiele aber nicht, da sie diesen Sommer ihr 100-Jahr-Jubiläum feiern. 1920 war es, als der Festivalgründer Max Reinhardt die «Jedermann»-Adaption von Hugo von Hofmannsthal auf die Bühne brachte. Eigentlich als Notlösung gedacht – das von Reinhardt tatsächlich gewünschte Stück wurde nicht rechtzeitig fertig –, ist der «Jedermann» bis heute das Herzstück des Festivals und nach Goethes «Faust» das wohl bekannteste und kommerziell erfolgreichste deutschsprachige Theaterwerk der Geschichte.
Was mehr als verwunderlich ist, denn Hofmannsthals allegorisches Volksstück ist eine Ansammlung von Gründen, die gegen es sprechen. Die im «Spiel vom Sterben des reichen Mannes» auftretenden Figuren – «Der Tod», «Der Glaube», «Die Werke», «Die Buhlschaft» – sind im besten Fall hölzern, im schlechtesten lächerlich. Die Botschaft des Ganzen (nur wahrer Glaube an Gott kann den Menschen erlösen) war schon zu Zeiten der Uraufführung zumindest fragwürdig. Unnötig zu sagen, dass jede charakterliche Ausarbeitung der Figuren von der pseudokatholischen Moralkeule niedergemacht wird. Dazu kommt, dass das Stück in einer seltsam artifiziellen Mittelaltersprache verfasst ist.
Und dann gibt es – wie auch nicht? – diese eine Szene im «Jedermann», die mich immer aufs Neue tief berührt.
Kurzum: Alles, was man falsch machen kann, wurde – völlig bewusst übrigens – von Hofmannsthal falsch gemacht. Und trotzdem wird seit einem Jahrhundert jede Besetzungsfrage dieses «Spiels vom Sterben des reichen Mannes» von der internationalen Presse begleitet. In Österreich wissen sogar die Schulkinder, wer den Jedermann oder die Buhlschaft spielt, zu den Aufführungen selbst finden sich auch in Corona-Zeiten Tausende Menschen auf dem Domplatz ein – dieses Jahr auch ich, da ich gerade eine Art Variation auf das Stück erarbeite.
Und tatsächlich, die Magie wirkt. Gerade, weil es ziemlich irrelevant ist, in welchem Kleid die Buhlschaft oder der Teufel auftreten, wie genau die eine oder andere Szene aufgesagt wird: Es ist ein kindliches Vergnügen, in der hereinbrechenden voralpinen Nacht zu sitzen und sich diesen grandiosen Quatsch anzuschauen. Und dann gibt es – wie auch nicht? – diese eine Szene im «Jedermann», die mich immer aufs Neue tief berührt. Es ist der Moment, in dem die Mutter Abschied nimmt von ihrem sterbenden Sohn. Da geht die wunderbare Edith Clever einfach ganz langsam von rechts nach links über die ewig lange Bühne. Und alles ist erzählt.
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