Düstere KonjunkturaussichtenDie Finanzkrise erscheint da wie ein laues Lüftchen
Einen derartigen Einbruch der Wirtschaftsleistung gabs letztmals 1975 als Folge des Ölpreisschocks. Die Arbeitslosigkeit konnte man damals «exportieren», jetzt wird sie den Privatkonsum abwürgen.
An den wirtschaftlichen Rückschlag von 2009 mögen sich noch die meisten Schweizerinnen und Schweizer erinnern: Im Zuge der Finanzkrise schrumpfte das reale Bruttoinlandprodukt um 1,9 Prozent. Verglichen mit dem 6,7-prozentigen Einbruch der Wirtschaftsleistung, den die Expertengruppe des Bundes am Donnerstag für dieses Jahr vorhergesagt hat, wehte vor gut zehn Jahren ein laues Lüftchen.
Dass es damals nicht zu einem Orkan kam, war vor allem dem robusten Privatkonsum zu verdanken. Dank vorausgegangenen deutlichen Lohnerhöhungen zeigten sich die Leute spendierfreudig. Davon kann heute keine Rede sein: Die Konsumausgaben der Privathaushalte werden 2020 laut den Bundesprognostikern mit 7,5 Prozent noch stärker schrumpfen als der gesamtwirtschaftliche Ausstoss.
«Es ist völlig offen, was im zweiten Halbjahr passieren wird.»
Die Gründe liegen auf der Hand: Der Konsum beschränkt sich auf Güter des täglichen Bedarfs, weil alles andere behördlich verriegelt ist. Und sollten die Geschäfte im Mai wieder öffnen, wird bestimmt kein Kaufrausch ausbrechen. Zu gross ist die Angst um den Arbeitsplatz und zu verbreitet die Unsicherheit über die wirtschaftlichen Aussichten und den Verlauf der Corona-Pandemie. «Es ist völlig offen, was im zweiten Halbjahr passieren wird», sagt Eric Scheidegger, zuständig für Konjunkturfragen im Staatssekretariat für Wirtschaft.
Einen vergleichbaren Schock wie momentan erlitt die Schweizer Wirtschaft zuletzt vor 45 Jahren. Auslöser für den 1975er-Rückschlag – ironischerweise um die gleichen 6,7 Prozent, die jetzt von offizieller Seite für 2020 prognostiziert werden – war der scharfe Anstieg der Rohölpreise.
Hinzu kam: Die meisten Länder hatten Anfang der 1970er-Jahre eine Hochkonjunktur erlebt, begleitet von hohen und anziehenden Inflationsraten, welche die Notenbanken mit Zinserhöhungen einzudämmen versuchten. Die Saat für eine konjunkturelle Abkühlung war also bereits zuvor ausgestreut worden.
Keine Parallelen zum 70er-Beben
Dass die Schweiz im internationalen Vergleich überdurchschnittlich stark getroffen wurde, lag einerseits am heftigen Einbruch im Bau- und Immobiliensektor. Anderseits befand sich die heimische Industrie gegenüber wichtigen Wettbewerbern technologisch im Hintertreffen, was sich etwa im Niedergang der Uhrenhersteller widerspiegelte.
Die Skizzierung des damaligen wirtschaftlichen Bebens macht deutlich, dass kaum Parallelen zu den jetzigen Turbulenzen erkennbar sind. Das gilt selbst für den Arbeitsmarkt: Vom Stellenabbau betroffen waren in den 1970er-Jahren hauptsächlich Saisonniers und Grenzgänger, die man in ihre Heimatländer zurückschickte. Die Schweizer Arbeitslosenrate verblieb daher selbst auf dem Höhepunkt der Krise unter der 1-Prozent-Marke. Demgegenüber rechnet die Expertengruppe des Bundes für dieses und nächstes Jahr mit einem Anstieg auf durchschnittlich 3,9 respektive 4,1 Prozent.
Staatliches Handeln in neuem Licht
Sicher ist indes: So wie der Ölpreisschock eine tiefe Zäsur bedeutete, wird auch der Corona-Schock einen Wendepunkt markieren. Damals war es die schmerzliche Abkehr vom Glauben an einen steten Zuwachs an Wirtschaftsleistung und Wohlstand.
Zu welchen Einsichten die Akteure in Politik und Wirtschaft diesmal gelangen werden, ist schwer abschätzbar. Kritisch hinterfragen werden viele Unternehmen wohl ihre Abhängigkeit von komplexen, weltumspannenden, aber eben auch verletzlichen Wertschöpfungsketten. Die Digitalisierung dürfte ihren Vormarsch noch beschleunigen. In hellerem Licht erscheinen werden auch zentrale staatliche Aufgaben wie Gesundheit und Bildung sowie funktionstüchtige öffentliche Institutionen.
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