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Jahrhundertbauwerk der Schweiz
Die Neat ist fertig – und fast keiner darf kommen

Der Tunnel – und die Bundesräte Simonetta Sommaruga und Ignazio Cassis. 
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Partykiller Corona. Auch auf dem sonnenbeschienenen Schotterfeld bei Giubiasco sorgt das Virus dafür, dass keine Stimmung aufkommen kann. 600 Gäste wären eigentlich vorgesehen gewesen, inklusive Verkehrsminister aus dem nahen Ausland. Jetzt sind neben den beiden Bundesräten Simonetta Sommaruga und Ignazio Cassis aber gerade mal knapp 50 Eingeladene, dazu 45 Pressevertreter im temporären Festzelt versammelt.

Alle tragen Maske, halten Abstand. Ein Bundesratsweibel steht allein in einer Ecke. Der keimfreie hellblaue Stoff über Mund und Nase will nicht so recht zu seinem altertümlichen Mantel passen. Die Alphorngruppe von Gordola bläst melancholische Töne über die Gleise.

Behörden, Bähnler und Presseleute sind an diesem Freitagmittag zusammengekommen – wegen zweier Löcher im Ceneri. Diese stehen für nichts weniger als die Vollendung eines Jahrhundertprojekts. Mit dem 15,4 Kilometer langen Ceneri-Basistunnel ist die Neat Tatsache, dieses vor 28 Jahren vom Volk beschlossene Bauprojekt, das dem Schwerverkehr auf Gleisen den Weg ebnen soll.

«Berg ist gross, wir sind klein»

Rund 23 Milliarden Franken hat es gekostet. Mit der Neat sind Abermillionen Tonnen Geröll weggetragen worden, Minenarbeitern hat sie das Leben gekostet. Vor allem hat die Neat stets für Emotionen gesorgt. Bereits der Abstimmungskampf 1992 wurde hitzig geführt, der Bau war während Jahren für Schlagzeilen gut. Unvergessen die bundesrätliche Umarmung von Adolf Ogi und Moritz Leuenberger im stickigen Stollen – geschehen 2010, als der Durchstich des Gotthard-Basistunnels gefeiert wurde. «Der Berg ist gross. Wir sind klein», sagte Verkehrsminister Moritz Leuenberger damals bei den Feierlichkeiten.

Sechs Jahre später war das Gotthard-Bauwerk fertig, und die Welt staunte über den längsten Bahntunnel der Welt. Der französische Präsident François Hollande rühmte die Schweizer Ingenieurskunst, Ähnliches war von Angela Merkel und Matteo Renzi zu hören. Das Bild der drei Staatschefs im SBB-Waggon ging um die Welt. Im Viererabteil sass auch Johann Schneider-Ammann, der von so viel Lob und Aufmerksamkeit etwas überfordert wirkte. Pathos und Emotionen. Beim Gotthard geriet die nüchterne Schweiz in Wallung.

An diesem heissen Tessiner Spätsommertag im Jahr 2020 aber sind keine grossen Gefühle auszumachen. Der 554 Meter über Meer liegende Monte Ceneri ist nicht der Gotthard. Und die Zeit ist eine andere. Grosse Versammlungen, Umarmungen sind unangebracht. Das Virus: Es bremst, es hält alles klein. Dabei hätten sich die Anwesenden einen grossen Bahnhof gewünscht für dieses schweizerische Jahrhundertprojekt.

Das Band ist durch, der Videoscreen an, der Tunnel offen. Von links: Dieter Schwank, CEO der Alp Transit Gotthard AG, Ignazio Cassis, Simonetta Sommaruga, der Tessiner Staatsrat Norman Gobbi und SBB-Chef Vincent Ducrot.

Die Bundesräte, Simonetta Sommaruga und Ignazio Cassis, sprachen in ihren Reden denn auch häufig von der europäischen Idee, von der Bedeutung des Ceneri für ganz Europa. Die Neat ist vollendet – zumindest in der Schweiz. Denn bis Lastwagenkolonnen auf Zügen von Rotterdam bis Genua durchfahren können, dürfte es noch einige Jahre dauern. Vor allem auf deutscher Seite sind viele Streckenabschnitte noch nicht gebaut.

Ein epochaler Moment – vor allem für das Tessin.

Von diesen Schwierigkeiten wollte an diesem Festtag aber niemand erzählen. Vor allem die Tessiner nicht. Für sie bringt der Ceneritunnel die unmittelbarsten und konkretesten Verbesserungen. Die Strecke Locarno–Lugano kommt ohne Zwischenhalt in Bellinzona aus und wird um 30 Minuten verkürzt. Das Sopra- und das Sottoceneri, diese zwei grundlegend verschiedenen Kantonsteile, rücken damit näher zusammen. Ein epochaler Moment – vor allem für das Tessin.

Die fröhlichste Runde im Zelt war denn auch jene mit der Tessiner Kantonsregierung. Staatsrat Norman Gobbi strahlte. Tessiner Wein und Bier, Polenta und Luganighetta, Tessiner Hauswurst, kamen auf die Stehtische. Und dann wurden doch noch ein paar Schultern geklopft, Hände geschüttelt. Bundesbeamte, Bähnler und Tessiner feierten die interkantonale Verständigung. Sie sind sich doch noch alle nähergekommen.