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Interview zur Lage in China
«Die Proteste können im Extremfall zu einem Militäreinsatz führen»

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Lange konnte das chinesische Regime den Unmut unter dem Deckel halten, jetzt kommt es plötzlich vielerorts zu Protesten. Weshalb?

Dies hat mit einem Hausbrand in Urumqi zu tun, bei dem zehn Menschen ums Leben kamen. Es wurde der Vorwurf laut, die Feuerwehr habe wegen der strengen Corona-Massnahmen keinen Zugang gehabt. Viele Chinesinnen und Chinesen denken, dass dies auch bei ihnen passieren kann. Wurden doch auch bei ihnen wegen des Lockdown Türen verschlossen. Generell leidet die Bevölkerung unter den strengen Massnahmen.

Ist es die schiere Verzweiflung, welche die Leute auf die Strasse treibt?

Ja, die Leute sind in ihrem eigenen Leben enorm eingeschränkt. In diesen Unmut wird auch anderer Ärger hineinprojiziert – etwa die Frustration aufgrund der Machtanmassung von Xi Jinping. So wurde an den Protesten auch «Nieder mit Xi Jinping» und «Nieder mit der Kommunistischen Partei» gerufen. Dies ist sehr bemerkenswert angesichts der Gefängnisstrafen, die solche Aussagen nach sich ziehen können.

Es zeigt sich immer deutlicher, dass die chinesische Strategie gegen Covid derjenigen der restlichen Welt unterlegen ist. Verstärkt dies den Unmut noch?

Viele Chinesinnen und Chinesen verfolgen jetzt die Fussball-WM, denn Fussball hat in China einen hohen Stellenwert. Sie sehen Bilder aus Katar, auf welchen die Zuschauer ohne Masken nahe beieinander sitzen – auch wenn das chinesische Fernsehen versucht, solche Bilder auszublenden. Manche glauben, dass dies die Proteste begünstigt hat. Es gab ja auch in China sporadisch Andeutungen, die Corona-Massnahmen zu lockern. Das Regime hält aber im Wesentlichen an seiner Null-Covid-Strategie fest.

Warum?

Zum einen darf die Partei nicht falschliegen. Es ist für ein solches Regime ausserordentlich schwierig, hinzustehen und zu sagen: «Wir haben einen Fehler gemacht.» Zum anderen sind viele ältere Chinesinnen und Chinesen nicht geimpft. Das Regime versucht, Tote und Hospitalisierungen zu vermeiden. Dies zeigt aber auch, dass man es verpasst hat, sich etwa auf eine westliche Impfung einzulassen. Gegenwärtig steigen die Fallzahlen in China stark.

«Wir sind noch weit weg von einem organisierten Aufstand wie 1989 auf dem Tiananmen-Platz.»

Es ist also unwahrscheinlich, dass aufgrund der Proteste die Massnahmen gelockert werden?

In einem autoritären Regime ist es selten eine gute Idee, Forderungen von Protestierenden zu erfüllen.

Wie wird denn das kommunistische Regime nun reagieren?

Es gab bislang spontane, wenig koordinierte Proteste. Wir sind noch weit weg von einem organisierten Aufstand wie 1989 auf dem Tiananmen-Platz. Natürlich können die Proteste eine unerwartete Dynamik annehmen. Aber ich bin eher skeptisch, dass daraus eine grosse politische Bewegung wird. Dafür ist der Repressionsapparat schlicht zu stark. Und auf diesen Apparat wird das Regime setzen. Will heissen: Man zeigt Präsenz durch die Polizei und verhaftet Leute. Das ist jetzt Aufgabe der lokalen Regierungen, die für solche Situationen Pläne bereitliegen haben. Die Zentralregierung in Peking kann sich durch dieses Delegieren nach unten ein Stück weit schützen. Die Proteste können aber im Extremfall zu einem Militäreinsatz führen, wenn sie länger andauern.

«Die Karten sind so verteilt, dass sich das Regime wohl durchsetzt.»

Noch nie wurde eine Bevölkerung derart umfassend überwacht wie die Chinesinnen und Chinesen. Trotzdem kommt es jetzt zu diesen Protesten. Können sich die Teilnehmenden irgendwie schützen? Oder nehmen sie die Folgen einfach in Kauf?

Ich glaube nicht, dass man sich dagegen schützen kann. Es gibt derart viele Kameras auf den Strassen. Und die Gesichtserkennung ist in China enorm schnell. Wer nicht festgenommen wurde, kann immer noch identifiziert werden.

Mit welchen Folgen?

Diesen Leuten drohen lang andauernde Konsequenzen im Alltag, indem man sie fortan schlechter behandelt als andere. Wer offen gegen Xi Jinping oder die Partei skandiert, muss auch mit Gefängnisstrafen rechnen. Offensichtlich nehmen sie das in Kauf. Kommt hinzu, dass die Covid-Massnahmen viele zur Verzweiflung treiben. Es sind ja angeblich auch schon Leute aus dem Fenster in die Tiefe gesprungen.

Wird es dem Regime gelingen, die Proteste zu ersticken?

Es ist zumindest zu befürchten. Allerdings erstaunt, wie die Proteste von der einen auf die andere Provinz übergesprungen sind und aufeinander Bezug nehmen. Etwa, indem in Shanghai auf der Urumqi-Strasse demonstriert wird.

Warum erstaunt Sie das?

Die Kommunistische Partei hat viele Instrumente, um den Informationsfluss zwischen den Provinzen einzuschränken. In den chinesischen Nachrichten wird nicht darüber berichtet. Aber kein Überwachungsapparat ist perfekt. Es gibt offenbar Kanäle, auf welchen sich die Protestierenden zumindest kurzfristig informieren können. Ich zweifle allerdings daran, dass es unter den gegebenen Umständen möglich sein wird, eine grosse politische Bewegung aufzubauen wie 1989. Die Karten sind so verteilt, dass sich das Regime wohl durchsetzt.

Kratzen die aktuellen Ereignisse nicht an der Macht von Xi Jinping?

Er war schon vor dem Parteikongress unglaublich mächtig und ist seither noch mächtiger. Innerhalb der Partei hat er nichts zu befürchten. Wenn er nun von Teilen der Gesellschaft infrage gestellt wird, wird er dies mit aller Härte unterdrücken.

Wird auch die chinesische Diaspora in der Schweiz überwacht?

Es ist davon auszugehen. Es gibt jedenfalls viele derartige Vorwürfe. Ein Regime wie China will seine Diaspora im Ausland managen und einen Nutzen daraus ziehen – indem es sie mit Dienstleistungen unterstützt, aber auch durch Überwachung und Kontrolle.

«Für die Journalistinnen und Journalisten in China wurde es schon in den letzten Jahren immer schwieriger.»

Versucht das Regime auch auf Schweizer Institutionen wie Hochschulen und Medien Einfluss zu nehmen?

Ja, das gilt insbesondere für die Forschung, Wirtschaft, Politik, aber auch die Medien. Ich habe dazu 2020 eine Studie veröffentlicht.

Anlässlich der Proteste in China wurden auch Journalisten verhaftet und verprügelt. Dürfte das nun zunehmen?

Für die Journalistinnen und Journalisten in China wurde es schon in den letzten Jahren immer schwieriger. Das ständige Vorladen und Belästigen dient auch der Einschüchterung. Kommt hinzu, dass die chinesische Polizei nun am Anschlag ist.

Erwarten Sie, dass China jetzt mit aussenpolitischen Massnahmen von den innenpolitischen Problemen ablenken will? Etwa durch Scharmützel mit Taiwan?

Das kann man nie ausschliessen, aber ich gehe nicht davon aus. Innenpolitik ist in China wichtiger als Aussenpolitik. Man wird die Proteste daher mit Repression beantworten und kaum ein weiteres Problemfeld eröffnen wollen.