Und wenn der Gegner wieder den Hammer auspackt?
NHL-Leader Tampa verkörpert modernes Eishockey mit Tempo und Skills. Ihm sitzt allerdings ein Gespenst im Nacken.
Martin St. Louis war einst Vorbild einer ganzen Generation kleiner Eishockeyspieler. In einer Zeit, als in der National Hockey League (NHL) der ideale Spieler möglichst gross und schwer war, stürmte dieses bloss 1,73 Meter grosse und rund 80 Kilo leichte Männlein in die Welt der NHL-Riesen und führte die Tampa Bay Lightning 2004 zum Stanley Cup – als bester Skorer der Liga.
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Eines der Highlights von Martin St. Louis' Karriere: Der Stürmer Tampas trifft in der 2. Verlängerung des 6. Finalspiels 2004 in Calgary und gleicht die Serie zum 3:3 aus.
Vielleicht ist auch darum bis heute, fast 15 Jahre später, dieses Bild von Tampa und dem kleinen Mann in den Köpfen der Eishockeyfans geblieben.
Was natürlich eine Verzerrung der Realität ist. St. Louis war eine Ausnahmeerscheinung, elf Spieler der Meistermannschaft waren mindestens 1,90 gross, St. Louis der einzige Stammspieler unter 1,80.
Der «Goon», der war einmal
Das NHL-Eishockey von 2004 hat mit jenem heute nicht mehr viel gemein. Tampa leistete sich damals in jedem Spiel einen 110-Kilo-Mann im Kader, dessen Name genau so simpel war wie seine Rolle: Chris Dingman machte sein Ding, indem er Grobiane des Gegners zum Faustkampf bat – das war ganz normal, alle hatten ihren «Goon».
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Chris Dingman und Rob Ray, zwei Schwergewichte des «alten» Eishockeys prallen aufeinander.
Das ist heute unvorstellbar. Tampa ist ein Modellbeispiel der neuen NHL, in der Tempo und Skills immer wichtiger werden, das rein physische Element immer unbedeutender.
Die besten Kleinen
Die neuen Lightning sind nicht nur erfolgreich: Sie führen die Liga mit 17 Punkten Vorsprung an, obwohl es in der NHL nur zwei Zähler pro Sieg gibt. Tampa ist auf Kurs für 129 Punkte, der Rekord von Montreals Wunderteam 1976/77 liegt bei 132.
Tampa ist aktuell auch eines der kleinsten NHL-Teams. Seine Top-Formation mit Center Brayden Point (1,79 m) und den Flügeln Nikita Kutscherow (1,80 m) und Yanni Gourde (1,75 m) duelliert sich mit Colorados 3-Mann-Show Landeskog/MacKinnon/Rantanen um den inoffiziellen Titel des besten Sturmtrios der Saison – die beste «kleine Linie» bilden sie allemal.
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Sie verstehen sich blind: Brayden Point und Nikita Kutscherow. (Video: nhl.com)
Und die Offensive der Lightning hat im Gegensatz zu Colorado auch dahinter einiges zu bieten: Zum Beispiel Tyler Johnson (1,73 m), der mit Captain Steven Stamkos ebenfalls für Furore sorgt. Jugend-Idol und Inspiration der «Zwerge» Gourde und Johnson ist, wen wundert's, Martin St. Louis.
Klein allein reicht nicht
Ungewöhnlich ist auch der Werdegang des Mannes hinter der Bande: Jon Cooper wurde ohne Erfahrung als Profispieler Trainer, nun ist er seit 2013 im Amt und damit so lange wie kein anderer aktueller NHL-Headcoach.
Dass er kleine Spieler mag, verhehlt Cooper nicht, dass diese aber grundsätzlich Vorteile haben sollen im modernen Eishockey, ist für ihn eine Mär: «Um als kleiner Spieler erfolgreich sein zu können, musst du in mindestens einer anderen Kategorie einer der Weltbesten sein», sagte er kürzlich, als es um Point und seine aktuelle Saison ging.
Point brilliert als Zwei-Weg-Center auch im defensiven Bereich, offensiv ist er auf Kurs für 105 Skorerpunkte, teamintern wird er nur von Linienkollege Kutscherow übertroffen. Der 25-jährige Russe und seine 29 Tore und 70 Assists nach nur 61 Spielen sind hochgerechnet auf die 82 Spiele lange Qualifikation gut für 133 Skorerpunkte – da hält ligaweit keiner wirklich mit.
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Ein Tor schiessen ohne Schuss? Nikita Kutscherow hat auch das im Repertoire.
Point, erst 22, hat bereits eine beeindruckende Entwicklung hinter sich. Als der Drittrunden-Draft Tampas von 2014 zwei Jahre danach in die NHL kam, traute ihm kaum jemand eine Leistung wie in dieser Saison zu.
Den vielleicht grössten Fortschritt machte Point im läuferischen Bereich. Das kommt nicht von ungefähr, denn Tampa ist auf vielen Ebenen bereit, neue Wege zu gehen: Wie viele andere junge Spieler der Organisation der Lightning arbeitete auch Point mit Barbara Underhill, einer ehemaligen Eiskunstlauf-Junioren-Weltmeisterin.
Man stelle sich die Blicke der schweren Jungs des guten alten Eishockeys der Achtziger und Neunziger bloss vor, wenn der Trainer sie zur Eistänzerin geschickt hätte …
Auch Spass muss sein …
Für Cooper ist Points Tempo beispielhaft für den Erfolg seiner Mannschaft: Kutscherow sei der vielleicht talentierteste Spieler der Liga, aber es sei Point, der neben ihm Dampf mache und den Russen antreibe. Coopers Credo: Sei schnell genug, dann kann dich keiner checken.
Tampas Cheftrainer gab kürzlich der «Sports Illustrated» drei Tage lang einen Einblick in seine Arbeit, und da zeigte sich auch das: Befehlende «Bandengeneräle» sind in der NHL out. Cooper mag ein Perfektionist sein, der bis spät in die Nacht mit Video an der Taktik büffelt. Aber er legt genau so viel Wert auf Spass und Kameradschaft – bei Spielern und Staff.
Die Lightning treffen sich monatlich zum Golfturnier, sie führen genauso interne Ranglisten im Schwimmen, Schachspiel und «Siedler von Catan», einem Brettspiel. Zwei seiner auf diese Saison hin neu installierten Assistenztrainer sind Rookies auf NHL-Level, Cooper wollte sie auch darum, weil sie Typen seien, die gute Laune in der Garderobe verbreiten können.
… und wo der Spass aufhört
Cooper setzt auf Kommunikation, bespricht sich regelmässig mit Stamkos, um das Team zu spüren, er erwartet dabei stets konstruktive Kritik seines Captains. Dass seine Spieler das honorieren, freut Cooper besonders, wie folgende Episode mit Point aus dem Playoff 2018 im Viertelfinal gegen Boston zeigt.
Er nahm seinen kleinen Lieblings-Center in der ersten Drittelspause des zweiten Spiels zu sich ins Büro. Point, eigentlich vorgesehen als Neutralisator der gegnerischen Top-Linie, hatte Spiel 1 mit einer grausamen Minus-5-Bilanz beendet und nun erneut ein Gegentor «kassiert».
Es gab aber keine Schelte, im Gegenteil: Cooper erzählt, er habe Point bloss gesagt, dass er an ihn glaube und dass er seine Rolle erfolgreich spielen könne. Und, wie könnte es auch anders sein: Point stand bis zum Ende der von Tampa in 5 Spielen gewonnenen Serie bei keinem weiteren Gegentreffer mehr auf dem Eis.
Doch nur mit Spass und gutem Zureden funktioniert dann auch Cooper nicht. Ausgerechnet Point erfuhr das letzten Dienstag, als Tampa in Philadelphia spielte. Cooper verbannte seinen Mittelstürmer auf die Tribüne, weil dieser am Morgen ein Teammeating unentschuldigt verpasste – da gabs kein Pardon.
Zwei Dinge belasten Tampa
Die Top-Linie einfach Mal freiwillig auseinander nehmen – wie viele Teams können sich das leisten? Auch die nordamerikanische Fachpresse sieht Tampa derzeit als das Top-Team, die renommierte «Hockey News» setzt in ihrer aktuellen Ausgabe die Lightning auf Platz 1, wenn es um potenziellen Erfolg in den nächsten fünf Jahren geht.
Und dennoch: Es gibt zwei Dinge, die Tampas rosige Aussichten trüben könnten. Eine ganze Reihe von günstigen Verträgen wichtiger Spieler läuft Ende Saison aus, die Regel der Lohnobergrenze in der NHL wird es verunmöglichen, die Mannschaft in dieser Form zusammenzuhalten. Da in der Pipeline der Lightning diverse gute junge Spieler aufs Nachrücken ins NHL-Team warten, ist dies das kleinere Problem Coopers.
Das grössere verfolgt ihn immer noch Tag für Tag, Nacht für Nacht – immer wieder schaut er sich die Videobilder vor dem Schlafengehen an: Das Halbfinal-Aus letzte Saison gegen Washington, trotz 3:2-Führung in der Best-of-7-Serie.
Spiel 6 und 7 verlor Tampa 0:3 und 0:4. Schlimmer noch: Das Team Coopers wurde von den Capitals regelrecht herumgeschubst, als diese den Hammer auspackten.
Braucht es für Erfolg im Playoff vielleicht eben doch auch ein wenig «Good ole' hockey», die Prise Härte und Boshaftigkeit? Es ist ein offenes Geheimnis, dass Tampa bis zur am 25. Februar folgenden Transfer-Sperrfrist vor allem noch Philadelphias Stürmer Wayne Simmonds gerne verpflichten würde. Der kann Hockey spielen und Tore schiessen – und auch kräftig zulangen, wenn es sein muss.
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