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Innovation im ÖV
Die Bankkarte wird zum Billett

Wer in Chur aufs Postauto will, braucht bald bloss noch die Bankkarte zu zücken: Diese dient in Zukunft als Zahlungsmittel wie auch als Billett. Wer sich aufs neue Prozedere einlässt, spart ein Fünftel des Preises. 
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Wer viel in fremden Städten unterwegs ist, hat ein dickes Portemonnaie. Denn fast jede Metropole setzt im öffentlichen Verkehr auf ein eigenes Kärtchen. Praktisch ist das nicht: Entweder hat man die richtige Karte gerade nicht dabei, sodass eine weitere gekauft werden muss. Oder man besucht die Stadt so lange nicht, bis das Restguthaben verfallen ist. 

In London etwa reist man mit der «Oyster Card». Doch seit einigen Jahren gibt es dort eine Alternative dazu: Die gekauften Tickets lassen sich auch auf die Bankkarte laden. «Ein zukunftsweisendes System», befand Thierry Müller, als er in London unterwegs war. Wieder zu Hause, gleiste der Abteilungsleiter Öffentlicher Verkehr beim Kanton Graubünden ein entsprechendes Projekt auf. 

Im Spätherbst ist es nun so weit – sobald die lange im Hafen von Shanghai blockierten Geräte installiert sind: Die Bankkarte wird zum Billett, zuerst in Chur, Davos und St. Moritz, nach und nach dann im ganzen Kanton Graubünden. Irgendwann, so hofft Thierry Müller, könnte das System in der ganzen Schweiz eingeführt werden. 

 Das Billett kommt auf die Karte

Das Prozedere unterscheidet sich vorerst kaum vom normalen Kauf: Man wählt am Automaten das Reiseziel aus. Bezahlt wird mit der Debit- oder Kreditkarte. Zugleich wird das Ticket der Karte zugeordnet. Wer aufs gedruckte Billett verzichtet und kontaktlos mit der Karte bezahlt, erhält einen Nachlass von einem Fünftel des Preises, was dem Rabatt bei einer Mehrfahrtenkarte entspricht. Vorerst sind ausschliesslich Tickets für Fahrten im Kanton Graubünden erhältlich.

So sollen die Bündner Billette kaufen: Thierry Müller führt ein Testgerät vor. Die fertigen Automaten werden im Spätherbst in Betrieb genommen.

Mit dem neuen System können Nutzerinnen Tickets auch auf ihren Swiss Pass laden. Denn dieser enthält nun denselben Chip, der auch bei Bankkarten zum Einsatz kommt. Wer seine Fahrkarten auf den Swiss Pass laden will, muss sich allerdings vorgängig einmalig registrieren. Dafür ist auf dem Swiss Pass – anders als bei Bankkarten – bereits das Halbtax hinterlegt.

Egal, ob mit Bankkarte oder Swiss Pass: Das neue System vereinfacht den Ticketkauf im Vergleich zum Kauf am Automaten: Dort müssen Nutzer bis zu zehn Knöpfe drücken, um zum gewünschten Fahrausweis zu kommen. Zudem soll es auch Wertkarten mit Chip zu kaufen geben. Mit diesen sollen komplett anonyme ÖV-Fahrten möglich sein. 

Papier durch Plastik zu ersetzen – das ist wenig revolutionär. «Die Fahrgäste sollen sich zuerst mit dem neuen System vertraut machen, bevor wir weitere Abrechnungsmodelle anbieten», erklärt Müller. Geplant ist eine Check-in-Funktion: Beim Einsteigen stempelt man sich mit seiner Bankkarte im Fahrzeug ein, beim Verlassen wieder aus. Die Fahrkosten werden nachträglich belastet. Entsprechende Tests sollen zuerst in Chur innerhalb einer Tarifzone durchgeführt werden. In einer späteren Phase soll das System das jeweils günstigste Ticket in Rechnung stellen anstatt mehrerer Einzelfahrten, also etwa eine Tageskarte. 

Touristen haben die entsprechenden Apps in der Regel nicht installiert oder zumindest kein Konto eröffnet. Eine Kreditkarte tragen aber die meisten auf sich.

Doch Halt: Bietet das Unternehmen Fairtiq nicht exakt dasselbe an – mit der eigenen Anwendung sowie mit den in den Apps der grossen Bahnbetreiber wie den SBB und der BLS eingebauten Check-in-Funktionen? «Die beiden Systeme ergänzen sich», argumentiert Thierry Müller. Das Einchecken per Smartphone könne praktisch sein. Allerdings schliesse man mit einem solchen System Leute aus: jene, die kein Smartphone besitzen oder keines mit sich tragen – insbesondere Kinder und einige Seniorinnen und Senioren. Und auch jene, die ihre Reise nicht gerne von einem Unternehmen aufzeichnen lassen.

Zudem benötige die Ortungsfunktion Strom, sodass der Akku des Smartphones etwas früher leer ist. Und für den Kanton Graubünden besonders wichtig: Touristen haben die entsprechenden Apps in der Regel nicht installiert oder zumindest kein Konto eröffnet. Eine Kreditkarte tragen aber die meisten auf sich. 

Auch an anderen Orten geht es vorwärts

Allerdings hat eine solche Eincheck-Lösung ihre Tücken. Was etwa passiert, wenn ein Fahrgast vergisst, die Reise zu beenden? Während beim Smartphone die Positionsdaten ausgewertet werden, lässt sich der Ausstiegsort bei einer Fahrt mit der Karte nicht rekonstruieren. Und anders als bei vielen Metros müssen die Fahrgäste hierzulande auch keine Schleusen passieren, die sie zum Auschecken zwingen. «Genau solche Probleme versuchen wir im Check-in-Pilotversuch in Chur zu lösen», sagt Müller.   

Im Kanton Graubünden müssten die Automaten ersetzt werden. «Damit bietet sich uns die grosse Chance, auf eine zukunftsträchtige Technologie zu setzen.» Die Bündner sind in guter Gesellschaft: In Südtirol soll noch in diesem Jahr ein ähnliches System lanciert werden. In den Niederlanden läuft ein Test; die Markteinführung ist fürs kommende Jahr geplant. Ein etwas einfacheres, aber technisch verwandtes Verfahren setzen die Metros in Mailand und Genua ein. Finnland und Estland wiederum haben ein eigenes System entwickelt, das auf einer ähnlichen Technik basiert. 

Lieber kein Bargeld

Das Ziel der ÖV-Betreiber ist es, rasch vom Ticketverkauf in der Führerkabine des Gefährts wegzukommen. Denn dieser ist aufwendig und teuer. So muss die Zeit, die die Chauffeuse oder der Chauffeur fürs Verkaufen benötigt, im Fahrplan eingerechnet werden. Entsprechend sind die Fahrzeuge länger als nötig unterwegs. Probleme gibt es, wenn auf einer Fahrt aussergewöhnlich viele Leute Billette beim Chauffeur oder der Chauffeuse kaufen wollen. Dann kann es vorkommen, dass andere Fahrgäste ihre Anschlüsse verpassen. Da sich die Gemeinden vielerorts keine teuren Haltebuchten leisten, staut sich der Verkehr zudem oft hinter dem Bus. «Aus all diesen Gründen möchten wir den Ticketkauf im Fahrzeug so effizient wie möglich gestalten», sagt Thierry Müller.  

Doch es gibt weiterhin viele Leute, die weder eine Kreditkarte noch einen Swiss Pass haben. Sie können, wenn nötig, während der Übergangszeit Wertkarten kaufen. Das kostet die Chauffeusen und Chauffeure zwar weiterhin etwas Zeit. Aber wenigstens nicht bei jeder Fahrt.