Wende bei der StromversorgungWind-Offensive abgeschwächt – aber nicht abgesagt
Die Energiepolitiker im Nationalrat beschneiden die geplante Lex Windkraft – auf Empfehlung der Bundesjuristen. Trotzdem bleibt die Vorlage umstritten, nicht nur rechtlich.
Die Lex Windkraft nimmt weiter Form an. Die Energiekommission des Nationalrats (Urek) will die Verfahren für den Bau von Windanlagen beschleunigen, wie sie am Dienstag mitgeteilt hat. Liegt ein Projekt im nationalen Interesse und verfügt über eine rechtskräftige Nutzungsplanung, soll neu der Kanton die Baubewilligung erteilen – nicht mehr die Standortgemeinde. Einsprachen dagegen sind weiterhin möglich – aber nur noch an eine kantonale Instanz, nicht an mehrere wie heute. Auch soll es in Zukunft weiter möglich sein, den Entscheid ans Bundesgericht weiterzuziehen – allerdings nur noch, wenn sich eine Rechtsfrage von «grundsätzlicher Bedeutung» stellt.
Die Vorlage sei «klar verfassungskonform», resümiert die Urek und verweist auf eine Stellungnahme, die sie beim Bundesamt für Justiz (BJ) eingeholt habe. Den Eingriff in die Hoheit der Kantone halten die Energiepolitiker für «gerechtfertigt», weil die Verfahren heute «sehr lange dauern» und der Ausbau der erneuerbaren Energien für die Umsetzung der Energiestrategie 2050 «von besonderer Bedeutung ist».
Verzicht auf eine strikte Entscheidungsfrist
Wie die juristische Einschätzung des BJ im Detail aussieht, ist unklar; die Urek lehnt eine Veröffentlichung ab. Gemäss Informationen dieser Zeitung hat das BJ aber zumindest einen Punkt kritisch beurteilt: Die Urek wollte den Gerichten zuerst eine verbindliche Entscheidungsfrist von 90 Tagen auferlegen. Das hat sie nun abgeschwächt. Die Gerichte sind gehalten, die Verfahren «innert angemessener Frist» abzuwickeln. Damit bleibe die Unabhängigkeit der Justiz gewahrt, so die Urek.
Die Frage der Verfassungsmässigkeit ist bereits vor dem Entscheid vom Dienstag umstritten gewesen – und bleibt umstritten. Alain Griffel, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, sieht in der Bundesverfassung keinerlei Grundlage, die es dem Bund erlauben würde, in dieser Frage in die Hoheit der Kantone einzugreifen: «Die Verfassung ist keine Knetmasse, die sich nach Belieben verformen lässt.» Eine Straffung und Vereinheitlichung der Bewilligungsverfahren scheine zwar wünschbar, sie sei aber nicht aus einem bestimmten verfassungsrechtlichen Grund zwingend geboten. «Zumal man damit der Umsetzung der Energiestrategie 2050 im besten Fall einen kleinen Schritt näher käme, aber sicher nicht mehr.» Wenn schon, so Griffel, bräuchte es für das Vorhaben eine Verfassungsänderung. Volk und Stände müssten ihm also zustimmen. Die Hürde wäre damit höher, als wenn die Vorlage, wie nun geplant, nur durchs Parlament müsste.
Gegner monieren Aushebelung der Demokratie
Kritik üben auch die Windkraftgegner. Sie bemängeln insbesondere, dass das Bundesgericht künftig keine Sach-, sondern nur noch «Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung» klären dürfe. Für Elias Vogt-Meier, dem Präsidenten des Verbands Freie Landschaft Schweiz, kommt das einer «Abschaffung von Bundesrecht» gleich. Das Bundesgericht sei heute bei einer Beschwerde zuständig, zu prüfen, ob eine Baubewilligung den Vorgaben des Bundes in den Bereichen Lärm-, Natur-, Grundwasser- und Brandschutz oder Flugsicherheit genüge. «Mit der Einschränkung nur auf Rechtsfragen findet keine solche Prüfung mehr statt», befürchtet Vogt-Meier. Da die betroffenen Standortgemeinden gemäss Urek auch keine Baubewilligungen mehr erteilen dürften, «würde die Demokratie und die Gewaltentrennung ausgehebelt». Die Urek dagegen ist mehrheitlich der Ansicht, die Gemeinden hätten heute genügend Möglichkeiten, bei Windkraftprojekten mitzureden, etwa im Rahmen der kommunalen Nutzungsplanung.
Zustimmung zur Vorlage, wenn auch nur vorsichtige, äussert dagegen eine Allianz von Umweltverbänden, darunter Pro Natura und der WWF. Die Allianz begrüsst den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Zentral sei es dabei, frühzeitig die Naturwerte an den vorgesehenen Standorten zu bestimmen, um Konflikte mit der Biodiversität und Landschaft zu vermeiden, sagt Michael Casanova, Projektleiter Energie und Gewässerschutz bei Pro Natura. Bei den Windenergieparks, welche unter die Lex Windkraft fallen würden, habe eine gewisse Abklärung dieser Naturwerte bereits stattgefunden, ein abgekürztes Bewilligungsverfahren für diese Anlagen sei daher akzeptabel. Die Umweltverbände fordern jedoch, dass das Gesetz auf jene zehn Windenergieparks beschränkt bleibt, die über eine rechtskräftige Nutzungsplanung verfügen oder demnächst über eine solche verfügen werden. Das Gesetz soll entsprechend nur so lange zur Anwendung kommen, bis die Windenergie in der Schweiz zusätzliche 0,6 Terawattstunden Strom pro Jahr liefert – und nicht eine Terawattstunde, wie es die nationalrätliche Urek vorsieht. «Ein höheres Ziel», mahnt Casanova, «würde Druck ausüben, weitere Anlagen überstürzt zu bewilligen.»
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