Porträt über Martine ClozelDie erfolgreichste Forscherin der Schweiz lanciert ein neues Schlafmittel
Martine Clozel ist durch den Verkauf ihrer Biotechfirma Actelion zur Milliardärin geworden. Sie forscht weiter und sagt, wieso kleine Unternehmen das besser können als Konzerne.
Martine Clozel ist 66 Jahre alt und Milliardärin: Sie könnte also schon längst in Pension sein. «Mir ist nicht danach, aufzuhören», sagt sie. Die Medizinerin sprüht vor Lebensenergie. Im Videogespräch mit dieser Zeitung – einem ihrer seltenen Interviews – sitzt sie zu Hause in einem hohen, mit Holz ausgekleideten Raum. Sie lacht herzlich und meint, es dauere noch Jahrhunderte, bis sie alt werde. «Ich habe keine Pläne für die Zeit nach Idorsia», fügt sie an.
Selbst wenn sie tatsächlich an den Ruhestand denken würde, dürfte sie das gar nicht sagen. Es hätte Folgen für die Börse, spielt sie doch als wissenschaftliche Leiterin beim Biotechunternehmen Idorsia immer noch eine entscheidende Rolle. Diese Woche hat die US-Arzneimittelbehörde FDA ihrem neuen Schlafmittel Quviviq die Zulassung erteilt und damit den Aktienkurs von Idorsia angetrieben.
«Uns interessierte nur die Biologie der Rezeptoren und der Substanz, die nur von wenigen Zellen im Gehirn produziert wird.»
Sie ist die erfolgreichste Forscherin der Schweiz – warum sollte sie auch aufhören. Auf die eine oder andere Art werde sie wohl immer in der Pharmaforschung bleiben, betont Clozel.
«Als wir mit der Forschung für Quviviq anfingen, wussten wir noch nicht, dass es um ein Schlafmittel gehen würde», sagt Clozel. Worum es ihr und ihrem Team ging, das war etwas anderes: «Uns interessierte nur die Biologie der Rezeptoren und der Substanz, die nur von wenigen Zellen im Gehirn produziert wird.» Sie erwies sich dann als Grundlage für ein neuartiges Schlafmittel.
Ursprünglich war Clozel Kinderärztin. Bei Roche hat sie den Weg in die Pharmaforschung gefunden – und sich 1997 mit der Firma Actelion selbstständig gemacht. Damals war es eines der erste Biotechunternehmen der Schweiz. Und es wurde zum erfolgreichsten: Als Erste brachte Clozel ein Medikament gegen Bluthochdruck in den Arterien zwischen Herz und Lunge auf den Markt. Für 30 Milliarden Dollar verkaufte es Martine Clozel dann 2017 zusammen mit ihrem Mann Jean-Paul, der CEO von Actelion war, an den US-Konzern Johnson & Johnson. Die Clozels erhielten dabei für ihren Anteil an Actelion rund 1,5 Milliarden Dollar.
Von Actelion behielt Martine Clozel ihr Team und eine Reihe von Forschungsprojekten – und gründete Idorsia, die sie ebenso in Allschwil BL ansiedelte. Das Schlafmittel ist das erste Medikament, das jetzt von der neuen Biotechfirma auf den Markt kommt. Es gehört einer neuen Wirkstoffklasse an und soll nicht abhängig machen. Bei Johnson & Johnson, so ist zu vermuten, wäre es wohl nicht weiterentwickelt worden.
«Wir haben ein einziges Forschungszentrum in Allschwil, wir sind alle nah zusammen und können rasche Entscheidungen treffen.»
Warum hat Clozel so viel Forschungserfolg und schlägt damit grosse Pharmakonzerne? «Wir halten die Bürokratie bei uns so gering wie möglich, damit wir uns wirklich auf die Forschung konzentrieren können», erklärt sie. Bei ihnen gebe es keine übergeordnete Forschungschefin. «Unsere Chefinnen und Chefs sollen nahe an den Projekten dran sein.» Ein weiterer struktureller Vorteil: «Wir haben ein einziges Forschungszentrum in Allschwil, wir sind alle nah zusammen und können rasche Entscheidungen treffen.» Das Team arbeite zudem seit Jahrzehnten zusammen und habe gelernt, sich bestens aufeinander abzustimmen.
Pharmaanalyst Stefan Schneider sieht die Forschung nach neuen Wirkstoffklassen oft auch bei kleinen Pharmaunternehmen besser aufgehoben, weil diese auch Mitteln eine Chance geben, bei denen nicht gleich hohe Umsätze winken. «Die grossen Firmen haben meistens eine Reihe von potenziell sehr grossen Medikamenten in der Entwicklung, die sie schneller auf den Markt bringen können.» Experte Schneider vom Investmenthaus Vontobel betont, dass Konzerne meist auch stärker unter Renditedruck stehen.
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