Interview mit John Bolton«Die meisten Republikaner haben Angst»
John Bolton war Trumps früherer Sicherheitsberater. Als einer der wenigen prominenten Republikaner kritisiert er die Weigerung des Präsidenten, seine Wahlniederlage einzuräumen.
Donald Trump hat seine Niederlage gegen Joe Biden noch immer nicht eingeräumt. Können Sie das verstehen?
Seit der Wahl sind mehr als fünf Wochen vergangen, und Trump hat vor Gericht alles Mögliche unternommen, um das Resultat anzufechten. Er hat dabei nirgendwo Beweise für einen systematischen Wahlbetrug vorgelegt. Es ist deshalb schlicht falsch von Trump, zu sagen, dass es noch irgendeinen Zweifel über den Ausgang der Wahl gebe. Mehr noch: Es ist ein grosses Problem. Zu unserer demokratischen Tradition gehört es, dass der Verlierer seine Niederlage eingesteht und damit auch seinen Anhängern signalisiert, dass es vorbei ist.
Sie haben für Trump gearbeitet, Sie wissen, wie er tickt. Glaubt er wirklich, dass er Opfer eines Wahlbetrugs wurde? Oder verbreitet er die Behauptung wider besseren Wissens, weil er glaubt, dass sie ihm nützt?
Mit Trump verhält es sich nicht so wie mit anderen Menschen, die über etwas lügen, obwohl sie die Wahrheit kennen. Trump legt sich die Welt so zurecht, wie er sie sich wünscht. Wenn sich das zufälligerweise mit der Realität deckt, ist das praktisch – und sonst spielt es auch keine Rolle. Wenn jemand so leben will, dann ist das ihm überlassen. Zum Problem wird es aber, wenn er dabei Millionen von anderen Menschen überzeugt, seine Illusion zu teilen und sich ebenfalls aus der Realität zu verabschieden. Und genau das ist es, was wir gerade erleben.
Wie lange kann Trump diese Illusion aufrechterhalten?
Die Blase wird platzen. Letztlich setzt sich die Realität durch. Aber die Frage ist, wie viel Schaden bis dahin entsteht. Das ist ein Charaktertest für die Republikaner. Wir müssen jetzt in der Partei die Tatsachen anerkennen, über diese Wahl hinwegkommen und nach vorn blicken. Es reicht auch nicht mehr, zu sagen, dass Trump das Recht habe, alle legalen Möglichkeiten zur Anfechtung der Wahl auszuschöpfen. Natürlich hat er das, aber das ist nicht der Punkt.
Sondern?
Trump hatte reichlich Gelegenheit, seine Vorwürfe zu belegen, und er hat es nicht geschafft. Kein einziges Gericht hat ihm inhaltlich recht gegeben. Nun ist es Zeit, dass sich die Republikaner hinstellen und sagen: Okay, wir haben ihm die Gelegenheit gegeben, seinen Fall darzulegen, und er hat rein gar nichts beweisen können – machen wir weiter. Wenn wir das nicht schaffen, werden die Demokraten uns das allen noch lange anhängen. Und es wäre ja auch nicht schwierig, sich abzugrenzen: Als Partei haben wir uns bei den Wahlen auf allen Ebenen gut geschlagen. Es ist nur Trump, der verloren hat.
«Die meisten Republikaner wissen genau, dass Trump die Wahl verloren hat. Aber sie wollen es nicht öffentlich sagen.»
Im Kongress haben nicht einmal 30 von 249 Ihrer Parteikollegen Bidens Sieg anerkannt. Warum schweigen die Republikaner zu Trumps Behauptungen – und verbreiten sie sogar aktiv?
Das ist verstörend. Glauben Sie mir: Ich habe zuletzt mit vielen Abgeordneten und Senatoren über die Wahl gesprochen und darüber, wie wir nach dem 20. Januar weitermachen – und hinter Trump aufräumen. Diese Leute wissen, dass er die Wahl verloren hat. Aber sie wollen es nicht öffentlich sagen. Sie warten, bis ein anderer den ersten Schritt macht. Ich sage ihnen dann jeweils: Wenn ihr alle gemeinsam hinsteht, kann euch nichts passieren.
Das klingt nicht so, als würden die Republikaner den Charaktertest bestehen.
Viele Republikaner haben einfach Angst. Es ist nicht gerade Zivilcourage, die sich da zeigt. Aber ich bin optimistisch, dass sie das Richtige tun werden, und je früher sie es tun, desto besser.
Derzeit geht es allerdings in die andere Richtung: 18 republikanisch regierte Bundesstaaten haben sich einer Klage von Texas vor dem Supreme Court angeschlossen, mit der Bidens Sieg in mehreren Swing-States aufgehoben werden soll.
Das ist eine alberne Klage, und ich hoffe, dass der Supreme Court sie mit neun zu null Stimmen abweist, damit erst gar keine Unklarheit aufkommen kann.
Eine Mehrheit der republikanischen Wähler glaubt inzwischen, dass Biden die Wahl durch Betrug gewonnen hat.
Das ist ein Zirkelschluss. Trump behauptet seit Wochen, die Wahl sei gestohlen worden, kaum ein Republikaner widerspricht – da kann man es verstehen, wenn der durchschnittliche Wähler diese Ansicht übernimmt. Es gibt jetzt noch eine Chance, das zu korrigieren, wenn sich aus dem republikanischen Lager endlich Gegenstimmen melden. Aber die Gefahr besteht, dass sich diese Erzählung festsetzt und sich nicht mehr wegbringen lässt.
Was sagen die Vorgänge der vergangenen Woche über den Zustand der amerikanischen Demokratie aus?
Darüber würde ich mir keine grossen Sorgen machen. Trump ist eine Anomalie, wie sie die Geschichte ab und zu hervorbringt. Ich halte ihn für keine ernsthafte Gefahr, weil er gar nicht fähig ist, einen Gedankengang zu Ende zu bringen, damit daraus eine Bedrohung werden könnte. Was er nun tut, vergrössert einfach den Schaden, den er schon vor der Wahl angerichtet hat. Dieser Schaden wird behoben werden, nicht von Joe Biden und den Demokraten, die werden genug neue Probleme schaffen, aber von uns Republikanern. Darüber sollten wir in der Partei nun sprechen.
Ist Trumps Verhalten in der Übergangsphase eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA?
Die Zeit vor einem Machtwechsel ist für das Land immer mit einer gewissen Anfälligkeit verbunden, weil viele im Regierungsapparat abgelenkt sind. Und da Trump sich zunächst weigerte, die nötigen Schritte für eine Amtsübergabe zuzulassen, hat sich alles verzögert. Aber Biden und seinen Leuten bleibt genug Zeit, sich vorzubereiten. Und bis jetzt habe ich keine Schritte unserer Gegner gesehen, die mich beunruhigen würden. Sie sehen, dass die künftige Regierung mit Ausnahme des CIA-Direktors die meisten wichtigen Posten bereits besetzt hat.
«Biden umgibt sich mit Leuten, die er seit vielen Jahren persönlich gut kennt. Das wird zu einem Gruppendenken führen.»
Der Präsident soll laut Medienberichten einen Militärschlag gegen den Iran erwogen haben. Das dürfte Sie als aussenpolitischen Hardliner gefreut haben.
Ich wollte eine Strategie für den Umgang mit dem Iran, was Trump nie hatte. Ich glaube nicht, dass er jetzt einen Militäreinsatz im Iran anordnen wird. Er interessiert sich ja gar nicht für die Arbeit als Präsident. Wir befinden uns mitten in einer neuen Welle der Corona-Pandemie, und Trump hat seit Januar keine Strategie, damit umzugehen. Als diese Woche an einem Tag 3000 Amerikaner am Coronavirus starben, twitterte er über die gestohlene Wahl. Er verhält sich am Ende seiner Amtszeit so, wie er sich die meiste Zeit über verhalten hat.
Was für eine Aussenpolitik erwarten Sie von Biden und den Leuten, die er in seine Regierung holen will?
Es wird eine Aussenpolitik des demokratischen Establishments sein. Biden hat fast nur Leute geholt, die schon unter Barack Obama hochrangige Posten bekleidet hatten. Um sich auszumalen, wie diese Leute entscheiden werden, braucht man sich nur anzuschauen, was Obamas Regierung jeweils so tat. Hinzu kommt, dass Biden die meisten dieser Leute schon seit vielen Jahren persönlich gut kennt. Das wird zu einem Gruppendenken führen, es wird gerade im Bereich der nationalen Sicherheit kaum interne Debatten geben. Und das ist nicht gut.
Sie haben für vier verschiedene US-Präsidenten gearbeitet. Wie wird die Trump-Präsidentschaft im historischen Rückblick beurteilt werden?
Es gibt ja diese Tradition in den amerikanischen Medien und auch unter Historikern, die Präsidenten in eine Rangliste zu bringen. George Washington und Abraham Lincoln stehen dann jeweils ganz oben. Ich glaube, in einigen Jahren wird Trump unter den 45 Präsidenten, die wir hatten, irgendwo bei Nummer 43 oder 44 landen. Die Historiker werden über ihn in vielen Punkten harsch urteilen, aber ein Punkt wird alles andere überlagern: dass er ein schlechter Verlierer war.
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