Gentechnik und KlimawandelDie Schweiz zögert – die Briten machen vorwärts
Die Wirtschaft will das Gentechmoratorium lockern. Doch Bundesrat und Verwaltung bremsen – und mit ihnen eine Ethikkommission. Deren Präsident muss nun Angriffe aus dem Parlament parieren.
In Grossbritannien sollen bald schon spezielle Pflanzen auf den Markt gelangen können – solche, die mithilfe neuer Gentechverfahren wie Genom-Editing gezüchtet wurden. Das britische Parlament plant dazu ein Gesetz, derweil die Schweiz und die EU mit dem Thema hadern.
«Die Briten machen vorwärts», freut sich Jürg Niklaus. Er präsidiert den Verein «Sorten für morgen», der sich in der Schweiz dafür einsetzt, dass solche neuen Züchtungsmethoden eine Chance erhalten. Dahinter stehen Akteure der gesamten Lebensmittelkette, von landwirtschaftlichen Organisationen bis zu den Detailhändlern Migros und Coop. Auch das Konsumentenforum gehört dazu.
Ob die Schweiz denselben Weg einschlagen soll, ist umstritten. Nach einem Volksbeschluss ist es seit 2005 untersagt, gentechnisch veränderte Pflanzen kommerziell anzubauen. Und eben erst hat das Parlament das Moratorium bis Ende 2025 verlängert. Allerdings scheint das Verbot nicht mehr sakrosankt: Bis 2024 muss der Bundesrat für neue Verfahren wie Genom-Editing eine Zulassungsregelung erarbeiten – gegen seinen Willen, das Parlament hat ihn dazu verknurrt.
Gefordert ist damit als Nächstes die Verwaltung, welche die Grundlagen liefern muss. Allerdings scheint die Skepsis gegenüber einer Lockerung des Moratoriums beträchtlich, namentlich im Bundesamt für Umwelt, dessen oberste Chefin Simonetta Sommaruga ist. Die Sozialdemokratin hatte 2005 – damals als Ständerätin und Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz – für das Moratorium geweibelt.
Den Eindruck einer ungewillten Verwaltung haben jedenfalls Wirtschaftsvertreter und Parlamentarier nach verschiedenen Treffen mit teils hochrangigen Bundesangestellten gewonnen. Befürchtet wird jetzt, der Bundesrat werde am Ende die Hürden für die Zulassung so hoch ansetzen, dass die kommerzielle Nutzung solcher Pflanzen faktisch unmöglich bleibe.
In dieses Bild passt eine neue Einschätzung einer Expertengruppe, die den Bundesrat und die Bundesverwaltung berät. Die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich hat bewertet, ob Methoden wie Genom-Editing helfen können, die Landwirtschaft an den Klimawandel anzupassen, also Pflanzen robuster zu machen, etwa gegen Hitzestress oder stärkeren Schädlingsdruck. Ihr Befund: Es sei «eher unwahrscheinlich», dass diese Verfahren einen entscheidenden Beitrag zur Sicherung oder Steigerung der Ernteerträge leisten könnten; die Zeitspanne, die wegen des Klimawandels zur Verfügung stehe, sei zu knapp.
Wie jetzt bekannt wird, hat die Stellungnahme der Kommission ein Nachspiel. Nationalrat Martin Bäumle (GLP) findet, das Gremium habe sich «unzulässig eingemischt, um den Widerstand der Verwaltung zu stärken». Der Bundesrat muss deshalb Fragen beantworten, Bäumle hat letzte Woche eine Interpellation eingereicht. Dass Politiker aus SVP und FDP mitunterschrieben haben, deutet auf ein verbreitetes Unbehagen im bürgerlichen Lager hin. Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbands, wirft der Kommission offen vor, Politik zu machen.
Die zwölfköpfige Kommission setzt sich unter anderem aus Philosophen, Theologen und Rechtswissenschaftlern zusammen. Bäumle möchte vom Bundesrat wissen, was diese Personen qualifiziere, das Potenzial einzelner Züchtungsmethoden zu beurteilen. Andere Fachgremien würden den neuen Züchtungsmethoden ein hohes Potenzial attestieren, sagt Bäumle, gerade mit Blick auf den Klimawandel, so etwa die Akademien der Wissenschaften.
Umstrittene Personalie
Für Irritation unter Parlamentariern sorgt nicht zuletzt die Personalie Eva Gelinsky. Die Agrarwissenschaftlerin ist nicht nur Mitglied der Ethikkommission, sondern auch im Vorstand der Schweizer Allianz Gentechfrei. Bäumle sieht in ihr eine politische Aktivistin. Was Gelinsky zum Vorwurf meint, bleibt offen. Die Agrarwissenschaftlerin nimmt auf Anfrage keine Stellung und verweist für Auskünfte auf Kommissionspräsident Klaus Peter Rippe.
Anruf also in Karlsruhe, wo der Professor für Philosophie seit 2016 Rektor der Pädagogischen Hochschule ist. Rippe geht auf die Frage des Politaktivismus nicht direkt ein. Im Gespräch macht er klar: Er hält die interdisziplinäre Zusammensetzung der Kommission für sinnvoll und das Gremium für kompetent, die Rolle der neuen Gentechverfahren im Spannungsfeld von Klimawandel und Landwirtschaft einzuschätzen. Die Kommission, betont Rippe, habe auch nie gesagt, dass sie die neuen Verfahren ablehne. Sie zweifle nur daran, dass diese Verfahren in nützlicher Frist mithelfen könnten, die Landwirtschaft besser an den Klimawandel anzupassen. Es sei daher ethisch nicht zu rechtfertigen, derzeit die Hoffnungen auf diese Verfahren zu setzen.
Die Wogen glätten kann Rippe damit nicht. «Er bestätigt meine Kritik, dass sich die Ethikkommission nicht mit grundsätzlichen ethischen Fragen befasst hat», sagt GLP-Politiker Bäumle. Es sei nicht ihre Sache, das Potenzial neuer Methoden einzuschätzen. Das sei Aufgabe der Wissenschaft in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft.
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