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«Queen’s Gambit»
Man muss nicht unbedingt ein Superhirn sein, um im Schach zu siegen

Die Schauspielerin Anya Taylor-Joy spielt die Schachbesessene Beth Harmon als Jugendliche, deren Mutter damals bei einem Autounfall starb.
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In Kentucky entdeckt ein perspektivloses Mädchen ohne Eltern ihre Leidenschaft für Schach und tritt am Schluss in Moskau gegen die russischen Grossmeister an. Inmitten einer extravaganten Sixties-Kulisse zeigt die siebenteilige Nextflix-Serie, wie schmal der Grat zwischen Genie und Wahnsinn ist und wie hart der Kampf in der Turnierszene ist, um ganz nach oben zu kommen – vor allem als Frau in einer Männerdomäne. Doch wie sieht es heute aus?

In der Schweiz hat die Zürcherin Monika Müller-Seps mehrere Jahre lang gewonnen und räumte bei den Wettkämpfen regelrecht ab. Im Alter von 15 Jahren siegte sie 2001 in Schuls bei der Schweizer Einzelmeisterschaft der Frauen, 2002 dann in Leukerbad, 2005 in Saas-Almagell, 2007 in Leukerbad, 2012 in Flims, und 2014 wurde sie als erste gebürtige Schweizerin zur Grossmeisterin der Frauen ernannt.

«Weil meine Eltern zu Hause Schach spielten, habe ich bereits mit sechs Jahren angefangen», erzählt die 34-jährige Neurowissenschaftlerin, die inzwischen selbst Mutter von zwei Kindern ist. Früher habe sie in der Regel einen halben Tag pro Woche trainiert und sei als Kind im Schachclub von den Erwachsenen sehr unterstützt worden. Sie habe aber auch andere Dinge gemacht und sich immer viel bewegt. Denn es sei nicht nur mental, sondern auch physisch anstrengend, mehrere Stunden dort zu sitzen und sich zu konzentrieren.

Bei den Frauen, die heute international bekannt sind, bewundert Müller-Seps insbesondere die ungarische Spitzenschachspielerin Judit Polgár, die es bisher als einzige unter die Top-10 der Gesamt-Weltrangliste schaffte und dort nur unter Männern spielte. Aber auch deren zwei Schwestern waren Profis, die alle drei damals von klein auf vom Vater trainiert wurden. «Die heutige Schachszene hat sich im Gegensatz zu früher sehr verändert, sodass nicht mehr nur ältere Herren mit Brillen oder ganz junge Nerds dasitzen», sagt Müller-Seps. Das beste Beispiel dafür sei der Schachweltmeister aus Norwegen, Magnus Carlsen, der seit 2013 den Titel hat und nebenher sogar als Model bei einer Modemarke Geld verdiente. Generell sei es aber schon so, dass vor allem in Osteuropa Schach sehr gefördert werde und etwa in Armenien auch ein Schulfach sei. Bei den Frauen ist derzeit die 21-jährige Bernerin Lena Georgescu die Nr. 1 der Schweiz und dieses Jahr erstmals internationale Meisterin der Frauen geworden.

Gedächtnisakrobatik für Laien

Der Hausmeister Mr. Shaibel bringt der jungen Beth, gespielt von Isla Johnston, im Keller des Waisenhauses das Schachspielen bei.

Schachspielen erhöht die kognitive Leistung, weil es gleichzeitig verschiedene Areal im Gehirn aktiviert und unter anderem das analytische sowie auch das kreative Denken fördert. «Eine Studie aus Venezuela mit über 4000 Zweitklässlern hat ergeben, dass sowohl die Jungen als auch die Mädchen nach einem viermonatigen Schachtraining eine signifikant bessere Leistung in Intelligenztests erreichten», sagt Barbara Studer, Neuropsychologin der Universität Bern und Leiterin von Hirncoach.ch. Daraufhin sei dort in allen Schulen der Schachunterricht eingeführt worden.

Auch die Fähigkeit, Probleme zu lösen, lässt sich durch das Schachspielen deutlich verbessern, wie eine weitere Untersuchung mit 450 Fünftklässlern aus Kanada zeigte. Besonders interessant sei, erklärt Studer, dass über 75-Jährige, die regelmässig Strategiespiele wie Schach machten, seltener und später an Demenz erkrankten als Personen aus Vergleichsgruppen, die nicht spielten. Darüber hinaus setzt man Schach als Therapie für Patienten und Patientinnen etwa nach einem Schlaganfall ein, da das strategische und vorausplanende Denken die kognitive Flexibilität fördert sowie das Schieben der Figuren die Feinmotorik trainiert.

Frauen im Schach

Nicht nur in der Serie «Das Damengambit» zieht das faszinierende Strategiespiel vor allem Männer in den Bann.

Im Film kämpft sich die leidenschaftliche Schachspielerin Beth als einzige Frau in einer Welt von Männern durch. «Um bei den Topturnieren dabei zu sein, darf man nichts anderes mehr machen», sagt Elsbeth Stern, Lehr- und Lernforscherin an der ETH Zürich. Vielen Frauen sei dies vermutlich zu einseitig, da sie noch andere Interessen hätten. Eine weitere Möglichkeit sei, dass sie sich in dieser Machoszene nicht unbedingt wohlfühlten.

«Es könnte auch sein, dass bei Männern im Gegensatz zu den Frauen das Testosteron zu mehr Kampfgeist führt», sagt Barbara Studer. Sie gäben alles, um zu siegen. Dass es so wenige Mädchen und Frauen beim Schach habe, hänge vielleicht auch mit der immer noch sehr häufig vorkommenden, geschlechtsspezifischen Sozialisation zusammen. Sicher sei dagegen, dass viele von ihnen allein vom IQ her gegen die besten Männer siegen könnten.

Kein Erfolg ohne Übung

Um erfolgreich beim Schach zu sein, müssen auch die Profis viel üben.

Beth gilt im Film als Schachgenie und Ausnahmetalent. Um bei dem Strategiespiel zu gewinnen, braucht es neben einer überdurchschnittlichen Intelligenz vor allem Training. «Wer gut in Schach sein will, muss üben, üben, üben», sagt Elsbeth Stern. Das sind die idealen Voraussetzungen, weil dann im Gehirn das Gelernte zum richtigen Zeitpunkt aufpoppt. Nur mit einem zuvor aufgebauten Fachwissen könne man sehr schnell handeln und auf abgespeicherte Figurenkonstellationen, Zugmöglichkeiten und Partien zurückgreifen. Anders herum bedeutet dies jedoch, dass auch der Allerintelligenteste ohne genug Übung keine Chance gegen einen etwas weniger schlauen Gegner hätte, der aber regelmässig trainiere.

In einer 2019 im Fachjournal PNAS veröffentlichten Studie konnte Roland Grabner von der Universität Graz zusammen mit Elsbeth Stern sowie weiteren Kollegen zeigen, dass bei Schach neben der regelmässigen Praxis vor allem die numerische Intelligenz wichtig ist. Gute Schachspieler und Schachspielerinnen hätten zwar in der Regel auch ein recht gutes schachspezifisches Vorstellungsvermögen, um sich die auf den Feldern stehenden Figuren wie bei einem Koordinatensystem geradezu fotografisch einzuprägen.

Matchentscheidend für die Spielstärke ist letztlich aber, ob sie mehrere, aufeinander folgende Schachzüge virtuell im Kopf durchspielen können. Dazu benötige man die mathematische Fähigkeit, Zahlen blitzschnell zu kombinieren, Zahlenfolgen im Nu zu erkennen und auch berechnen zu können. Dies mache ab einem bestimmten Topniveau am Schluss den gewissen Unterschied und führe zum Sieg. Bei der Schachstudie von 2019 mit insgesamt 90 Teilnehmenden im Alter zwischen 15 und 65 kam auch heraus, dass das beste Alter für derart ausserordentliche Spitzenleistungen aufgrund der Schnelligkeit des Denkens zwischen 30 und 40 ist.

Hochbegabte am Brett

Alle schauen zu und verfolgen akribisch jeden Zug, den Beth Harmon gegen Topspieler Benny Watts macht.

Um festzustellen, ob der ehemalige Weltmeister Garri Kasparow ein Jahrhundertgenie ist oder nur ein brillanter Schachspieler, hat der «Spiegel» ihn 1987 mehrere professionelle IQ-Tests sowie zusätzliche Aufgaben machen lassen. So wurde unter anderem überprüft, ob er es schafft, mehr als 80 Seiten eines ihm unbekannten Essays von Stefan Zweig in weniger als einer Stunde zu lesen und sofort danach darüber in einer Kurz- und Langfassung zu referieren. Das Ergebnis: eine Sturzflut von druckreifen Sätzen. Dennoch hatte er bei einer anderen und eigentlich simplen Aufgabe zuerst ein Blackout, als er ein Blatt mit 24 Ellipsen innerhalb von drei Minuten mit Mustern füllen musste.

«Kasparow hatte damals auch gezeigt, dass er in fünf Sekunden eine Partiestellung mit 22 oder 30 Figuren einfach in sein Gedächtnis knipsen konnte», sagt Roland Grabner, der momentan einen anderen Schach-Rekordhalter auf seine Genialität überprüft. Dieser Mann hat die Begabung, gegen 40 Gegner simultan zu spielen, wozu er alle Schachbretter im Kopf haben muss. Gemäss dem IQ-Test ist er bei der numerischen Intelligenz hochbegabt, während er bei der räumlichen Intelligenz durchschnittlich abschnitt. Auch in der Netflix-Filmreihe hebt sich die clevere Beth mit dieser Fähigkeit deutlich von den anderen ab und hält gleich mehrere Gegner auf einmal in Schach.

Trügerische Beruhigung für die Nerven

Mit jedem Sieg werden auch die Ängste grösser, die Beth seit ihrer Zeit im Waisenheim mit Pillen bekämpft.

Die junge Beth schluckt im Waisenheim und später auch als Jugendliche bei ihrer Adoptivmutter ständig grüne Kapseln, die im Film Xanzolam heissen und ihr offenbar geradezu magische Kräfte für das Schachspielen verleihen. In Wirklichkeit gibt es diese Pillen aber nicht. Dennoch könnte es sich um eine fiktive Version von Librium handeln, das 1960 in den USA auf den Markt kam und ähnlich aussah. Das zu den Benzodiazepinen gehörende Beruhigungsmittel hatte der Chemiker Leo Sternbach damals bei Hoffmann-La Roche in Amerika synthetisiert, wo er drei Jahre später auch das berühmte Valium herstellte. «Solche Psychopharmaka waren zu jener Zeit in den USA zunächst rezeptfrei erhältlich und verbreiteten sich daher schnell. Vor allem bei gestressten Müttern waren Benzodiazepine sehr beliebt, um den Alltag besser zu bewältigen», sagt Boris Quednow, Pharmakopsychologe an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.

«Das Problem mit den viel zu häufig verwendeten Tranquilizern, auch Happy Pills genannt, begann bereits mit dem psychoaktiven Medikament Miltown in den 1950er-Jahren», fügt Quednow hinzu. In den 1960er-Jahren sei dann vor allem Valium immer populärer geworden. Dass diese Präparate abhängig machen und bei einer Überdosis äusserst gefährlich sind, haben schon die Rolling Stones im Song «Mother’s Little Helper» thematisiert. Die beiden «Benzos» von Roche, Librium und Valium, wirken angstlösend, muskelentspannend und beruhigend, da sie im Gehirn die Wirkung des hemmenden Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (Gaba) verstärken.

Unrealistisch sei allerdings, dass solche Pillen – wie im Film suggeriert – beim Schachspielen die Leistung steigern sollen. «Sie könnten zwar die Panik vor dem Gegner oder dem Wettkampf nehmen, haben aber einen negativen Einfluss auf die Konzentration und das Lernen», attestiert Quednow. Nach der Einnahme von Librium könne man auch schlechter vorausschauend denken und so die nächsten Züge simulieren, möglicherweise könne man jedoch früher gelernte Schachzüge etwas besser und schneller abrufen. Insgesamt sei aber eine Leistung auf höchstem Schachniveau unter Benzos sehr unwahrscheinlich, so Quednow.