Regierungskrise in Italien«Helft uns!» Conte nimmt die erste Hürde
Der Premier appelliert an «willige» Überläufer und übersteht die Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus. Nun muss er in den Senat.
Italiens bedrängter Premier Giuseppe Conte hat die erste von zwei Vertrauensabstimmungen deutlich gewonnen. Im Abgeordnetenhaus, der grösseren Kammer des italienischen Parlaments, stimmten am Montagabend 321 für den parteilosen Regierungschef, 259 gegen ihn. Damit schafft Conte mit einer Marge von sechs Stimmen die absolute Mehrheit, obschon nur eine einfache Mehrheit nötig gewesen wäre.
27 Deputierte von Matteo Renzis Partei Italia Viva enthielten sich der Stimme, wie sie das vorab angekündigt hatten. So markierten sie ihre Unzufriedenheit mit Conte, nachdem sie mit dem Rückzug ihrer beiden Ministerinnen Teresa Bellanova (Landwirtschaft) und Elena Bonetti (Familie) vergangene Woche die laufende Regierungskrise ausgelöst hatten. Ein ähnliches Szenario wird nun an diesem Dienstag im Senat erwartet, wo die Mehrheitsverhältnisse jedoch knapper sind: Dort ist eine absolute Mehrheit eher unwahrscheinlich.
Anforderungsprofil für die Helfer
In seiner fast einstündigen Rede vor den Abgeordneten appellierte Conte an bisher regierungsferne Kreise, sie möchten sein Kabinett und damit das Land in dieser schwierigen Prüfung unterstützen. Er nannte die hofierten Überläufer «Willige» und nicht «Verantwortungsvolle», um ihrer Geste eine gewisse Noblesse zu verleihen, was in Zeiten der Pandemie durchaus passt. Normalerweise hängt solchen Helfern in der Not der Ruf nach, sie seien Wendehälse und trachteten vor allem nach Posten.
Conte kreiste die Adressaten seines Aufrufs genau ein: «Europafreundlich, liberal, bürgerlich oder sozialistisch» sollen sie sein, sagte er. Ausgeschlossen sind demnach nationalistische und souveränistische Parlamentarier von der rechten Lega und den postfaschistischen Fratelli d’Italia. Conte buhlt also unter anderem um die Stimmen aus Silvio Berlusconis Forza Italia, von Emma Boninos Partei +Europa, von der christdemokratischen UDC und dem Partito Socialista Italiano. Natürlich würde auch Italia Viva dem Anforderungsprofil entsprechen.
«Wir schlagen ein neues Kapitel auf.»
Doch Conte sagte, die Partei habe «ohne plausiblen Grund» eine Regierungskrise angezettelt. Das Vertrauen sei deshalb nachhaltig zerrüttet: «Wir schlagen nun ein neues Kapitel auf.» Dennoch drückte durch, dass er ganz gern auch Stimmen von Italia Viva in seiner Mehrheit hätte. Nur mit seinem Rivalen Renzi, den er nie namentlich nannte, will er offenbar nichts mehr zu tun haben. Aber ob das auch in den kommenden Tagen so bleibt? Gleich mehrere Spitzenvertreter von Italia Viva gaben zu verstehen, dass der Bruch für sie nicht definitiv sei.
Contes Regierung wäre nicht die erste, die in einer Kammer ohne absolute Mehrheit regieren würde. Doch ist die Meinung weit verbreitet, dass Italien eine stabile, breit angelegte Regierungsmehrheit dringend braucht, um die soziale und wirtschaftliche Krise zu bewältigen, die das Land erwartet, und um den Wiederaufbau mit den 209 Milliarden Euro aus Brüssel auf den Weg zu bringen. Conte sprach von einer «epochalen Herausforderung». Man wolle sie mit Kräften bewältigen, die fest an Europa glauben. «Helft uns!»
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