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Teuerung auf dem Rückzug
Die Inflationswende ist da – oder etwa nicht?

Eine Kehrtwende in der Entwicklung der Konsumentenpreise scheint vielerorts bereits stattgefunden zu haben. Die Börsen zögerten nicht, den Rückzug der Inflation zu feiern.
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Diese Woche steht ein klassischer Showdown an. Das Fed, die Europäische Zentralbank und die Schweizerische Nationalbank fällen ihre letzten Leitzinsentscheide für dieses Jahr. Die Chancen stehen gut, dass alle drei die Zinsschraube nochmals um je fünfzig Basispunkte fester zudrehen. Die entscheidende Frage, die für die Währungshüter im Raum steht: Ist die Inflationswende geschafft? Das wird auch der bestimmende Treiber für das Börsenjahr 2023 sein.

Die neuesten Berichte zur Konsu­mentenpreisentwicklung haben die Hoffnung geweckt, dass die Teuerungsdynamik nachlässt. Vielerorts scheint das Schlimmste überstanden zu sein. Insbesondere der Rückgang der US-Inflation hat die Finanzmarktakteure optimistisch gestimmt. Angelehnt an einen Bericht des Researchhauses Capital Economics nehmen wir Faktoren unter die Lupe, die dafür sorgen könnten, dass es doch nochmals anders kommt als erhofft.

Rohstoff- und Energiepreise

Die Energiepreise – vorab die Notierungen für Erdöl – sind immer für eine Überraschung gut, auch wenn in keinem Förderland Krieg herrscht. Im Jahr 2008 war der Preis für die Nordseesorte Brent sogar auf knapp 150 $ pro Fass geschossen, im laufenden Jahr lag das Höchst etwas über 133 $. Da die Energiekomponenten in den meisten Ländern ein hohes Gewicht in der Berechnung der Konsumentenpreise einnehmen, schlagen diese Kapriolen voll durch auf die offiziellen Inflationszahlen. Über den Basiseffekt werden entsprechende Verzerrungen über die kommenden zwölf Monate mitgeschleppt. Doch seit den Sommermonaten herrscht an dieser Front etwas Entspannung. Der Ölpreis ist binnen Monatsfrist nochmals um 17% gefallen. Abzuwarten bleibt, wie der Preisdeckel für russisches Öl auf die Marktpreisbildung und die Angebotsmenge durchschlagen wird. Ausserdem birgt die Aufgabe der Null-Covid-Politik in China das Risiko, dass die Nachfrage aus dem Reich der Mitte stark anzieht. Die Terminkurven für Rohöl bilden jedoch die Erwartung sinkender Preise ab. In Europa sind die Erdgaspreise zwar wieder leicht gestiegen, be­finden sich aber weit entfernt von den ­Rekordniveaus dieses Sommers. Derzeit geben die Energiemärkte Entwarnung.

Lieferkettenstress und Produktknappheit

Die Normalisierung der Lieferketten geht weiter. Die Kosten für die Verschiffung von Waren sind deutlich gefallen. Unternehmen berichten über die verbesserte Verfügbarkeit von Rohstoffen und Vor­produkten. Zudem haben sich die Lieferzeiten verkürzt.

Der hauseigene Indikator von Capital Economics zur Knappheit von Gütern zeigt für die kanadische und die US-Wirtschaft bereits eine komplette Rückkehr zur normalen Verfügbarkeit von Produkten an. Auch in anderen grossen Industrieräumen entspannt sich die Mangellage zusehends, was wiederum zur Verminderung des Inflationsdruck beitragen wird.

Arbeitsmarkt und Löhne

Die Preis-Lohn-Spirale ist das Horror­szenario für so manchen Notenbanker. Die Entwicklung der Durchschnittslöhne spricht für anhaltenden Teuerungsdruck, zumal die höheren Arbeitskosten der Unternehmen nur allmählich bis zu den Konsumentenpreisen durch­sickern. Peu à peu dürfte sich dies auch im kommenden Jahr im Einkaufskorb bemerkbar machen.

Dem entgegen wirkt, dass sich die rigorose Bekämpfung der Inflation durch die Notenbanken künftig in steigenden Arbeitslosenquoten bemerkbar machen dürfte, was den Druck auf die Löhne mindern sollte. Dennoch: Von Entwarnung an dieser Front kann nicht die Rede sein.

Wohnen und Mieten

Die Kosten rund ums Wohnen schlagen insbesondere bei der Berechnung der US-Inflation schwer zu Buche. In der Kern­inflation, die volatile Energie- und Lebensmittelpreise ausklammert, fliessen die Wohn- und Mietkosten mit über 40% in die Berechnung ein. Das Fed behält die Entwicklung dieser Kosten im Auge, sie sind eng an die Zinsen gekoppelt. Umfragen zum Mietmarkt signalisieren abnehmenden Inflationsdruck.

Die Mieten haben mit 20% auch das grösste Gewicht im Schweizer Konsumentenpreisindex. Da sie an den hypothekarischen Referenzzins gekoppelt sind, der seit 2020 unverändert ist, geht von dieser Komponente kaum inflationärer Druck aus. Der wichtige Referenzzins dürfte auch bei der nächsten Kalkulation im März 2023 kaum angehoben werden.

Unternehmensumfragen

Die Einkaufsmanagerindizes für den November haben es endgültig bestätigt: Die Weltwirtschaft bewegt sich am Rande einer Rezession. Insbesondere in den Mitgliedländern der Eurozone schlagen die Unternehmer einen skeptischen Ton an, was die künftige Wertschöpfung betrifft. Die Subindikatoren mit vorausschauendem Charakter haben weiter nach unten korrigiert. Der einzige Lichtblick aus den Umfragen rund um den Globus: Die ­Subkomponenten, die die Einkaufs- und die Verkaufspreise abbilden, drehen ebenfalls stark nach unten. Somit wird die ­Produktion günstiger, und die Unternehmen planen weniger Preissteigerungen für die Endkonsumenten ein. Die Notenbanker nehmen diese Entwicklung mit ­Erleichterung zur Kenntnis.

Wirtschaftsaktivität

In vielen Volkswirtschaften haben die ­Berichte zum Bruttoinlandprodukt im dritten Quartal positiv überrascht. Selbst auf dem europäischen Kontinent, der von Analysten und Ökonomen längst in der Rezession vermutet wird, konnte die Wertschöpfung nochmals zulegen. Die Ausnahme bildet Grossbritannien, das strukturell noch mit dem Austritt aus der EU zu kämpfen hat. Die Ökonomen von Capital Economics schätzen, dass die Weltwirtschaft im dritten Quartal mit einer Rate von 1,4% zum Vorquartal expandierte, wobei ein Grossteil auf stattliches Wachstum in China zurückzuführen ist. Ins kommende Jahr hinein wird für die Industrieländer mit einer schwächelnden Konjunktur gerechnet. Dies sollte zumindest ein erneutes Aufflackern des Preisdrucks verhindern. Einzelne Risse sind auch bereits an den Arbeitsmärkten zu ­beobachten. Die Notenbanken werden den Fuss dann wohl etwas mehr vom Bremspedal nehmen können

Konsumfreude

Nach dem erzwungenen Konsumstopp während der Pandemie erholten sich die Detailhandelsverkäufe relativ rasch. Haushalte profitierten davon, dass im Lockdown Zwangsersparnisse aufgebaut wurden, die dann ab­gebaut wurden. Regierungen schnürten grosszügige Unterstützungspakete.

Doch seit geraumer Zeit lässt die Konsumfreude nach, die Detailhandelsverkäufe bewegen sich seitwärts. Angesichts gestiegener Kosten an allen Fronten schnallen Haushalte den Gürtel enger.

Einige Faktoren sprechen dafür, dass der Preisdruck von Monat zu Monat sinkt. Abgesehen von dieser Entwicklung wird die Jahresteuerung von einem mächtigen Basiseffekt überlagert. Er wird dafür sorgen, dass die Inflationsraten bis in den Sommer hinein rückläufig sind .

Der falsche Fokus

Am Dienstag nächste Woche wird alle Welt mit Spannung auf die Inflationszahlen der USA für den Monat November warten. Brisanterweise entscheidet das Fed am Tag darauf, wie hoch der letzte Zinsschritt des Jahres ausfallen wird. Die Jahresveränderung der Konsumentenpreise erhält in allen Volkswirtschaften die grösste Aufmerksamkeit. Im Oktober lag sie für die US-Wirtschaft auf 7,7%. Für November erwartet der Bloomberg-Konsensus eine Rate von 7,3%, ein weiterer Rückgang seit dem Höchst von 9,1%.Doch diese Fokussierung auf die Jahresveränderung der Preise ist falsch. Ein Rückgang muss nicht unbedingt heissen, dass der Preisdruck nachgelassen hat. Denn wenn die Inflationsrate als Veränderung zum Vorjahresmonat gemessen wird, dann spiegelt sie nicht nur die jetzige Inflationsdynamik, sondern die Inflationsdynamik der vergangenen zwölf Monate – dies wird auch Basiseffekt genannt. Tatsächlich ist die Teuerung seit Juli Monat um Monat wieder gestiegen. Es ist nämlich die Monatsveränderung, die Auskunft darüber gibt, in welche Richtung die Dynamik der Preisentwicklung gerade zeigt.

Wie die Ökonomen der Denkfabrik Flossbach von Storch berechnen, wird die Jahresveränderung unweigerlich sinken. Die Annahme dabei ist eine Monatsveränderungsrate von 0,64% ab November, was dem Schnitt dieses Jahres entspräche. Tatsächlich erwartet wird für die Veröffentlichung nächste Woche nur ein Anstieg von 0,3%, was vor dem Hintergrund stark fallender Energiepreise Sinn macht. Doch selbst wenn die hohe Rate von 0,64% Monatsveränderung über die kommenden zwölf Monate festgezurrt würde, sänke die Jahresveränderung auf 6% im Spätsommer 2023. Die Chance ist somit hoch, dass die «konventionelle» Inflationsrate nach unten überraschen wird.