Entschädigung für Lockdown-BetriebeDie Linke fordert Sofort-Hilfe
Bund und teilweise auch die Kantone haben bei den Finanzhilfen für Betriebe im Lockdown grosse Hürden eingebaut. Deshalb kommen Fitnesszentren, Restaurants und andere kaum an die Gelder heran.
Daniela Liebi, Wirtin im bernischen Schwanden, sieht keinen anderen Weg als den zivilen Ungehorsam. In den nächsten Wochen wird sie ihr Restaurant wieder öffnen, entgegen den Vorgaben des Bundes. Und wenn sie dafür ins Gefängnis müsse, sagt sie. «Wir haben kein Geld mehr.» Sie habe innert eines Jahres 300’000 Franken verloren. Auf eine Busse komme es da nicht mehr an. So wie Liebi geht es Tausenden weiteren Unternehmern in der Gastronomie, in der Sport- und Kulturszene. Manche von ihnen haben sich der internationalen Widerstands-Plattform «Wir machen auf» angeschlossen, in der Schweiz sind es knapp 6000.
Zwar hat der Bund 2,5 Milliarden Franken Hilfsgelder zur Verfügung gestellt, doch davon sehen die meisten Betriebe nichts. Laut einer Umfrage der «Handelszeitung» sind erst 8,4 Millionen Franken ausbezahlt, ein Anteil hinter dem Komma.
Das Geld ist bereit, die Firmen brauchen es dringend. Doch es fliesst nicht. Wieso? Grüne-Nationalrätin Regula Rytz sagt: «Die Bundesverwaltung hat die Hürden für Härtefall-Entschädigungen von Anfang an so hoch wie möglich angesetzt, damit möglichst wenig Geld ausbezahlt wird.» Der Grund seien ideologische Vorbehalte in den SVP-geführten Departementen für Finanzen und Wirtschaft, sagt sie. So sind nicht rückzahlbare Beiträge laut Bundesverordnung auf 10 Prozent des Umsatzes beschränkt, und ein Unternehmen muss glaubhaft aufzeigen, dass seine Überlebensfähigkeit mit der Härtefallmassnahme gesichert ist. Das ist nicht so einfach zu belegen. «Und wenn sich die Unternehmen erst einmal durch die komplexen Regeln des Bundes gearbeitet haben, kommt das Vollzugschaos in den Kantonen», sagt Rytz. «Ein olympischer Zehnkampf ist ein Kinderspiel dagegen.»
Ausfälle sollen ganz vergütet werden
Regula Rytz will das System ändern: weg von der umsatzbasierten Härtefall-Lösung hin zu einer Fixkosten-Deckung. Bund und Kantone müssten die ungedeckten Fixkosten der geschlossenen Betriebe übernehmen, sagt sie. Zudem müssten die Vorgaben für alle Kantone weitgehend einheitlich sein, und die Hilfe müsse auch indirekt betroffenen Firmen zugutekommen, etwa dem Event-Gewerbe oder den Schaustellern. Wenn die Wirtschafts- und Abgabekommission des Nationalrats Anfang Woche tagt, will Rytz diesen Systemwechsel beantragen.
Sie bekomme haufenweise Zuschriften von Kleinunternehmen, denen der Konkurs drohe, sagt Rytz. Das bereite ihr schlaflose Nächte. Und bei der Bundesverwaltung habe man erstaunlich wenig Gehör dafür, ein Verständnis für die kämpfenden KMU sei nicht vorhanden. So habe der Bundesrat auch das Kreditprogramm, von dem nicht einmal die Hälfte der 40 Milliarden Franken ausgeschöpft waren und ein Teil bereits wieder zurückgezahlt sei, im Sommer eingestellt, und die Hilfe für Selbständigerwerbende «sang- und klanglos auslaufen lassen». Die Linke habe die schlimmsten Entscheide dank dem Druck der Betroffenen korrigieren können, sagt Rytz, doch die Bürkratie sei noch immer enorm und die Hilfe ungenügend. «Viele Gewerbler sind von den bürgerlichen Parteien enttäuscht.»
Der Druck auf die Politik steigt
Das System der Fixkosten-Vergütung hatte SP-Nationalrätin Jacqueline Badran schon im Dezember im Rat eingebracht, ist damit aber gescheitert. Dabei wäre das System einfach umzusetzen, sagt sie: Firmen bräuchten nur die ungedeckten Fixkosten wie Miete, Versicherungen, Sozialabgaben oder Leasingkosten aufzulisten und die Belege mitzuliefern.
Mittlerweile hat der Antrag vielleicht Chancen, denn der Druck der Betroffenen steigt. So fordern Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände des Gastgewerbes in einem Communiqué vom Freitag sofortige A-fonds-perdu-Beiträge «angesichts der verzweifelten Lage in der Gastro- und Tourismusbranche». Zehntausende von Stellen seien bereits verloren gegangen, eine Entspannung sei nicht in Sicht. SP-Nationalrat Roger Nordmann schlägt ausserdem vor, dass der Bund in einem ersten Schritt allen geschlossenen Betrieben 10 Prozent der Kurzarbeits-Entschädigung zusätzlich vergütet. Damit seien die Sozialabgaben gedeckt, welche trotz Kurzarbeit für die Firmen anfallen und sie in die Verschuldung treiben.
Bei bürgerlichen Parteien fällt die Ablehnung nicht mehr so strikt aus. Die Grünliberalen hätten das System der Fixkosten-Abdeckung von Anfang an vorgezogen, sagt Präsident Jürg Grossen. CVP-Fraktionschefin Andrea Gmür will sich anhand der neusten Informationen zuerst ein Bild machen. Die heutige Härtefallregelung vom 18. Dezember sei ja noch nicht so alt. Doch es könne nicht sein, dass existenziell bedrohte Firmen lange auf Hilfe warten müssten.
«Der Zuger Finanzvorsteher ist gerne bereit, anderen Kantonen Tipps zu geben.»
Zurückhaltender sind FDP und SVP. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi will keine «voreiligen Schlüsse ziehen»: Das Härtefallsystem sei erst drei Wochen alt, die Summe der ausbezahlten Gelder werde wohl bald ansteigen. Manche Kantone seien zudem schnell, sein Heimatkanton Zug etwa habe die Regeln rasch in Kraft gesetzt und ein neu zusammengesetztes Team von 12 Spezialisten bearbeite die Gesuche rasch. «In anderen Kantonen läuft es nicht optimal. Der Zuger Finanzvorsteher Heinz Tännler ist gerne bereit, ihnen Tipps zu geben.»
Grosse kantonale Unterschiede
Die Frage ist, ob die kantonalen Ungleichbehandlungen weiterhin toleriert werden. In Zürich gibt es Härtefallhilfen erst ab 50 Prozent Umsatzeinbusse, in Basel-Stadt schon bei 20 Prozent, in Zug bei 20 bis 30 Prozent, in Schwyz und Thurgau bei 40 Prozent, so, wie es auch die Bundesverordnung vorsieht. Zug bezahlt dafür maximal 100’000 nicht rückzahlbare Zuschüsse, Bern 200’000 Franken, Zürich bis zu 400’000 und St. Gallen und Schwyz bis zu einer halben Million. In Thurgau bekommen Firmen nur zinslose Darlehen, keine A-fonds-perdu-Beiträge.
Da der Bundesrat den Lockdown verlängern und womöglich ausweiten will, schaut er auch die Finanzhilfen nochmals an und entscheidet neu. Das hat Alain Berset am 6. Januar angekündigt. Die zuständigen Departemente suchen derweil mit den Kantonen nach Lösungen und Varianten. Am nächsten Mittwoch wird der Bundesrat darlegen müssen, wie er den gebeutelten Kleinunternehmen helfen will.
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