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Suche nach verschwundenen Milliarden
Der Wirecard-Skandal erreicht die Schweiz

Fahndungsplakate in Berlin im Sommer 2020. Der ehemalige Wirecard-Boss Jan Marsalek ist geflüchtet und wird heute in Moskau vermutet. 
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Februar 2020: Noch ist der deutsche Zahlungsabwickler Wirecard dick im Geschäft. Aber die Warnungen vor Bilanzfälschungen und anderen Machenschaften werden in den Medien immer lauter. Auch die deutsche Finanzmarktaufsicht Bafin interessiert sich für den Konzern aus Aschheim bei München.

Für ein Unternehmen am Ufer des Genfersees ist das kein Grund, die Geschäftsbeziehungen abzubrechen. Die Informatikfirma Riot Micro in Morges VD verdient mit Wirecard offenbar gut.

Zwei Rechnungen über 1,5 Millionen Franken

Firmenmails von Wirecard, die dieser Zeitung vorliegen, zeigen, dass Riot Micro am 5. Februar 2020 eine Rechnung über eine Million Franken an die Wirecard AG stellt, zahlbar in drei Tranchen bis zum 1. April 2020.Als Leistung gibt die Schweizer Firma Riot Micro die Herstellung von «RM8000» an, einer E-Banking-Karte mit Authentifizierung durch Fingerabdruck.

Bereits im Oktober 2019 hatte Riot Micro dafür von Wirecard 500’000 Franken erhalten. Insgesamt verrechnet die Schweizer Firma also 1,5 Millionen Franken. Ob sie dafür jemals ein Produkt liefert, ist unklar.

Im Juni 2020 meldet Wirecard in Deutschland die Zahlungsunfähigkeit an, nachdem 1,9 Milliarden Euro aus der Bilanz nicht auffindbar waren oder nie existierten. Der aus Österreich stammende Vorstandsvorsitzende Markus Braun wird verhaftet und sitzt bis heute in Untersuchungshaft.

Sein Geschäftsführer, der ebenfalls aus Österreich stammende Chief Operating Officer Jan Marsalek, entzieht sich der Verhaftung durch Flucht in einem Kleinflugzeug nach Minsk. Er wird heute in Moskau vermutet, steht dort womöglich unter dem Schutz des Nachrichtendienstes FSB.

Zurück bleiben Anleger, die um mehrere Milliarden geschädigt wurden. Der Fall Wirecard gilt als einer der grössten Wirtschaftskrimis der deutschen Geschichte.

Die Zentrale von Wirecard in Aschheim bei München.

Jan Marsalek wird international gesucht, weil er über Scheingeschäfte Hunderte Millionen unterschlagen und auf geheimen Konten versteckt haben soll. Im Visier haben die Ermittler dabei jene Geschäfte, die bei Wirecard direkt über Marsalek oder auf seine Empfehlung hin liefen.

Bankkarten mit biometrischer Erkennung spielten dabei eine grosse Rolle. Viel wurde projektiert, viel wurde präsentiert, kaum etwas umgesetzt. Trotzdem floss das Geld von Wirecard auf die Konten der Auftragnehmer. Meist mit Vermerken wie: «... mit Jan abgemacht».

Marsalek reiste mehrmals in die Schweiz

Als Wirecard im Oktober 2019 die erste Rechnung von Riot Micro bekam, wusste Marsalek bereits, dass die Buchprüferin KPMG eine Sonderprüfung durchführte, um die Vorwürfe der Bilanzfälschung abzuklären. In dieser Zeit sollen besonders viele Scheingeschäfte abgeschlossen worden sein.

Riot Micro ist nicht der einzige Bezug von Wirecard zur Schweiz. Aus den Firmenmails geht hervor, dass der luxusverliebte Marsalek mehrmals nach Zürich reiste und im Luxushotel Dolder Grand abstieg. Für zwei Nächte in der Suite 4119 reichte er einmal eine Rechnung über knapp 8000 Franken ein. Seine Firma zahlte anstandslos.

Marsalek machte auch Geschäfte in Genf, beispielsweise mit einem russischen Geschäftsmann, der eine Kryptowährung und eine Plattform für E-Commerce besitzt.

Deutschland bittet Schweiz um Rechtshilfe

Für seine Verbindungen in die Schweiz interessieren sich nun die deutschen Ermittler. Das Bundesamt für Justiz in Bern bestätigt dieser Zeitung mehrere Rechtshilfeersuchen aus Deutschland, die den Fall Wirecard betreffen. Alle wurden der Staatsanwaltschaft Genf zur Bearbeitung übergeben. Wen diese Ersuchen betreffen, wird nicht verraten.

Millionenrechnung der Schweizer Firma Riot Micro an Wirecard vom Februar 2020. Kurze Zeit später meldete der deutsche Konzern Zahlungsunfähigkeit an, und das Schweizer Unternehmen wurde liquidiert. 

Nicht alles bei Wirecard war kriminell. Es wurden auch legale Geschäfte abgewickelt und echte Leistungen erbracht. Zu welcher Kategorie die Schweizer Informatikfirma Riot Micro gehört, bleibt offen. Es gibt aber einige Auffälligkeiten.

Zum Beispiel die kurze Lebensdauer des Unternehmens: Riot Micro Schweiz wurde im Dezember 2018 gegründet und im Dezember 2020 wieder aufgelöst. Dazwischen liegen die Rechnungen an Wirecard. Andere Kunden sind nicht bekannt.

Als Geschäftsführer wird der Schweizer Patrick C. eingetragen. Er ist heute für eine andere Firma tätig, Auskünfte über Riot Micro oder Wirecard will er nicht geben: Schweigepflicht, erklärt C. am Telefon.

Schweizer Geschäftsführer spricht Marsalek mit «Lieber Jan» an

Unter dem Namen Riot Micro existiert heute ein Unternehmen in Kanada. Auf dessen Website werden ebenfalls E-Banking-Karten beworben. Eine Karte mit der Bezeichnung «RM8000» ist nicht dabei. Die Anfragen dieser Zeitung werden nicht beantwortet.

Auffällig ist auch, dass die Geschäftsbeziehung zwischen Riot Micro und Wirecard offenbar direkt über den heute flüchtigen Marsalek liefen: Die Rechnungen über 1,5 Millionen Franken gingen an «Wirecard, z. Hd. Hrn. Jan Marsalek». In einer Mail spricht der Schweizer Riot-Micro-Geschäftsführer C. den Wirecard-Boss Marsalek mit «Lieber Jan» an.

15 Millionen für eine Offshore-Firma

Riot Micro Schweiz war Teil eines internationalen Firmengeflechts, hinter dem Abdallah T. steht, ein Österreicher mit libanesischen Wurzeln. Er hatte viele Jahre lang enge Beziehungen zu Marsalek und erhielt von Wirecard für seine Firmen in der Schweiz und auf den Britischen Jungferninseln Kredite über insgesamt 15 Millionen Euro.

T. ist einer der wenigen in der Wirecard-Affäre, der noch mit Journalisten spricht. Auf die Mailanfrage reagiert er innert Minuten mit einem Rückruf aus Katar. Alle Geschäfte von Riot Micro seien legal gewesen, geprüft und für in Ordnung befunden worden, versichert er. Mehr könne er nicht verraten – wegen der Vertraulichkeit.

Nach dem Gespräch schickt T. eine Power-Point-Präsentation und die Rednerliste einer Technologiekonferenz in Singapur. Die Dokumente zeigen, dass Riot Micro Werbung in der Branche machte. Über das Geschäft mit Wirecard für 1,5 Millionen Franken sagen sie nichts aus.