Regierungskrise in ItalienDer Mann, der allen Intrigen trotzt
Giuseppe Conte übersteht auch den zweiten Angriff auf seine Macht. Wie der zufälligste Premier Italiens unstürzbar wurde.
Giuseppe Conte ist ein Kuriosum, eine politische Sensation, und damit ist nicht seine Leistung als italienischer Premier gemeint. Die ist höchstens mittelmässig. Gemeint ist seine Standhaftigkeit, allen Fährnissen und Intrigen der italienischen Politik zum Trotz: Sie ist spektakulär.
Seit zweieinhalb Jahren schon regiert der süditalienische Anwalt das Land. Zunächst mit der harten Rechten. Dann mit der Halblinken und der Ganzlinken. Bald wohl mit einem mühsam zusammengeflickten Bündnis aus allen möglichen, zum Teil auch ideologisch unverträglichen Gesinnungsgenossen. Fliegend, schwebend. Gerade überlebte er den zweiten Angriff auf seine Macht – knapp zwar, mit weniger Stimmen als erhofft, aber eben doch. Freunde sagen von Conte, er sei ein formidabler «incassatore», ein Einstecker. Das ist ein Begriff aus dem Boxsport. Warten, parieren, aushalten.
Dem Volk präsentiert er sich als eleganter, unaufgeregter Landesvater. Sein Auftritt lebt vom staatsmännischen Phlegma, wie man es früher von den Politikern der Democrazia Cristiana kannte, es klebt an ihm wie eine zweite Haut. In der ersten Phase der Pandemie wurde Conte so populär, wie es schon lange kein italienischer Premier mehr gewesen war: mit harter, aber breit geteilter Linie. Sehr verwunderlich war das nicht, in der Not schmiegt sich das Volk an die Exekutive. Conte behielt die Gunst aber auch während der zweiten Welle, obschon sein Krisenmanagement nun viel weniger überzeugt. Und obschon viele fürchten, dass seine Regierung den immensen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen nicht gewachsen ist, die sich dem Land nach der Pandemie stellen werden. 55 Prozent der Italiener mögen ihn. Das macht ihn unstürzbar.
Conte gehört der Partei nicht an, er passt ja auch nicht zu ihr, weder politisch noch stilistisch. Doch sie schwört auf ihn, weil sie ohne ihn nichts mehr wäre.
Sensationell ist seine Geschichte auch, weil sie im Zufall geboren ist. Als die Cinque Stelle 2018 die Parlamentswahlen gewonnen hatten und nach einem Bündnispartner suchten, zogen sie diesen «Herrn Niemand» mit dem ungefähren Lebenslauf und ohne jede politische Erfahrung aus dem Hut. Als Mittler, als Notar. Conte gehört der Partei nicht an, er passt ja auch nicht zu ihr, weder politisch noch stilistisch. Doch sie schwört auf ihn, weil sie ohne ihn nichts mehr wäre.
Paradoxerweise wuchs Conte an der eklatanten Schwäche der Fünf Sterne. Die Systemkritiker sind Europa-Freunde geworden, über Nacht, bestes Establishment. Die Milliarden aus dem Recovery Fund haben Wunder gewirkt. Regieren geht nun mal nicht mit Gebrüll. Und wer an der Macht gerochen hat, der lässt nicht gern los. Viele alte Tabus sind weg.
Er braucht weder Hausmacht noch Ideologie
Conte könnte Chef der Cinque Stelle werden, aber das lässt er lieber sein. Eher gründet er eine eigene Partei, auch viele Sozialdemokraten würden ihn wählen. Doch ob das gescheit wäre? Im Moment gewinnt er auch ohne Hausmacht, ohne feste Ideologie – oder gerade deshalb.
Conte ist ganz zufällig die einzige mögliche Synthese einer fast unregierbaren Legislaturperiode, und zwar gilt das offensichtlich für jede Konstellation im Parlament. Wo hat es das schon mal gegeben? Ihm sieht man sogar nach, dass er mit verstörender Leichtigkeit mal schnell von Donald Trump, dem er zugeneigt war und der ihn famoserweise «Giuseppi» nannte, zu Joe Biden wechselt – mit wehenden Fahnen, wie er das im Parlament tat. Selten war Politik liquider, selten waren Positionen verhandelbarer, eine einzige Lotterie.
Fehler gefunden?Jetzt melden.