Die Ruhe selbst – mitten in der Euphorie
4:0 gegen Tampa: Wie Dean Kukan in Columbus den Rummel rund um die wohl grösste Playoff-Sensation der NHL erlebt.
Da staunten sie nicht schlecht, die Blue Jackets. Weil ihr letztes Spiel schon eine Woche her war und John Tortorella befürchtete, dass Tempo und Rhythmus bald verloren gehen würden, verwandelte der Headcoach das Training in einen internen Testmatch – die Türen der Nationwide Arena blieben offen, vielleicht würden ja ein paar neugierige Leute vorbeischauen.
Es kamen 5000 Fans. In Columbus! Dort, wo die Euphorie fürs Eishockey nicht immer gross war, seit die Blaujacken 2000 in ihre erste NHL-Saison stiegen. Doch nun, im April 2019, ist plötzlich alles anders.
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Die Nationwide Arena in Columbus am Montag – vor dem Training.
«Das war cool!», sagt auch Dean Kukan. Der 25-jährige Zürcher kommt seit Tagen nicht mehr aus dem Staunen, die guten Erlebnisse jagen sich in hoher Geschwindigkeit. Gerade für den Schweizer Verteidiger sind das wie wohl portionierte Wiedergutmachungen für eine Saison, in der sehr lange Zeit nichts nach seinem Gusto lief. Kukan durfte in der 82 Spiele langen Qualifikation nur 25-mal mittun, ansonsten war er überzählig, sah die Spiele von der Tribüne aus.
Playoff wie im Traum
Doch nun hat Columbus erstmals eine Playoffserie gewonnen – nachdem die Blue Jackets erst als 16. und letztes Team überhaupt den Kampf um den Stanley-Cup 2019 erreicht hatten. Sie bezwangen mit Tampa ausgerechnet das Team, das in der Regular Season mit 62 Siegen den 23 Jahre alten, für unantastbar gehaltenen Rekord der Detroit Red Wings egalisiert hatte – sie taten es mit 4:0 Siegen. Es ist die bislang vielleicht grösste Playoff-Sensation der NHL überhaupt.
Auf dem sozialen Netzwerk Twitter hatte ein grundsätzlich auf verbalen Krawall ausgerichteter, aber selbst unter NHL-Profis bekannter Parodie-Account des ehemaligen Profis Dany Heatley das 4:0 für Columbus vorausgesagt. «Er war sicher der Einzige», sagt Kukan und lacht. «Wir glaubten immer an den Sieg», ergänzt er ernst, «sonst wäre er nicht möglich gewesen. Aber ein 4:0-Tipp, der wäre extrem gewesen.»
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Der Tweet mit Hellseher-Fähigkeiten eines berühmt-berüchtigten Parodie-Accounts auf Twitter.
Kukan und die Columbus Blue Jackets. Fast alles ist an dieser Story zu schön, um wahr zu sein. Auch der Steigerungslauf innerhalb der Serie. Denn als Tampa in Spiel 1 nach 20 krass überlegen geführten Minuten 3:0 führte, schien alles den erwarteten Verlauf zu nehmen.
Die Pause zwischen Start- und Mitteldrittel des Auftaktspiels war der Moment, der für Kukan rückblickend entscheidend war: «Es brauchte dieses erste Drittel. Bei Tampa glaubten sie nun, es würde im Playoff genauso einfach weiter gehen wie in der Qualifikation. Und bei uns in der Garderobe ergriffen die Leader das Wort, sagten: So geht das nicht!» Columbus drehte das Spiel, gewann 4:3, es folgten drei weitere Siege: 5:1, 3:1, 7:3 – der grosse Dominator Tampa war entzaubert. Kukan: «Mit dem ersten Sieg stieg unser Selbstvertrauen, da wussten wir es: Wir können sie schlagen!»
Mehr Eiszeit – auch dank Kutscherows Foul
Auch für Kukan wurde es von Match zu Match besser. Nach einem nervösen Beginn fand er sein ruhiges Spiel wieder, wurde von Tortorella mit immer mehr Eiszeit belohnt. Seit in Spiel 2 der Finne Markus Nutivaara nach einem Frustfoul von Tampas Startstürmer und NHL-Topskorer Nikita Kutscherow verletzt ausfiel, hat Kukan dessen Platz im zweiten Verteidiger-Paar neben David Savard eingenommen. «Für mich ist nur schon unglaublich, dass ich im Playoff spielen darf», sagt der Zürcher. «Hätte mir das jemand Mitte Saison gesagt, ich hätte es nicht geglaubt.»
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Das Foul von Nikita Kutscherow in Spiel 2 an Markus Nutivaara. Der Russe Tampas wurde für Spiel 3 gesperrt, der Finne der Blue Jackets fällt seither aus – Dean Kukan erbte seinen Platz.
Diese Ruhe Kukans, die in Columbus von Trainern und Medien unisono betont wird, hilft ihm auf dem Eis: «Das war immer so, ich hatte schon bei den Junioren nur selten Panik im Spiel», sagt Kukan. Die Ruhe, sie hat ihn aber auch neben dem Eis: «Ich bin sicher jener, der am wenigsten redet in unserem Team.» Auch das ist nichts Neues, sagt er lachend: «Die Ruhe ist mir wohl angeboren. Ich war immer einer, der nicht viel spricht – meine Schwester ist das Gegenteil …»
Die Ruhe, sie dürfte zuletzt auch geholfen haben, als er in der Qualifikation immer wieder überzählig war. Zwei weitere Dinge ebenso – zum einen Durchhaltevermögen: «Ich trainierte stets hart. Dann erhielt ich vor einem Monat in einem Spiel in Vancouver plötzlich eine Chance. Seither war ich nie mehr überzählig.» Zum anderen ein Vorbild im eigenen Team: «Verteidiger Scott Harrington erlebte vor einem Jahr das genau Gleiche wie ich. Nun ist er Stammspieler.»
Der Ratschlag des Agenten
Umwege kennt Kukan sowieso. Als er sich 2011 mit 17 bei den ZSC Lions in einer sportlichen Sackgasse sah, entschied er sich trotz laufendem Vertrag für einen Wechsel. Ein Transfer innerhalb der Schweiz wurde ihm vom Club nicht bewilligt, also blieb nur eine Frage: Kanada oder Schweden? Kukan erinnert sich: «Mein Agent Louis Liesch empfahl mir Schweden.»
Kukan verschwand vom Radar der meisten Schweizer Eishockeyfans, doch der Wechsel zu Lulea wurde zum wichtigsten Schritt in seiner Karriere: «Ich machte in den vier Jahren dort meine grössten Fortschritte – vor allem in den ersten zwei Saisons unter Juniorentrainer Petter Nilsson. Er zeigte mir auf, wie gut ich sein kann und wie mein Spiel werden soll.»
Heute gibt Kukan als NHL-Spieler Interviews, doch jene Zeiten hat er nicht vergessen. Auch die Episode nicht, als er von Lulea kurz in die zweithöchste Liga Schwedens ausgeliehen wurde zu einem Club mit dem Namen Tingsryds – dort coachte mittlerweile ebenfalls sein Förderer Nilsson: «Schöne Zeiten», sagt Kukan, der in der NHL nie gedraftet wurde. Seine Leistungen in Schweden weckten das Interesse in Columbus.
Die Warnungen des emotionalen Coaches
Und damit zurück zur Gegenwart, zur Euphorie in Columbus, die Kukan als «immer grösser und mittlerweile unglaublich» beschreibt. In der Nacht auf Freitag, wenn die Zweitrundenserie in Boston beginnt, muss es damit zumindest im Team vorbei sein. «Unser Trainer sprach zuletzt genau davon», sagt Kukan. «Wir dürfen jetzt nicht abheben. Spielen wir so weiter wie gegen Tampa, dann kommt es gut.»
Tortorella ist der wohl emotionalste Headcoach in der NHL, seine Interviews und Sprüche gegenüber Medien sind seit Jahren berüchtigt. Seine Nachricht ans Team war vor der Serie gegen Tampa indes simpel: Keine Angst haben, härter arbeiten.
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«Keine Angst haben, nie zurückweichen!»: (Der leicht zensierte) John Tortorella und die Momente in der Garderobe der Blue Jackets vor Spiel 1 gegen Tampa.
«Das haben wir getan», sagt Kukan. «Wir zeigten: Man kommt nicht bloss mit Skills weiter, man muss als Team eine hart arbeitende Einheit sein.» Der Schweizer lobt vor allem die Kollegen im Sturm: «Sie waren aggressiv im Forechecking und im Backchecking. Wir erlaubten Tampa so kaum 3-gegen-2- oder 2-gegen-1-Konter.»
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Eine Auswahl der besten Momente John Tortorellas mit den Medien – aber auch mit Gegnern: Gleich zu Beginn des Videos will er erzürnt in einer Drittelspause in die Garderobe der Calgary Flames stürmen – als Coach der Vancouver Canucks notabene …
Das dürfte auch Tortorella gefreut haben. Kukan nennt ihn stets «Torts», so wie das alle im Eishockey-Kosmos Nordamerikas tun – er beschreibt seinen Coach als «gegenüber allen Spielern genau gleich ehrlichen Trainer. Wenn du nicht gut spielst, kriegst du es von ihm zu hören, egal wer du bist.» Und ja, «Torts-Sprüche» gäbe es auch für die Spieler: «Dann, wenn es gut läuft …»
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