Gastkommentar zur AHV-ReformDie AHV braucht ein Facelifting – aber keine Steuererhöhung
Es gibt bessere und nachhaltigere Wege, um die Renten zu sichern.
Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates hat endlich mit der Vorberatung der AHV-Revision 21 begonnen. Die Basis bilden Vorschläge, die der Bundesrat schon 2019 vorgelegt hatte: Mehrwertsteuererhöhung von bis zu 8 Prozent, flexibles Rentenalter zwischen 62 und 70, Erhöhung des Frauenrentenalters um ein Jahr mit Ausgleichsmassnahmen zugunsten der Frauen.
Die vom Bundesrat vorgeschlagene happige Mehrwertsteuererhöhung blendet aus, dass auch andere Sozialversicherungen unterfinanziert sind. So müssen dereinst deutlich mehr Pflegekosten finanziert werden, die Invaliden- und die Arbeitslosenversicherung sind defizitär und bedürfen weiterer Geldquellen, um nur drei Beispiele zu nennen.
Weshalb packt die bürgerliche Mehrheit nicht überholte AHV-Goodies an?
Der Ruf nach Mehrwertsteuererhöhungen – übrigens auch der Ruf nach Nationalbankgeldern für die AHV – ist weder nachhaltig noch zielführend. Aus diesem Grund erscheint es als notwendig, nach weiteren Finanzierungsquellen zu suchen.
Weshalb packt die bürgerliche Mehrheit nicht überholte AHV-Goodies an? Über- und Falschfinanzierungen, die aus dem letzten Jahrhundert stammen und in keiner Weise ein heutiges soziales Risiko abdecken?
Vier Beispiele:
Über Bord zu werfen wäre endlich die Beitragslosigkeit des nicht erwerbstätigen Ehegatten. Diese Wohltat ist ein Relikt aus Zeiten der vorherrschenden Ernährerehe in den Fünfzigerjahren. Vielmehr sollten heute alle Nichterwerbstätigen nach den gleichen Vorgaben – dem Vermögen – beitragspflichtig sein. Immerhin ist in rund 5% der kinderlosen Paarhaushalte ein Ehepartner ohne Erwerbstätigkeit. Die Gleichstellung aller Nichterwerbstätigen, die keine Erziehungs- oder Betreuungspflichten haben, ist ein Gebot der Stunde und hätte Mehreinnahmen für die AHV zur Folge. Wenn die CVP – die Partei der Mitte – von «Heiratsstrafe» in der AHV spricht, müsste sie konsequenterweise Hand bieten zur Beendigung dieser ungerechtfertigten Privilegierung.
Die Diskriminierung der Witwer ist aufzuheben. Dies ist nun nach dem jüngst ergangenen Entscheid des Strassburger Menschenrechtsgerichtshofs in Sachen des appenzellischen Witwers gegen die Schweiz offensichtlich und dringlich geworden. Witwen und Witwer sind gleichzustellen, und das soziale Risiko des Hinterlassenseins ist neu zu definieren – wohl im Sinne der jetzigen Voraussetzungen für die Witwer. Das heisst: Renten für den hinterbliebenen Elternteil bis zum vollendeten 18. bzw. bis längstens zum 25. Altersjahr der Kinder.
Schliesslich liesse sich auch auf der Beitragsseite durch eine Vereinheitlichung der Beitragssätze einiges mehr an Einnahmen generieren. Die jetzigen zwei gesetzlichen Kategorien «selbstständige Erwerbstätigkeit» und «unselbstständige Erwerbstätigkeit» bildet die heutige Arbeitswelt nicht mehr ausreichend ab, wie andernorts schon mehrfach dargestellt wurde (Riemer-Kafka, Cortiula, Demir, Bütler). Plattformarbeiten, bei denen gar kein Arbeitgeber vorhanden beziehungsweise im Ausland ist, oder reine Vermittlungstätigkeiten passen nur schwerlich in dieses gesetzliche Korsett. Es bedarf eines einheitlichen Beitragssatzes, eventuell neue Regelungen zum Beispiel dahingehend, dass der Beitragsstatus von Parteierklärungen abhängig gemacht wird.
Ein weiteres Privileg bedarf der Überprüfung: die AHV-Kinderrente. Sie sichert kein soziales Risiko im eigentlichen Sinn ab und müsste – ebenfalls mit angemessener Übergangsregelung – aufgehoben werden.
Ein baldiges Facelifting der AHV nur schon in diesen vier Punkten würde eine Mehrwertsteuererhöhung weitgehend unnötig machen. Längerfristig sollte geprüft werden – erst einmal durch Datenerhebungen – ob und allenfalls in welchem Ausmass die vier Unternehmenssteuerreformen eine Verminderung des AHV-Beitragssubstrates bewirkt haben.
Fehler gefunden?Jetzt melden.