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Debatte um Schweizer Demokratie
Duell der «Schweiz-Experten» im deutschen Parlament

Der Plenarsaal des Deutschen Bundestags im Reichstagsgebäude in Berlin.
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In Deutschland soll künftig das Volk über Gesetze und Sachfragen abstimmen: Das war, knapp zusammengefasst, der Antrag der rechtspopulistischen AfD, über den der Deutsche Bundestag am Freitag in Berlin debattierte. So weit, so unspektakulär: Die AfD lanciert quasi im Akkord Gesetzesvorschläge, die gegen die «Elite» gerichtet sind, von den übrigen Parlamentsfraktionen aber jeweils geschlossen abgelehnt werden. (Lesen Sie hier, warum die AfD die Demokratie gefährden könnte.)

Unversehens jedoch rückte diesmal die Schweiz in den Mittelpunkt der Debatte. Es begann, als der AfD-Abgeordnete Roman Reusch den eingereichten Gesetzesentwurf erklärte: Dieser greife auf «bewährte Verfahrensweisen aus der schweizerischen Bundesverfassung» zurück. «Stimmt ja gar nicht!», rief hier die Grüne Anna Christmann dazwischen. Später trat sie ans Rednerpult, wo sie sich als Schweiz-Expertin zu erkennen gab: «Ich selbst habe sechs Jahre in der Schweiz gelebt und dort zum Thema direkte Demokratie promoviert. Ich kann Ihnen sagen: Der vorliegende Gesetzentwurf der AfD hat nichts mit der direkten Demokratie in der Schweiz zu tun. Hören Sie endlich auf, sich auf das Schweizer System zu berufen! Das ist so einfach nicht richtig.» Der AfD-Fraktion riet Christmann, «doch mal mit den Herrschaften» (den Schweizern) zu reden – «dann werden Sie vielleicht noch viel dazulernen».

Den Vorwurf der Schweiz-Agnosie wollte wiederum der AfD-Mann Albrecht Glaser nicht auf sich sitzen lassen. «Was die Schweiz angeht, können Sie davon ausgehen, dass viele von uns sich schon Jahrzehnte vertieft mit der Schweizer Demokratie befassen.» Er selber habe neulich an der ETH Zürich eine Vorlesung zu diesem Thema gehört, so Glaser. Worauf Christmann wiederum konterte: «Herr Kollege Glaser, ich kann Ihnen versichern, dass ich das direktdemokratische System der Schweiz ganz gut kenne.» Der Gesetzesentwurf entspreche «überhaupt nicht dem Prinzip der konsensorientierten schweizerischen Direktdemokratie».

Selbsternannter «Schweiz-Experte»: AfD-Politiker Albrecht Glaser.

Irgendwann beendete Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich (CSU) den Infight mit den ironischen Worten, dass sich nun ja «die Schweiz-Experten ausgetauscht haben». Wobei man aus Schweizer Sicht anmerken darf, dass die Experten noch dazulernen können. So verlangt die AfD mit Berufung auf Schweizer Vorbild obligatorische Referenden für «Änderungen früherer Entscheidungen des Volkes». Müsste jeder Schweizer Parlamentsentscheid auf Widersprüche zu Volksentscheiden seit 1848 überprüft werden, würden vier Abstimmungstermine im Jahr wohl nicht ganz ausreichen.

«Es gibt dort keine Abstimmungen über Einzelsachfragen»

Und die Abgeordnete Christmann behauptete über die Schweiz: «Es gibt dort keine Abstimmungen über Einzelsachfragen, die Bürgerinnen und Bürger einbringen könnten, sondern es braucht Gesetzesvorlagen, gegen die ein Referendum erhoben werden kann.» Man darf annehmen, dass Christmann bei ihrer Promotion über die direkte Demokratie auch dem Begriff «Volksinitiative» begegnet ist. Aber vielleicht liegt es etwas zu lange zurück.

Der AfD-Antrag wurde dann übrigens, wenig überraschend, abgelehnt. Insgesamt aber war die Bundestagsdebatte über den demokratischen Modellfall Schweiz dem Image unseres Landes wohl durchaus förderlich. Auch wenn der Sozialdemokrat Mahmut Özdemir noch für das obligatorische Schweiz-Klischee sorgte, indem er der AfD an einer Stelle zurief: «Sie kennen sich gut mit der Schweiz aus, aber mehr mit Geld!»