Börsenrevolte im Reality-Check Die vier Irrtümer des Gamestop-Märchens
Kleinanleger bringen böse Wall-Street-Hedgefonds um Milliarden? Der Fall Gamestop klingt wie ein Hollywood-Drehbuch à la Robin Hood. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Privatanleger treiben die Hedgefonds-Grössen der Wall Street in die Enge. Während Finanzprofis beim Videospielehändler Gamestop auf fallende Kurse gewettet hatten, hielten die Kleinanleger dagegen und kauften im Januar massenhaft dessen Aktien. Ein bisschen Auflehnung gegen die Eliten, ein bisschen Zockergeist, ein bisschen Langeweile in der Pandemie – fertig ist das Drehbuch für einen Hollywoodfilm, wie ihn jetzt das Filmstudio Metro-Goldwyn-Mayer plant.
Doch mit etwas Abstand zur chaotischen Börsenrevolte haben Experten immer mehr Fragen, ob die Geschichte der vielen Davids gegen die wenigen Goliaths an der Börse auch stimmt. Bevor am Donnerstag Parlamentarier in den USA die Vorgänge unter die Lupe nehmen, hier die vier Irrtümer des Gamestop-Märchens.
Irrtum 1: Die Anleger haben sich mit den Hedgefonds angelegt
Allein dieser Name: Robinhood. So heisst die Aktien-App, über die viele US-Amerikaner in der pandemischen Langeweile mit Aktien zocken. Der Name klingt nach dem Aufstand der kleinen Leute gegen die Grossen der Wall Street. Doch das ist nur die halbe Geschichte: Denn bei den Aktienorders der Privatanleger über Robinhood kassieren Hedgefonds mit.
Die Aktien-App Robinhood führt die Orders ihrer Kunden nämlich nicht selbst an einer Börse aus. Stattdessen gibt sie die Kaufaufträge an Wertpapier-Handelshäuser weiter, die sich darum kümmern. In den meisten Fällen ist das Handelshaus Citadel Securities zur Stelle – wohlgemerkt die Tochtergesellschaft eines bekannten Hedgefonds. Citadel macht seinen Gewinn, indem es die Aktien günstig kauft und etwas teurer wieder verkauft. Es ist ein Geschäft, bei dem es auf Nanosekunden und Nachkommastellen ankommt.
Am Ende bleibt ein bitterer Beigeschmack: Die Orders der Privatanleger wurden von Hedgefonds-Töchtern abgewickelt.
Die Orders der Privatanleger sind für Citadel so wichtig, dass es an die Aktien-App Robinhood eine Vergütung zahlt, wenn sie die Orders der Kunden weiterleitet. Denn die Orders von Privatanlegern lassen sich besser abwickeln als die von grossen Anlagegesellschaften – und sind deswegen mutmasslich lukrativer. Privatanleger handeln meist nur wenige Aktien, für die Citadel sofort eine Gegenpartei finden kann, eine ziemlich risikolose Angelegenheit. «Bei Privatanlegern müssen sie nicht fürchten, dass sie bessere Informationen haben und Aktien teuer bei ihnen abladen, bevor schlechte Nachrichten ans Licht kommen», meint US-Finanzprofessor James J. Angel von der Georgetown-Universität.
Am Ende bleibt ein bitterer Beigeschmack: Privatanleger wollten Hedgefonds in Bedrängnis bringen. Die Orders der Privatanleger wurden mitunter aber von Hedgefonds-Töchtern abgewickelt.
Irrtum 2: Privatanleger haben mit Leerverkäufen nichts zu tun
Wetten auf fallende Kurse? Das hört sich für viele Privatanleger unmoralisch an. Hedgefonds, die wie beim Videospielehändler Gamestop auf einen Kurskollaps setzen, müssen sich dafür stets viel Kritik anhören. Was vielen Börsensparern in Deutschland jedoch nicht klar ist: Auch sie verdienen indirekt an solchen Geschäften.
Viele Investmentfonds und börsengehandelte Indexfonds (ETFs) leihen nämlich einen Teil ihrer Aktien an Finanzprofis aus, die dann auf fallende Kurse wetten können. Dafür zahlen die Wetter eine Leihgebühr an den Fonds, der dann zum Teil in die Taschen der Anleger wandert.
Das passiert selbst bei Anlageprodukten, die dem beliebten Weltaktien-Index MSCI World folgen. So hat der entsprechende ETF des Anbieters iShares zwischen Mitte 2018 und Mitte 2019 rund 5,5 Millionen Euro an Leiherträgen eingespielt. Auch der beliebte aktiv gemanagte Privatanlegerfonds DWS Top Dividende hatte im abgelaufenen Geschäftsjahr 6,46 Prozent seiner Aktien an andere Spieler am Kapitalmarkt ausgeliehen.
Irrtum 3: Alle Privatanleger haben Gamestop-Aktien gekauft
Ende Januar schoss der Kurs der Gamestop-Aktie von rund 40 auf mehr als 400 Dollar. Die häufige Erklärung: Privatanleger orchestrierten in Internetforen eine Art Börsen-Flashmob mit Massenkäufen. Manche Experten haben jedoch Zweifel, ob das bereits die ganze Geschichte ist: «Obwohl Privatanleger als Haupttreiber der extremen Preisrally dargestellt wurden, dürfte das ganze Bild viel nuancierter ausfallen», notiert Marktanalyst Peng Cheng von der Investmentbank JP Morgan.
Neben Privatanlegern dürften auch professionelle Spieler an der Wall Street auf steigende Gamestop-Kurse gesetzt haben. Das Wall Street Journal enttarnte beispielsweise, dass der Hedgefonds Senvest Management schon im Herbst auf eine Kursrally bei Gamestop gesetzt hatte und durch die steigenden Notierungen einen Gewinn von 700 Millionen Dollar einspielte.
Welchen Einfluss die Privatzocker bei Gamestop hatten, ist höchst umstritten.
Auch die Privatanleger dürften sich bei Weitem nicht so einig gewesen sein wie ursprünglich kolportiert, worauf Handelsdaten hindeuten. Das Aktien-Handelshaus Citadel zum Beispiel wickelte in den wichtigen Tagen vom 25. bis 29. Januar rund 30 Prozent aller Gamestop-Trades ab. Aus den Daten des Anbieters lässt sich erkennen, dass zwar die Hälfte der Privatanleger Gamestop-Aktien kaufte, die andere Hälfte aber Gamestop-Titel verkaufte. Die Privatanleger waren in ihrer Marktmeinung also offenbar gespalten.
Eine andere Untersuchung des Swiss Finance Institutes unterstellt den Privatanlegern bei Gamestop jedoch mehr Marktmacht: Hätten sie im Juli 2020 nur zehn Prozent der Gamestop-Aktien gekauft, hätten sie den Preis um 57 Prozent treiben können, so die Forscher. Das liegt auch daran, dass viele grosse institutionelle Aktienbesitzer bei Gamestop ihr Geld wohl auf lange Sicht parken und auf schwankende Kurse kaum reagieren. Damit bekommen die verbleibenden aktiven Privatanleger mehr Einfluss auf den Kurs. Welchen Einfluss die Privatzocker bei Gamestop hatten, ist also höchst umstritten.
Irrtum 4: Privatanleger können Hedgefonds nicht schlagen
Ray Dalio, Christopher Hohn und Crispin Odey: Viele Hedgefonds-Manager inszenieren sich als Magier der Märkte, die ihren Anlegern überlegene Renditen bringen. In guten Marktphasen, aber auch im schwärzesten Börsencrash.
Oft scheint das allerdings bloss geschickte Inszenierung zu sein, ein Index vieler globaler Hedgefonds (HFRX-Index) hat Anlegern in den vergangenen zehn Jahren pro Jahr gerade einmal eine Rendite von 1,19 Prozent beschert. Ganz normale Sparer, die dem Brot-und-Butter-Index MSCI All Country World mit knapp 3000 Aktien vom ganzen Globus folgten, konnten hingegen eine Rendite von 9,5 Prozent pro Jahr erzielen.
Der Grund für dieses erstaunliche Abschneiden findet sich unter anderem in den Gebührenstrukturen der Hedgefonds: Während börsengehandelte Indexfonds oft nur 0,2 Prozent pro Jahr an Gebühren verlangen, werden bei Hedgefonds üblicherweise zwei Prozent plus eine saftige Erfolgsgebühr fällig. Gut für die Hedgefonds, schlecht für ihre Anleger.
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