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Debatte um Medikamentenpreise
Die Erstattung teurer Therapien soll fairer werden

Automatisiertes Regal in einer Apotheke: Der Streit, zu welchem Preis die Krankenkassen Medikamente vergüten, geht in eine neue Runde.
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Es ist der Horror aller Eltern: Das eigene Kind erkrankt an Krebs. Da viele Krebsmedikamente nicht für Kinder zugelassen sind, müssen die Eltern die Vergütung der Behandlungskosten bei der Krankenkasse beantragen – Einzelfallvergütung heisst das Prozedere. Die Kassen behandeln die Gesuche aber höchst unterschiedlich: Ob eine Therapie bezahlt wird, hängt damit von der Kasse ab.

Dieses Problem sorgt schon lange für Schlagzeilen. Nun unternimmt der Bund einen erneuten Anlauf, es in den Griff zu bekommen. So richtig zufrieden ist aber niemand mit den Vorschlägen: weder Patientenschützer noch die Kassen und schon gar nicht die Pharmaindustrie. In Sachen Behandlungsgerechtigkeit sieht Flavia Wasserfallen, SP-Nationalrätin und Präsidentin des Dachverbandes Schweizerischer Patientenstellen, immerhin Fortschritte.

Preispoker dauert immer länger

Die Einzelfallvergütung ist eigentlich als Ausnahme gedacht. Die Regel soll dagegen sein, dass die Pharmaindustrie und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sich bei Medikamenten auf einen Preis einigen und das BAG dann die Mittel auf die sogenannte Spezialitätenliste setzt: Medikamente, die auf dieser Liste stehen, müssen die Kassen bezahlen, es sind derzeit rund 3200 Pharmazeutika.

Eigentlich sollen sich BAG und die Pharmafirmen binnen 60 Tagen darauf einigen, zu welchem Preis ein Medikament vergütet wird. Doch das Verfahren dauert immer länger, unter anderem weil die Therapien komplexer und die Preisvorstellung der Industrie immer höher werden. Dabei sind die hohen Ausgaben für Medikamente längst ein Politikum.

Der sich hinziehende Preispoker ist auch ein Grund dafür, warum die Zahl der Anträge auf eine Einzelfallvergütung steigt: Waren es 2019 rund 38’000, registrierten die Krankenversicherer zuletzt rund 40’000 Anträge. Über die Annahme der Anträge entscheiden die Vertrauensärzte der Krankenkasse. Damit es hier fairer zugeht, schlägt das Bundesamt für Gesundheit nun vor, dass es einheitliche und verbindliche Nutzenkategorien gibt. 

Ein grosser therapeutischer Fortschritt gilt als dann erreicht, wenn eine Therapie einen Mehrnutzen um 35 Prozent im Vergleich zur Standardtherapie bietet. Das könnte zum Beispiel heissen, dass dank einer neuen Therapie die Patienten ein Drittel länger überleben als im Vergleich zur Standardbehandlung. Zudem werden die Kassen verpflichtet, die Anträge über ein gemeinsames Tool nach einheitlichen Kriterien zu bewerten.

Kassenvertreter und Patientenschützer begrüssen diese Punkte. «Dass die Beurteilung des Nutzens eines Wirkstoffs immer auf derselben wissenschaftlichen Basis bewertet wird, ist der richtige Weg», sagt Mathias Früh, Leiter Gesundheitspolitik bei der Helsana. Das neue Verfahren «wird die Ungleichbehandlung zwischen den Kassen senken», sagt auch Patientenschützerin Wasserfallen. Wichtig sei ferner, dass die Vertrauensärzte bei komplexen Fällen Experten einbeziehen. 

«Was das BAG vorschlägt, ist ein Systemwechsel bei der Preisfestsetzung neuer Medikamente.»

René Buholzer, Geschäftsführer Interpharma

Kritischer wird ein anderer Punkt gesehen: Denn die Einzelfallvergütung ist eigentlich als Ausnahme gedacht. Doch die Möglichkeit, dass Kassen Medikamente abseits der Spezialitätenliste vergüten, wird immer stärker zur zweiten Säule bei der Preisfindung. Die geplante Reform der Einzelfallvergütung zementiert nun ihre Bedeutung bei der Preisfindung, so die Befürchtung.

Jürg Indermitte, Leiter Sektion Arzneimittelaufnahmen beim BAG, rechtfertigt die Pläne: «Die Reform institutionalisiert die Einzelfallvergütung, gleichzeitig wird der Entscheidungsspielraum der Kassen dank Vereinheitlichungen beim Beurteilungsprozess eingeschränkt.» Und ergänzt: «Die Einzelfallvergütung ist sehr wichtig, doch diese soll nicht die Aufnahme neuer Mittel auf die Spezialitätenliste ersetzen.» 

Das sieht René Buholzer, Geschäftsführer von Interpharma, ganz anders: «Was das BAG vorschlägt, ist ein Systemwechsel bei der Preisfestsetzung neuer Medikamente», kritisiert er. Statt dass der Bund das Problem angeht, dass die reguläre Preisfindung immer länger dauert und Patienten auf Innovationen warten müssen, würde der Bund nun die Einzelfallvergütung zur Überbrückung dieser Probleme nutzen.  

Preisabschlag als Anreiz

Wenn aber Konzerne direkt mit den Kassen abrechnen können, warum sollen sie überhaupt noch mit dem BAG über die Aufnahme neuer Produkte auf die Spezialitätenliste verhandeln? «Werden Medikamente über die Einzelfallvergütung abgerechnet, werden neu fixe Preisabschläge angewandt. Das ist ein starker Anreiz, dass die Firmen die Aufnahme auf die Spezialitätenliste beantragen», erklärt BAG-Experte Indermitte. 

«Für mehr Chancen­gerechtigkeit muss das Ziel sein, dass möglichst alle Medikamente auf der Spezialitäten­liste aufgenommen werden.»

Flavia Wasserfallen, SP-Nationalrätin

Beispiel: In der höchsten Nutzenkategorie dürfen Kassen Mittel nur zu einem Preis vergüten, der 40 Prozent unter dem Preis des Mittels im Ausland liegt. Patientenvertreterin Wasserfallen bewertet dies positiv: «Für mehr Chancengerechtigkeit muss das Ziel sein, dass möglichst alle Medikamente auf der Spezialitätenliste aufgenommen werden. Die vorgeschlagenen Anreize könnten dies ermöglichen.» 

Pharma-Vertreter Buholzer hält das Instrument der Preisabschläge dagegen für vollkommen ungeeignet. «Der Schuss droht nach hinten loszugehen, denn für die Pharmafirmen verschlechtern sich damit die Rahmenbedingungen auf dem Schweizer Markt weiter.» 

Frei übersetzt: Die Preisabschläge bei den Einzelfallvergütungen könnten dazu führen, dass Anbieter ihre Mittel gar nicht mehr in der Schweiz auf den Markt bringen.