Interview zur Windkraft«Die hitzige Debatte täuscht»
Politiker planen mit der «Lex Windkraft» eine kontroverse Windenergie-Offensive. Politologe Jonas Schmid von der Universität Bern sagt, es sei eine gut organisierte Minderheit, die sich gegen viele Projekte einsetze.
Herr Schmid, Sie forschen seit 2018 zur Windenergie in der Schweiz. Welche Erkenntnis hat Sie am meisten überrascht?
Der Vergleich mit unserem europäischen Umland. Dort dauert ein durchschnittliches Windenergie-Planungs- und -Bewilligungsverfahren etwa 3,5 Jahre. Bei uns hingegen etwa 15 Jahre, also mehr als vier Mal so lange.
Politiker wollen nun die Windkraft schneller ausbauen – mit der Lex Windkraft. Eine gute Idee?
Sie ist ein geeignetes Mittel zur Verkürzung der Verfahren. Um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen, dauert der Prozess der Planungs- und Bewilligungsverfahren heute zu lang. Aber hier sind insbesondere die Kantone gefragt. Sie sind gesetzlich verpflichtet, rasche Verfahren vorzusehen. Davon sieht man aber heute noch nichts. Es gibt noch andere Probleme.
Welche?
Zum Beispiel das Problem der Transparenz. Entwickler von Windprojekten halten oft Planungs- und finanzielle Details geheim, aus Angst, diese könnten der Gegnerschaft Argumente liefern. Das ist eine unnötige Frustration, denn schliesslich müssen die Projekte vor der Bevölkerung bestehen. An Subventionen gekoppelte Offenlegungspflichten auf kantonaler Ebene wären hier sicherlich eine Überlegung wert.
Gibt es weitere Schwierigkeiten?
Es gibt auch das Problem der wahrgenommenen Fairness: Manche Organisationen fühlen sich von den Projektentwicklern nicht ernst genommen. Aber auch Entwickler fühlen sich hinters Licht geführt, wenn Organisationen sich nicht konstruktiv beteiligen in der Mitwirkung, dann aber Beschwerde einlegen. Auch hier sind die Kantone gefordert: Wie gestaltet man die Mitwirkung, dass sie sinnvoll mit der Beschwerdelegitimation verbunden ist? Darüber sollten sich Kantonsparlamente Gedanken machen.
Die Lex Windkraft ist umstritten: Einsprachen gegen die Baubewilligung sind nur noch bei einer kantonalen Instanz möglich. Und sie können nur noch dann ans Bundesgericht weitergezogen werden, wenn sich eine Rechtsfrage von «grundsätzlicher Bedeutung» stellt.
Was diese Rechtsfrage genau bedeutet, muss zuerst festgelegt werden, wohl durch einen Gerichtsentscheid. Wenn das Ziel die Verkürzung der Verfahren bleibt, ist die Reduktion der Instanzenzüge ein geeignetes Mittel. Ob eine einzige kantonale Instanz ausreicht, ist letztlich eine politische Ermessensfrage.
Die Gemeinden fürchten um ihr Mitspracherecht.
Die Gemeinden könnten weiterhin über die Nutzungsplanung entscheiden, sie würden also ihr bisheriges Vetorecht behalten. Weiterhin könnten sie beim Richtplan die Verletzung der Gemeindeautonomie monieren. Neu soll aber der Kanton die Baubewilligung erteilen, nicht mehr die Gemeinden. Bei solchen Grossprojekten ist dies bereits jetzt in fünf Kantonen eine Kantonsangelegenheit, beispielsweise in Baselland oder Freiburg.
Braucht es ein zusätzliches Vetorecht der Gemeinden?
Grundsätzlich zeigt sich aus meiner Forschung, dass der Planungs- und Bewilligungsprozess länger dauert, je mehr vetofähige Organisationen involviert sind. Ein zusätzliches Vetorecht für Gemeinden wäre deshalb der Effizienz sicher nicht zuträglich.
Womöglich wären die Anlagen dann aber stärker legitimiert. Windanlagen scheinen ein Akzeptanzproblem zu haben.
Die hitzige Debatte täuscht. Es wird so dargestellt, als wären ausnahmslos alle Projekte hart umkämpft. In der Tat ist es aber eine kleine, sehr gut organisierte Minderheit an Personen und Organisationen, die sich mit beachtlichem Erfolg gegen sehr viele Projekte einsetzt.
Ähnlich tönt es aus dem Bundesamt für Energie, das Ihre Studie mitfinanziert. Sind Sie da noch unabhängig?
Auf jeden Fall! Mein Forschungsprojekt wurde zu 91 Prozent vom Schweizer Nationalfonds finanziert und zu 9 Prozent vom BFE. Beide Geldgeber machten nur administrative Vorgaben, keine inhaltlichen. Wofür die BFE-Gelder eingesetzt wurden, ist im Abschlussbericht öffentlich einsehbar, da gibt es nichts zu verstecken. Zudem habe ich bisher nie für die Windkraft gearbeitet und habe keinerlei Interessenbindungen.
Die Windkraftgegner haben letztes Jahr vorgerechnet, dass in den letzten 17 Gemeindeabstimmungen über Windanlagen die Bevölkerung 14 Mal dagegen gestimmt habe.
Es kommt immer darauf an, wie man rechnet. Wenn man zum Beispiel kommunale Moratorien oder Initiativen dazu zählt, die aber nichts mit Beschlüssen zu konkreten Projekten zu tun haben müssen, ist die Zustimmung in der Tat tief. Tatsache ist: Bisher wurden auf Gemeindeebene knapp drei Viertel aller rechtlich bindenden Nutzungsplan- und Baubewilligungsabstimmungen angenommen. Bei den projektbezogenen Gemeindeabstimmungen hat die Zustimmung in letzter Zeit abgenommen. Seit der Annahme der Energiestrategie 2017 wurden von sechs Nutzungsplanungen und Baubewilligungen drei Projekte gutgeheissen und drei verworfen.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
Die Windkraft wurde mit der Zeit immer politisierter, die Fronten haben sich verhärtet. Die Gegnerschaft hat sich professionalisiert. Auch spielt die Biodiversitätskrise seit einigen Jahren eine viel grössere Rolle. Die parteipolitische Zusammensetzung in den Gemeinden und den Kantonen ist ebenfalls von Belang.
Inwiefern?
Gemeinden mit höherem SVP-Wähleranteil stossen eher ein Windenergie-Projekt an als vergleichbare Gemeinden mit tiefem SVP-Wähleranteil. Vermutlich engagieren sich Landwirtinnen und Landwirte überdurchschnittlich für solche Projekte, da sie oft Land zur Verfügung stellen. Und sie stimmen auch stärker für die SVP als Vertreter anderer Berufsgruppen. Schneller realisiert werden solche Projekte allerdings nicht.
Und wie sieht es in Gemeinden mit höherem rot-grünen Wähleranteil aus?
Grüne und SP stecken in einem «Grün-grün»-Dilemma. Einerseits wollen sie die Energiewende rasch vorantreiben, um gegen den Klimawandel zu kämpfen. Andererseits wollen sie gegen die Biodiversitätskrise vorgehen. Wie sämtliche Energiegewinnungsformen ziehen auch Windkraftprojekte Umweltauswirkungen nach sich. Da gilt es, gut abzuwägen. Und in dieser Abwägung ist Rot-Grün gefangen.
Woran zeigt sich das?
In Gemeinden und Kantonen mit höherem grünem, SP-, aber auch grünliberalem Wähleranteil ist keine Beschleunigung der Verfahren ersichtlich. Für die GLP ist dies insofern erstaunlich, als dass das Wertversprechen der Partei darauf aufbaut, grüne und gleichzeitig infrastrukturfreundliche Politik zu betreiben. In der Praxis lässt sich das aber nicht nachweisen.
Was wäre nötig?
Mir scheint, dass die Parteien Angst haben, zum Thema klar Position zu beziehen. Und damit meine ich insbesondere kantonale Parteien, die den grössten Hebel in der Hand haben, um Verbesserungen der Verfahren voranzutreiben. Die Kantonsparteien müssen beginnen, das Thema systematisch und strategisch zu beackern, nicht so ad hoc und per Fragestunde, wie das heute grossmehrheitlich der Fall ist.
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