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Sicherheitskonferenz in München
Deutschland unterstützt die Ukraine – löst aber nicht deren grösstes Problem

epa11157796 German Chancellor Olaf Scholz (R) and Ukraine's President Volodymyr Zelensky (L) shake hands as they attend a press conference at the German Chancellery building during Zelensky?s visit to Berlin, Germany, 16 February 2024.  EPA/CLEMENS BILAN
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Es soll ein feierlicher Tag werden. Alles läuft nach Plan, abgeschirmt von Polizei am Boden und knatternden Helikoptern in der Luft. Doch wenige Minuten bevor die beiden Männer vor die Fahnen der Ukraine und Deutschlands treten, kommen Eilmeldungen aus Russland. Alexei Nawalny ist tot. (Lesen Sie hier die Analyse zu Nawalnys Tod.)

Hastig werden Sprachregelungen gesucht, der Presseauftritt verzögert sich. Alles hängt wieder mit allem zusammen, vor allem die Erkenntnis, dass bei Wladimir Putin stets mit dem Schlimmsten zu rechnen ist. Und dass gerade deshalb die Ukraine Sicherheitsgarantien braucht, auch für die Zeit nach dem Krieg.

Ein Abkommen dazu haben der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Wolodimir Selenski gerade unterzeichnet, doch Scholz will nun erst etwas zu Russlands bekanntestem Oppositionellen sagen, der nach russischen Angaben in einem Straflager gestorben ist: «Das ist etwas, was sehr bedrückend ist.»

Scholz begegnete Nawalny 2020 in Berlin, als dieser sich von dem damals schon fast tödlichen Giftanschlag erholte. Er habe mit Nawalny über den Mut gesprochen, erinnert sich Scholz, den sein Einsatz in Russland erfordert haben müsse. «Wahrscheinlich hat er diesen Mut jetzt bezahlt mit seinem Leben.» Selenski wird deutlicher: «Es ist für mich offensichtlich, er wurde getötet.»

Selenski und Scholz haben sich angenähert

Um ihr Leben fürchten müssen auch seit fast zwei Jahren die Menschen in der Ukraine, auch sie leiden unter Putin. Es geht viel um Mut an diesem Tag, vor allem den der Ukrainer. Selenski steht neben dem Kanzler, redet immer wieder vom «lieben Olaf», der redet vom «lieben Wolodimir» – sie haben sich deutlich angenähert, Respekt und Wertschätzung sind spürbar.

Das im deutschen Kanzleramt feierlich unterzeichnete Sicherheitsabkommen ist das zweite dieser Art nach einem mit Grossbritannien. Die deutsche Regierung sichert der Ukraine damit zu, sie bei ihrer Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg dauerhaft zu unterstützen – auch falls es nach Kriegsende zu einem erneuten Angriff Russlands kommen sollte. «Das Dokument kann in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden», betont Scholz.

Erstmals tritt Deutschland in dieser Form als Garantiestaat auf. Die Vereinbarungen reichen von Waffenlieferungen über die Ausbildung ukrainischer Soldaten bis zu Hilfe beim Wiederaufbau, bei Minenräumung und Aufbau einer klimafreundlichen Energieinfrastruktur nach einem Kriegsende – aber wie das für die Ukraine aussehen soll, ist die ungewisse Frage.

«Das ist historisch, diese Unterstützung»

Es geht aber nicht um eine mögliche direkte Kriegsbeteiligung. Sollte Russland die Ukraine nach einem Waffenstillstand erneut angreifen, wird die deutsche Regierung aber binnen 24 Stunden zusammenkommen und beraten, wie die Ukraine rasch militärisch unterstützt werden könnte.

Auch militärisch liefert Deutschland ein neues Paket, auch wenn bei den besonders dringend benötigten Dingen, angefangen bei 155-Millimeter-Artilleriemunition, kaum noch etwas lieferbar ist. Das wegen der Sicherheitskonferenz «Münchner Paket» getaufte Unterstützungsprogramm hat laut dem deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius einen Wert von umgerechnet rund 1,07 Milliarden Franken.

«Das ist historisch, diese Unterstützung», sagt Selenski, er danke auch im Namen seines Volkes. Sehr wichtig sei die Artilleriemunition. «Das ist kritisches Gut für uns an der Front.» Aber ganz kurzfristig kann auch der Kanzler wenig machen, um mehr zu helfen, allen bisherigen Lieferungen und angekündigten Sicherheitsgarantien zum Trotz. Auch Deutschland unterschätzte die Munitionsproblematik, viele Lager sind leer. «Für den Ad-hoc-Bedarf sind wir an der Grenze dessen, was heute und jetzt machbar ist», heisst es im deutschen Verteidigungsministerium.

Russland gelingen Durchbrüche

Das kann den Krieg an einen Kipppunkt führen. Den Russen gelingen immer wieder Frontdurchbrüche. Die strategisch wichtige Stadt Awdijiwka steht vor dem Fall. Militärexperten beziffern die Unterlegenheit der Ukrainer bei der Artillerie auf zwischen 1 zu 3 und 1 zu 7 – optimistisch gerechnet. Nach Schätzung von Estlands Verteidigungsministerium bräuchte die Ukraine etwa 6700 Schuss Munition pro Tag, um den Angriffen standhalten zu können, sie erhält von den Nato-Staaten und Europa aber nicht einmal die Hälfte.

Auch bei der Luftverteidigung wächst der Mangel, ohne Schutz droht die Zahl der zivilen Opfer weiter zu steigen – erkennbare Strategie der Russen ist es, die Menschen zu zermürben und Flüchtlingszahlen in Europa zu erhöhen. Mit Blick auf das im US-Kongress festhängende 60-Milliarden-Dollar-Paket für die Ukraine betonte Präsident Joe Biden nun: «Das Versagen, die Ukraine in diesem kritischen Moment nicht zu unterstützen, wird niemals vergessen werden.» Auch Scholz appelliert, das Paket freizugeben.

Mit dem Sicherheitsabkommen löst Scholz eine Zusage ein, die auf dem G-7-Gipfel im deutschen Elmau wenige Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegeben wurde. Weil die Ukraine auf absehbare Zeit kaum Aussicht auf Aufnahme in die Nato hat, sollen ihr bilaterale Abkommen mit den G-7-Staaten und weiteren Ländern Rückhalt auch für die Zeit nach den Kämpfen garantieren. Selenski reiste am Freitag weiter nach Paris, zu Präsident Emmanuel Macron, um das dritte dieser Abkommen zu besiegeln.