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Schottland und die Sturgeon-Affäre
Der Traum von der Unabhängigkeit verblasst

Ein Bild aus besseren Zeiten: Die zurückgetretene schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon und ihr Ehemann Peter Murrell, Hauptgeschäftsführer der Schottischen Nationalpartei (SNP) im Jahr 2019. 

Erst trat die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon überraschend zurück – und liess ihre Landsleute rätseln, weshalb sie so unvermittelt ihre Karriere beendet hatte. Sie selbst erklärte nur, dass ihr einfach alles zu viel geworden sei.

Dann begannen sich die Kandidaten für Sturgeons Nachfolge in aller Öffentlichkeit gegenseitig die Augen auszukratzen. Ungläubig verfolgten die Anhänger der Schottischen Nationalpartei (SNP), wie ihre Partei Tag für Tag mehr an Selbstdisziplin, mehr an Ansehen einbüsste. Aber erst als die Polizei in der Vorosterwoche mit mehreren Einsatzwagen vor dem Haus auffuhr, in dem Sturgeon mit ihrem Ehemann Peter Murrell in Glasgow wohnte, dämmerte es den meisten SNP-Leuten, dass eine regelrechte Katastrophe auf sie zugerollt kommt.

Die Partei, die über die Jahre mit einem Wahltriumph nach dem andern zur dominierenden, zur alles tragenden Kraft in Schottland geworden war, drohte in ein schwarzes Loch sondergleichen zu fallen – und den Traum vieler Schotten von einem unabhängigen Schottland gleich mit sich in die Tiefe zu reissen bei dieser Gelegenheit.

Kaum trauten die Nachbarn Sturgeons und Murrells ihren Augen, als Zelte und Planen vor der Haustür des Paars aufgespannt wurden und hinten im Garten Polizisten mit Spaten hantierten, als liege dort eine Leiche vergraben. «Wie ein Fernsehkrimi» kam den Anwohnern der Ex-Regierungschefin und ihres Mannes die spektakuläre zweitägige Polizeiaktion in ihrer Strasse vor.

Murrell soll Gelder veruntreut haben

Unterdessen wurde Peter Murrell, der seit 1999 Hauptgeschäftsführer der SNP war, vorübergehend als «Verdachtsperson» verhaftet und elf Stunden lang vernommen. Murrell habe wohl Gelder veruntreut und undurchsichtige Geschäfte betrieben, spekulierten die Zeitungen in Edinburgh.

Mühsam suchte sich der neue SNP-Vorsitzende und Regierungschef Humza Yousaf, ein langjähriger Verbündeter Sturgeons, von den «wenig transparenten» Manövern der bisherigen SNP-Spitze abzusetzen. Am Karfreitag kündigte dann die Wirtschaftsprüfungsfirma Johnston Carmichael, die sich in den letzten zwölf Jahren um die SNP-Finanzen gekümmert hatte, der Partei kommentarlos die Zusammenarbeit auf.

Wohnmobil der 92-jährigen Schwiegermutter durchsucht

Und zuletzt wurde bekannt, dass die Polizei das Wohnmobil der 92-jährigen Schwiegermutter Sturgeons beschlagnahmt und abtransportiert hatte. Mittlerweile fragt sich ganz Schottland, was wohl als Nächstes kommt – und wie viel von all dem Nicola Sturgeon wusste, ob auch sie demnächst vernommen wird.

Klar ist jedenfalls, dass die meistrespektierte Politikerin der Britischen Inseln, eine Kontrastfigur zu vielen ihrer in der Regel weniger eindrucksvollen Opponenten in Westminster, nun mit einem Mal vor den Trümmern ihres eigenen Rufs und des hart erworbenen Renommees ihrer Partei steht. Es ist ein unrühmliches Ende für eine Ex-Regierungschefin, die vor kurzem noch den Status einer «Königin im Norden» genoss.

Wenig überzeugender Nachfolger

Für ihre Partei, die SNP, bedeutet Sturgeons tiefer Fall eine Krise, die mit Sicherheit einen schweren Popularitätseinbruch nach sich ziehen wird. Allzu lange ist die Schottische Nationalpartei mit Sturgeon identifiziert worden. Ihr Nachfolger, Humza Yousaf, kam vielen Schotten schon vor Beginn des «Murrell-Krimis» wenig überzeugend und recht inkompetent, wie ein schwacher Abklatsch der vormaligen Amtsinhaberin, vor.

Unmittelbare Folgen des unerwarteten Bröckelns der Bastion SNP sind bereits abzusehen. Sie reichen weit über Schottland hinaus. Zum einen muss die Schottische Nationalpartei fürchten, dass sie sich von nun an nicht mehr so leicht wie früher als regierungstaugliches, weltoffenes, rundum progressives Gegenbild zu den Westminster-Parteien in Szene setzen kann.

Labour will profitieren

Vor allem die Labour Party hofft, davon zu profitieren und sich mit der Eroberung neuer Wahlkreise in Schottland bei den Unterhauswahlen des nächsten Jahres bessere Chancen für eine Regierungsübernahme in London zu verschaffen. Die politischen Gewichte verschieben sich.

Das zweite Problem der SNP ist, dass ihr Traum von schottischer Unabhängigkeit nun wohl erst einmal verblassen dürfte. SNP-Generalsekretär Mike Russell, der von der «schlimmsten Krise» seiner Partei seit fünfzig Jahren spricht, räumt bereits ein, dass alle Hoffnung auf nationale Selbstbestimmung für die Schotten «im Augenblick» unrealistisch wäre. Es könnte, wenn der Einfluss der SNP weiter zerfällt, ein sehr langer «Augenblick» werden.