Kommentar zum Silicon ValleyDie Tech-Bosse haben sich verkalkuliert
Twitter, Stripe und bald wohl auch Meta: Eine Entlassungswelle schwappt durchs Silicon Valley. Es ist eine erste Mini-Blase, die da platzt – und eine Botschaft an die vermeintlich unverwundbaren Chefs.
Man kann die Leute rauswerfen wie Elon Musk. Ohne Vorankündigung liess der neue Besitzer von Twitter die E-Mail- und Chat-Konten vieler Angestellter sperren, noch bevor die von ihrer Kündigung erfahren hatten. Man kann Leute auch rauswerfen wie Patrick Collison, Chef des Zahldienstleisters Stripe aus San Francisco. Er sandte eine Mail, in der er den mehr als 1000 Entlassenen Unterstützung zusicherte und erklärte, welche Fehler er und sein Führungsteam gemacht haben. Einmal stillos, einmal demütig, im Endeffekt dasselbe.
Stripe und Twitter feuern Tausende Mitarbeiter, und sie sind nicht die Einzigen. Musks persönliche Motive sind wie so oft unklar, doch passt seine Kahlschlagstrategie zu dem, was sich derzeit im Silicon Valley abspielt, jenem vermeintlich ewig boomenden Teil Kaliforniens. Tech-Firmen feuern Zehntausende Mitarbeiter, eine Entlassungswelle schwappt durch das Tal. Die Tech-Bosse kommen in der Realität an. Es zeigt sich, dass sie ihrer eigenen grossen Erzählung etwas zu viel Glauben geschenkt haben, wie auch Collison in seiner Mail andeutet.
Snap, das Unternehmen hinter der Chat-App Snapchat, wirft ein Fünftel seiner Angestellten raus. Bald wird auch Mark Zuckerberg, Chef des Facebook-Konzerns Meta, Tausenden kündigen. Die Branche verkauft Optimismus, den Glauben an eine bessere Welt ohne Reibungsverluste, ohne die Unannehmlichkeiten des Alltags. Nun erlebt sie mehr als eine Unannehmlichkeit, nämlich eine Art Heimsuchung. Die geht in erster Linie auf Kosten jener Angestellten, die sie in den vergangenen Jahren mit dem Versprechen auf gigantisches Wachstum angelockt hat. Und mit bunten Büros und Gratis-Craft-Beer, sodass man aus der Arbeit gar nicht mehr nach Hause gehen wollte.
Während der Rest der Welt zitterte, legten sie in Kalifornien noch einen drauf.
Der US-Arbeitsmarkt als solcher ist trotz globaler Schocks robust, die Entlassungen im Tech-Sektor sind also in grossen Teilen hausgemacht. Es ist zumindest eine Mini-Blase, die da gerade platzt. Denn die Entlassungen folgen auf eine gigantische Einstellungswelle während der Hochzeiten der Pandemie. Während der Rest der Welt zitterte, legten sie in Kalifornien noch einen drauf. Meta, Microsoft und der Google-Konzern Alphabet haben ihre Belegschaften allein im vergangenen Jahr je um etwa ein Viertel vergrössert. Wer IT konnte, war in einer erstklassigen Verhandlungsposition. Für Fachleute wirkte es wie der beste Arbeitsmarkt aller Zeiten. Ein Spiel, in dem lange keiner verlieren konnte.
Das Spiel ging so: Geld liess sich zum Nulltarif leihen, und auf der Suche nach Renditen steckten Investoren Geld in Start-ups. Sie vertrauten auf noch mehr halsbrecherisches Wachstum. Die Strategie der Gründer: Investoren beeindrucken, blitzskalieren, verkaufen oder ab an die Börse. So entstand eine neue Milliardärskaste, und auch Mitarbeiter profitierten von hohen Gehältern und Anteilen an den Unternehmen, die sie selbst reich machen konnten. Jahrelang wurden die Bewertungen, zu denen Start-ups gehandelt wurden, immer höher.
«Gott-Modus» heisst der Trick in Computerspielen, mit dem die Spielfigur unverwundbar wird. So unverwundbar fühlte sich die Tech-Branche, und der Boom in der globalen Krise schien das zu bestätigen. In Zeiten von Lockdowns und Abstandsregeln klebten die Menschen noch mehr an den Bildschirmen. Sie spielten, konferierten, luden App um App herunter. Doch auch in diesem Fall war das Spiel im Gott-Modus nicht das echte Spiel, in dem es schnell «Game Over» heisst.
Nun sind die Zinsen hochgeschnellt, es gibt wieder andere interessante Anlagen als Tech-Firmen. Die Aktienkurse sind entsprechend eingebrochen, Meta ist dafür nur das prominenteste Beispiel. Zwar sitzen die einschlägigen Risikokapitalisten auf einer Viertelbillion Dollar, die sie in Firmen stecken könnten – «trockenes Pulver» im Jargon. Doch sie sind vorsichtig geworden, viele Investoren wollen nun Geld sehen. Das gibt es am schnellsten, indem die Unternehmen, in die sie investiert haben, beim Personal sparen.
Es ist die andere Seite der Skalierbarkeit, des heiligen Prinzips der Digitalfirmen: Wer blitzschnell wächst, kann auch blitzschnell wieder runterfahren. Das ist der Teil der grossen Tech-Story, den man im Silicon Valley ungern erzählt. Man wird ihn in nächster Zeit öfter hören.
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