Proteste gegen KorruptionDie Bulgaren haben die Nase voll
Im ganzen Land verlangen Tausende den Rücktritt der Regierung. Sogar der Staatspräsident hat sich auf die Seite der Demonstranten gestellt.
Es sind mächtige Proteste gegen die Regierung in Bulgarien. Wie schon an den Tagen zuvor versammelten sich Tausende im Zentrum der Hauptstadt Sofia sowie in den Städten Warna, Burgas und Plowdiw, um den Rücktritt von Premierminister Bojko Borisow zu fordern. Die Demonstranten tragen Banner mit Slogans «EU, bist du blind?».
Die Proteste, die sich im Wesentlichen gegen Verstrickungen von Politik und Justiz richten, sind die grössten in dem Land seit 2014. Oppositionsführer und Ex-Justizminister Hristo Iwanow sagte dem staatlichen Fernsehen, Borisow habe «keinen Bezug mehr zur Realität. Es ist Zeit für ihn, eine Pause zu machen. Wir brauchen vorgezogene Wahlen.»
Den Zündfunken für die derzeitige Protestwelle hatte Iwanow vergangene Woche mit einer Aktion geschlagen: Begleitet von einer Filmkamera, hatte er sich zu Fuss der Villa eines Unternehmers und Politikers an der Schwarzmeerküste genähert und währrenddessen erklärt, das Gebäude mit seinem privaten Strandzugang sei illegal.
Auf dem öffentlichen Strand griffen ihn zivil gekleidete Sicherheitsleute auf und vertrieben ihn; kurz darauf kam ein uniformierter Polizist hinzu, um Iwanows Ausweis zu kontrollieren. Nachdem das Video im Internet verbreitet worden war, versuchten Hunderte Protestierende, zu dem öffentlichen Strandabschnitt nahe der Villa zu gelangen, sie wurden jedoch von der Polizei ferngehalten. Aus Iwanows Sicht ein weiterer Beleg für die allzu fliessenden Grenzen zwischen Geld, Politik und Staatsgewalt in seinem Land.
Präsident lobt «Anti-Mafia-Konsens»
Auch Staatspräsident Rumen Radew hat sich inzwischen den Forderungen der Demonstranten angeschlossen und den «Anti-Mafia-Konsens» gelobt, der sich da in der Gesellschaft formiere. Der Zorn der Menschen über Lügen und jahrelange Korruption habe bereits «zwei Millionen Bulgaren ins Ausland getrieben», sagte Radew in einer Fernsehansprache.
Die Proteste nannte er einen «Kampf für unsere Würde, für unsere Kinder, für unsere Zukunft» sowie für ein «gerechtes, modernes, europäisches Bulgarien». Zwei Tage zuvor hatten Ermittler das Büro des Präsidenten durchsucht; bei der Razzia wurden ein Sekretär und ein Berater Radews festgenommen.
Aus Sicht der Regierungskritiker wurde der Präsident zum Ziel der Razzia, weil er sich wiederholt regierungskritisch geäussert hatte. Generalstaatsanwalt Iwan Geschew wies den Vorwurf zurück und warf dem Präsidenten vor, offenkundig «verwirrt» zu sein: «Wir koordinieren unser Vorgehen nicht mit Aussagen von Politikern.»
Die Proteste auf den Strassen von Sofia richten sich auch gegen Polizeigewalt. In sozialen Medien machte etwa ein Video eines Jurastudenten die Runde, der von Uniformierten verprügelt wurde. Das Innenministerium wies die Vorwürfe unrechtmässigen Verhaltens durch die Sicherheitskräfte zurück. Generalstaatsanwalt Geschew, der selbst im Zentrum der Rücktrittsforderungen steht, bekräftigte auf Twitter, er stehe hinter allen Aktionen der Polizei.
Premier Borissow weist die Rücktrittsforderungen der Demonstranten zurück. Er werde aus Verantwortung an der Regierung bleiben, erklärte er, schliesslich stünden dem Land wegen der Corona-Krise «schreckliche Monate und Jahre» bevor.
Gegenwind bekommt der Premier auch aus den USA.
Die Europäische Volkspartei, der Borissow angehört, hat nach dem Ausbruch der Proteste vergangene Woche ihre Unterstützung für dessen Regierung und deren «Kampf gegen die Korruption» bekräftigt.
Gegenwind bekommt der Premier allerdings aus den USA: «Jede Nation verdient ein Justizsystem, das unparteiisch und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet ist», erklärte die US-Botschaft in Sofia in einem Statement. «Wir unterstützen das bulgarische Volk», heisst es weiter, «in eurem friedlichen Eintreten für grösseres Vertrauen in euer demokratisches System.»
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