Ausbau erneuerbare EnergienNun legt sich Sommaruga mit den Gemeinden an
Der Bundesrat will die Verfahren für Wind- und Wasserkraftanlagen beschleunigen. Die Reaktionen darauf sind heftig.
Nächstes Jahr soll der Windpark Sainte-Croix im Waadtländer Jura in Betrieb gehen – 25 Jahre nach der ersten Machbarkeitsstudie. Rekurse haben den Bau des ältesten Windparkprojekts der Schweiz stark verzögert.
Geht es nach dem Bundesrat, soll es solche Fälle künftig nicht mehr geben. Er schlägt vor, die Planungs- und Bewilligungsverfahren für die bedeutendsten Anlagen der Windenergie, aber auch der Wasserkraft zu vereinfachen und zu straffen. Und er verspricht, das gehe ohne Abstriche beim Natur- und Umweltschutz.
Die Neuerung soll helfen, die Versorgungssicherheit zu stärken sowie die erneuerbaren Energien schneller auszubauen, also die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. «Wir müssen den zusätzlichen Strom so rasch wie möglich zubauen», sagte Energie- und Umweltministerin Simonetta Sommaruga am Donnerstag.
Für solche Grossprojekte fehlt derzeit eine nationale Planung. Der Bund soll deshalb ein Konzept mit den Standorten der bedeutendsten Wasserkraft- und Windenergieanlagen erarbeiten, die als Vorgabe für die Richtpläne der Kantone dienen. Experten schätzen, dass sich dreizehn bereits bestehende Windkraft-Vorhaben dafür eignen. Bei der Wasserkraft hat ein runder Tisch unter Sommarugas Führung fünfzehn Projekte identifiziert.
«Das ist dicke Post»
Was soll sich konkret ändern? Die kantonalen Plangenehmigungsverfahren sollen neu neben der Baubewilligung sämtliche anderen Bewilligungen umfassen, etwa wenn es um Waldrodungen für Windparks oder Gewässerschutzauflagen bei Stauseen geht. Damit will der Bundesrat verhindern, dass ein Projekt in mehrere Etappen zerfällt und es Gegner in jeder Etappe bis vor Bundesgericht anfechten können. Damit lasse sich «beträchtlich» Zeit gewinnen, sagte Sommaruga und versicherte, die Beschwerdemöglichkeiten würden nicht geschmälert.
Eine Aussage, die heftigen Widerspruch auslöst. «Das ist dicke Post», sagt Elias Meier, Präsident des Verbands «Freie Landschaft Schweiz». Was meint er damit? Der Bundesrat will den Gemeinden punkto Planung und Bewilligung «keine Kompetenzen und damit auch keine Autonomie mehr» gewähren, das Sagen sollen hier die Kantone haben. Die Gemeinden sollen aber bei der Erarbeitung des Konzepts angehört werden und mitwirken können. Auch sollen sie gegen kantonale Plangenehmigungsverfügungen rekurrieren dürfen. Den Windkraft-Kritikern genügt das nicht. «Wir bestehen darauf, dass die Gemeinden Bewilligungsbehörden bleiben», sagt Meier.
«Die drohende Stromlücke darf nicht als Anlass dienen, die Gemeindeautonomie auszuhebeln.»
«Schlicht nicht akzeptabel» sei der Plan des Bundesrats, sagt auch der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann (SVP), der den Schweizerischen Gemeindeverband präsidiert. «Die drohende Stromlücke darf nicht als Anlass dienen, die Gemeindeautonomie auszuhebeln und die Rechte von direkt betroffenen Menschen derart gravierend zu beschneiden.»
Der geplante Autonomieentzug sei umso fragwürdiger, als diese bei verhinderten oder stark verzögerten Projekten kaum je das unüberwindbare Hindernis gewesen seien. «Vielmehr sind zahlreiche Projekte durch die extensive Anwendung und Auslegung des Verbandsbeschwerderechts blockiert.»
Die grossen Umweltverbände zeigen sich in einer ersten Reaktion vorsichtig optimistisch. Christa Glauser von Birdlife Schweiz sagt, der Plan des Bundesrats funktioniere dann, wenn die Planung sorgfältig erfolge. «Es müssen nebst den Nutzungsaspekten auch die Schutzaspekte sorgfältig berücksichtigt werden.» In vielen Richtplänen seien etwa Massnahmen zur Sicherung der Biodiversität bislang zu kurz gekommen. «Es bleibt auch mit beschleunigten Verfahren wichtig, dass Klima- und Biodiversitätskrise nicht gegeneinander ausgespielt werden.»
Ähnlich äussert sich auch Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. «Wir können uns nur einverstanden erklären, wenn die Sorgfalt der Ausarbeitung der Umweltauswirkungen garantiert bleibt und das Beschwerderecht nicht beschnitten wird.» Auch müsse die lokale Mitsprachemöglichkeit der Bevölkerung gewährleistet sein.
Erwartung an die Gerichte?
Für Irritation sorgt schliesslich ein Passus im erläuternden Bericht des Bundesrats. Hat der Bundesrat erst einmal Standorte für grosse Wasser- und Windkraft-Projekte festgelegt, erwartet er, dass sich die Gerichte «Zurückhaltung auferlegen» und seine Entscheide «nicht ohne triftige Gründe umstossen». Abschlägige Urteile wie jenes des Bundesgerichts zum Ausbau des Grimselstausees «sollen so künftig vermieden werden». Eine bundesrätliche Order an die Gerichte? Ein Versuch, die Gewaltenteilung zu ritzen? Nein, versicherte Sommaruga: Die Gerichte sollten einzig eine Interessenabwägung machen und dabei den bundesrätlichen Entscheid zumindest mitberücksichtigen.
So oder so: Der Vorschlag ruft juristische Bedenken hervor. Alain Griffel, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, hält ihn rechtlich gar für unzulässig. «Der Bund verfügt über keine Zuständigkeit, den Kantonen ein solches konzentriertes Plangenehmigungsverfahren vorzuschreiben.» Es sei Sache der Kantone, zu entscheiden, ob und wo sie ein solches Verfahren einführen wollten. Man möge das bedauern. «Wenn man dies aber korrekt ändern will, muss man die Bundesverfassung entsprechend anpassen.»
SVP will Sommaruga das Zepter entreissen
Die Vorlage geht nun in die Vernehmlassung. FDP und Grüne äusserten sich gestern grundsätzlich positiv dazu. Anders die SVP. Sie wirft Sommaruga «Aktivismus und Pflästerlipolitik» vor, die Energiestrategie 2050 sei gescheitert, es brauche nun eine «schonungslose Lageanalyse». Die Partei will dazu einen Runden Tisch organisieren. Eingeladen sind die Spitzen der bürgerlichen Parteien, von Economiesuisse, des Gewerbeverbands und des Bauernverbands. Ebenso jene Bundesräte, die für die Versorgungssicherheit der Schweiz zuständig sind, also nebst Sommaruga Verteidigungsministerin Viola Amherd und Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Nicht auf der Gästeliste stehen die SP und Grünen.
SP-Fraktionschef Roger Nordmann bezeichnet den Vorschlag als reine Schaumschlägerei. «Die SVP ist in Panik, weil Frau Sommaruga Pflöcke einschlägt.» Sommarugas und Parmelins Departement wiederum nehmen die Einladung der SVP «zur Kenntnis». Bei Amherds Departement heisst es, es liege bis jetzt keine Einladung vor. Es sei zudem auch nicht ersichtlich, wann der Runde Tisch stattfinde. «Aus diesem Grund ist auch keine Teilnahme vorgesehen.»
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